Fußball

Arm in Arm im Wankdorf-Stadion

Für Ignatz Bubis war es die Hochzeitsreise, für den Mann neben ihm eher ein beruflicher Termin. Helmut Schön, der spätere Fußballbundestrainer, und Ignatz Bubis, der spätere Zentralratspräsident, schauten sich am 4. Juli 1954 im Berner Wankdorf-Stadion gemeinsam das WM-Finale an, Deutschlands 3:2-Sieg über Ungarn.

»Meine Eltern hatten 1953 geheiratet«, erzählt Naomi Bubis, »und die Hochzeitsreise wurde entlang der Fußballspiele geplant, die er sich anschauen konnte.« In der Schweiz gab es 1954 guten Fußball zu sehen. »Dass Deutschland damals gegen Ungarn gewonnen hatte, das war die Weltüberraschung«, erzählte Bubis 1995 in einem Interview mit dem Fanzine »Schalke Unser«. »Bei so viel Überraschung und Freude über die Weltmeisterschaft habe ich das mit der ersten Strophe auch nicht übel genommen. Ich habe den Helmut nie gefragt: ›Wieso hast du eigentlich Deutschland, Deutschland über alles gesungen?‹«

dresden Bubis und Schön waren schon einige Jahre gut befreundet. Der zwölf Jahre ältere Schön stammte aus Dresden, und Bubis war nach seiner Befreiung aus dem KZ Tschenstochau erst nach Berlin, dann nach Dresden gegangen, um in sogenannten Tauzes, Tauschzentralen, Schwarzhandel mit der sowjetischen Armee zu betreiben. Schön versorgte »mit einigem Geschick«, wie sein Biograf Bernd M. Beyer sagt, große Teile des Ensembles der Semper-Oper mit Zigaretten.

Doch das gemeinsame Band war der Fußball. »Es war irgendwie eine Kumpelbeziehung«, sagte Bubis später der Journalistin Edith Kohn. Bubis begeisterte sich für den Fußball. »Er war kein Nazi«, sagte er über Schön. »Helmut hat sich nur für Fußball interessiert, für sonst nichts.«

Und: Schön war Spielertrainer der SG Friedrichstadt, dem Nachfolger des legendären Dresdner SC 1898. Für den begeisterte sich der Fußballfan Bubis. Hans Kreische, der damals auch beim DSC spielte, erinnert sich: »Bubis war ein fußballverrückter Mann. Der trainierte oft bei uns mit. Als Geschäftsmann unterstützte er uns auch ab und an, gab mal ein Mittagessen aus oder steckte uns eine Flasche Likör zu.« Bubis selbst berichtete: »Ich habe dort Partys gefeiert, den Dresdner Sportklub, damals Sportgemeinschaft Friedrichstadt, nach Schloss Albrechtsburg zum Essen eingeladen.«

reservekicker Bubis hatte tatsächlich mitgespielt, aber nur in der Reservemannschaft, wie Georg Wehse, Klubhistoriker des DSC, herausgefunden hat.

Wenn Ignatz Bubis zwischen Dresden und West-Berlin pendelte, nahm er oft auch sowjetische Soldaten mit. »Es waren russische Juden, Offiziere, die ich kannte«, erzählte er. »Die meisten sind dann nach Israel gegangen.« 1949 wurde er von einem Offizier gewarnt, dass man ihn verhaften wollte.

Bubis fuhr sofort zu seinem Freund. »Ich hatte eine Nacht bei Helmut Schön verbracht, wir kannten uns gut.« Erst am nächsten Morgen verließ er Dresden – und sollte die Stadt bis 1990 nicht wieder betreten. In Abwesenheit verurteilte ihn die sowjetische Besatzungsmacht zu zwölf Jahren Zuchthaus – alle Angeklagten in dem Prozess waren Juden.

Ignatz Bubis ließ sich zunächst in Stuttgart nieder. Im Frühjahr 1950 hörte er sich dort im Radio die Reportage des Spiels seiner geliebten SG Friedrichstadt – scheinbar auf dem Weg zur ersten DDR-Meisterschaft – gegen Horch Zwickau an. Er hörte, dass die Zuschauer den Platz stürmten, »denn das Spiel sollte aus politischen Gründen zugunsten von Horch Zwickau ausgehen«, wie er sich erinnert. Tatsächlich endete es 1:5 gegen Dresden.

fanklub »Nach diesem Spiel erfuhr ich, dass die Mannschaft aus dem Osten weg wollte.« Also organisierte Bubis vom Westen aus die Flucht. »Wenn Sie so wollen, war ich so etwas wie der Fanklub«, begründete Bubis später seine mutige Tat.

Er besorgte von dem Speditionsunternehmen Derutra, Deutsch-Russische Transport AG, ein Auto, und die ganze Dresdner Mannschaft, inklusive Helmut Schön, Klub- und eine Weile DDR-Verbandstrainer, flüchtete im Juni 1950 nach West-Berlin.

Schön war kurz zuvor als Verbandstrainer abgelöst worden. Schön-Biograf Beyer fand im Bundesarchiv die Begründung, er biete »nicht die Gewähr«, die Elf »von bewussten Trainern« führen zu lassen.

Helmut Schön blieb nicht lange in West-Berlin. Sein Freund hatte schon vor seiner Flucht die Lage sondiert. Auf Schöns Bitte hin war Bubis 1950 nach Köln gereist, um mit dem damaligen Bundestrainer Sepp Herberger zu sprechen. »Dann bin ich am nächsten Morgen in die Sportschule zu Herberger und habe ihm gesagt, dass ich von Helmut Schön komme. Herberger meinte, Freunde von Schön seien auch seine Freunde«, berichtete Bubis. »Als ich ihm Schöns Absicht mitteilte, sagte Herberger, Helmut müsse sehen, wie er in den Westen gelange, aber er könne sicher sein, dass er einen Job bekomme.«

Saarland Mit Herbergers Vermittlung wurde Schön nach einem sehr kurzen Hertha-BSC-Intermezzo Trainer in Wiesbaden, dann Verbandstrainer des damals eigenständigen Saarlandes.
Später wurde Schön Herbergers Assistent, ab 1964 sein Nachfolger als Bundestrainer. Die Freundschaft hielt: Bubis lebte in Frankfurt, Schön in Wiesbaden, man besuchte sich. »Ich erinnere mich an Helmut Schön«, erzählt Naomi Bubis, danach gefragt, woran sie sich in Zusammenhang mit seiner Person aus ihrer Kindheit noch erinnert, »der hatte doch so ein bisschen Sommersprossen im Gesicht.«

Ignatz Bubis engagierte sich bald in der Frankfurter jüdischen Gemeinde. Sein Freund Helmut Schön führte 1974 die deutsche Nationalelf zur Weltmeisterschaft. »Ich war etwa zehn, da hat mich mein Vater mal in ein Fußballstadion geschleppt«, erinnert sich Naomi Bubis an die WM in Deutschland. »Auf jeden Fall war mein Vater ein Riesenfußballfan. Wenn er abends nach Hause kam, hat er sich auf die Couch gesetzt und Fußballspiele geguckt.«

1978 wurde Bubis erstmals in das Direktorium des Zentralrats der Juden gewählt, Helmut Schön zog sich in diesem Jahr 63-jährig und nach erfolgloser WM 1978 zurück. »Ab und zu sehen wir uns noch«, vertraute Bubis einer Interviewerin an.

rechtsextreme Auch seine Liebe zum Dresdner SC pflegte er noch. Und nahm den Hass, der sich gegen den Zentralratspräsidenten entlud, in Kauf. 1998, bei einem Lokalderby des DSC gegen Dynamo Dresden, hingen Dynamo-Fans ein Banner auf: »Juden-DSC, Euer Führer Ignatz«. Bubis hatte kurz zuvor dem klammen kleinen Verein Geld gespendet.

Als Helmut Schön im Februar 1996 starb, ging Ignatz Bubis selbstverständlich zur Trauerfeier ins Wiesbadener Staatstheater, saß in der ersten Reihe, vor Weltmeistern wie Franz Beckenbauer und Berti Vogts, und manch ein Besucher wunderte sich über die Anwesenheit des Zentralratspräsidenten. Für Ignatz Bubis aber war sein Kommen kein amtlicher Termin.

Thüringen

Voigt für deutsch-israelisches Jugendwerk in Weimar

Er führe dazu Gespräche mit israelischen Partnern, die bereits Interesse an einer Ansiedlung in Thüringen signalisiert hätten

 11.07.2025

Frankfurt am Main

Rabbinerin: Zentralrat hat Öffnung des Judentums begleitet

Elisa Klapheck spricht in Zusammenhang mit der jüdischen Dachorganisation von einer »Stimme, die auf höchster politischer Ebene ernst genommen wird«

 11.07.2025

Maccabiah

Zusammen sportlich

Trotz der Verschiebung der Spiele auf 2026 überwog auf dem Pre-Camp in Berlin Optimismus

von Frank Toebs  10.07.2025

Street Food Festival

Sich einmal um die Welt essen

Tausende besuchten das Fest im Hof der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin

von Helmut Kuhn  10.07.2025

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025