Hashomer Hatzair

Alten Chaverim auf der Spur

Hashomer-Hatzair-Delegation in Israel Foto: Hashomer Hatzair Ken Berlin

Alles, was an die Freundschaft von Romi und Regina erinnert, ist eine alte Fotografie in einem Wohnzimmer in Israel. Da waren sie zusammen im Zeltlager der sozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hatzair, zu Deutsch »Der junge Wächter«. Die Gruppe existierte in Deutschland nur acht Jahre lang, und zwar von 1931 bis 1939.

Nachdem Regina 1936 nach Palästina geflüchtet war, hörte sie nie wieder etwas von Romi. Nachnamen tauschte man als Kind für gewöhnlich nicht aus. Romi ist eines der vielen Gruppenmitglieder, deren Spuren sich verlieren. Wie ihr Leben und das der anderen »Wächter« aussah, hat die neue Generation der Ortsgruppe Hashomer Hatzair »Ken« in Berlin in einem Geschichtsprojekt versucht herauszufinden.

Nest Zuerst waren die Hobby-Forschenden überrascht davon, wie wenig über säkulare jüdische Jugendbewegungen aus den 30er-Jahren überhaupt bekannt ist, erzählt die heutige Vorstandsvorsitzende des Berliner Ablegers, Nitzan Menagem. 2011 hatte Hashomer Hatzair in Israel beschlossen, diese in Deutschland wiederaufleben zu lassen, nachdem der deutsche Zweig 1939 unter dem Druck des NS-Regimes seine Aktivitäten hatte einstellen müssen.

Nur ein Jahr später, und zwar 2012, wurde nach mehr als 70 Jahren »Ken«, zu Deutsch »Nest«, in Berlin gegründet. Anlässlich des zehnten Jahrestags der Neugründung initiierte Hashomer Hatzair das Projekt, um die kaum bekannte Geschichte der Organisation und ihrer Aktivisten zu erforschen und bekannter zu machen

»Um vorwärtszukommen, muss man seine Vergangenheit kennen«, lautet ein alter Leitsatz von Hashomer Hatzair. Dementsprechend motiviert fand sich bald eine Gruppe von Freiwilligen, und zwar im Alter von 19 bis 75 Jahren. »Wir wollten unbedingt mit der jungen Generation zusammenarbeiten«, erklärt Menagem. Das Projekt habe keinen streng wissenschaftlichen Anspruch, trotzdem dokumentiere man alle Quellen und Dokumente so genau wie möglich.

Spurensuche In der ersten Phase sammelte man Material und versuchte, ehemalige Mitglieder ausfindig zu machen. Ende März reiste dafür eigens eine Delegation nach Israel, wohin sich manche Hashomer-Hatzair-Aktivisten hatten retten können. An ihren blauen Hemden wurden sie schnell erkannt – schließlich ist dort der Name Hashomer Hatzair bestens bekannt. »Viele Menschen reagierten emotional, als sie erfuhren, dass es uns wieder in Deutschland gibt.«

Ein der Gruppe bereits bekanntes Mitglied in Israel aus den alten Berliner Tagen war Regina. Sie starb nur wenige Wochen vor Ankunft der Delegation im Alter von 104 Jahren. Dafür erzählten ihre Kinder und Enkel von Reginas Erinnerungen an ihre enge Freundin Romi und wie gern sie noch erfahren hätte, was mit ihr geschehen ist. Sich einen genauen Überblick über die Organisation der Zeit von damals zu machen, ist jedoch schwierig. Persönliche Dokumente liegen oftmals nicht in Archiven, Mitgliederlisten wurden aus Angst vor Verfolgung nie geführt.

Trotzdem erfahren die Projektteilnehmer Erstaunliches. Zum Beispiel über fünf Mitglieder von Hashomer Hatzair, die sich in der jüdisch-linken Widerstandsgruppe um Herbert Baum engagiert hatten. Darunter die Geschwisterpaare Loewy und Hirsch, für die im November Stolpersteine verlegt werden sollen.

Forschungsstand In der zweiten Phase des Projekts trugen die Freiwilligen die vielen Dokumente zusammen. In einem kommenden Seminar soll über ihre Aufarbeitung und Präsentation entschieden werden. »Wir haben das Gefühl, dass es noch viel mehr zu erforschen gibt«, ist Menagem überzeugt. Zum Beispiel das Schicksal von Romi.

Diese aktuelle Reise in die Vergangenheit könne deshalb nur ein Anfang sein. Sie hofft auf mehr öffentliche Unterstützung für die Jugendorganisation, damit man dieses Kapitel jüdischen Lebens in die Erinnerung zurückholen kann. »Wir vergessen nicht, dass wir auch 91 Jahre alt sein könnten.«

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 21.08.2025

Hannover

Im Haus der Sinne

Zum 100. Todestag wurde der jüdische Industrielle Siegmund Seligmann mit einer Stadttafel vor seiner Villa geehrt. Heute ist der Ort ein Bollwerk gegen die Sinnlosigkeit

von Sophie Albers Ben Chamo  21.08.2025

Gesellschaft

»Mein zweites Odessa«

Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine flohen viele Jüdinnen und Juden nach Deutschland. Wir haben einige von ihnen gefragt, wie sie heute leben und was sie vermissen

von Christine Schmitt  21.08.2025

Interview

»Es war Liebe auf den ersten Blick«

Barbara und Reinhard Schramm sind seit fast 60 Jahren verheiratet. Ein Gespräch über lange Ehen, Glück und Engagement

von Blanka Weber  20.08.2025

Würdigung

Ein echter Freund

Der ehemalige Zentralratspräsident Dieter Graumann hat viel bewirkt für das jüdische Leben in Deutschland. Nun ist er 75 geworden. Eine persönliche Gratulation von TV-Moderatorin Andrea Kiewel

von Andrea Kiewel  20.08.2025

Weimar

Akkordeon und Drums

Seit 25 Jahren veranstaltet der Komponist Alan Bern den Yiddish Summer – auch diesmal mit vielen Bands und Workshop

von Blanka Weber  19.08.2025

Trauma

Familienforschung

Im Jüdischen Museum München ist die Ausstellung »Die Dritte Generation« zu sehen

von Ellen Presser  19.08.2025

München

Erhalten und sichtbar machen

Die ErinnerungsWerkstatt erforscht auf dem Neuen Israelitischen Friedhof jüdische Schicksale und bewahrt sie vor dem Vergessen

von Ellen Presser  18.08.2025

Münster

Wenn Musik tatsächlich verbindet

Wie ein Konzert die seit der Schoa getrennte Familie des berühmten Komponisten Alexander Olshanetsky wiedervereinte

von Alicia Rust  18.08.2025