Stuttgart

Abendkleid statt Pappnase

Von Anfang an dabei: Martin Widerker (M.) und Mina Gampel (2.v.r.) Foto: Werner Kunhle

Es ist Samstagabend, kurz nach 20 Uhr. Die imposanten Räumlichkeiten der alten Reithalle im Hotel Maritim sind edel geschmückt, die Kronleuchter erstrahlen hell. Nach und nach füllt sich der Saal mit den Gästen, die Pariser Band »Life« stellt sich auf der Bühne in Position.

Währenddessen wird Mina Gampel ein wenig ungehalten. »Bitte setzen Sie sich doch und hören mir zu«, sagt sie sichtlich verzweifelt. Zuerst auf Deutsch, dann auf Russisch. Bald darauf kehrt ein letztes Mal Ruhe ein, die stellvertretende Vorsitzende des TSV Makkabi Mina Gampel kann die rund 450 Gäste zum Purimball willkommen heißen.

Tradition Seit 34 Jahren wird der Ball von Makkabi Stuttgart ausgerichtet. Es ist die wichtigste Veranstaltung im Kalender des Sportvereins und das größte gesellschaftliche Ereignis der jüdischen Gemeinde der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg.

Schirmherren sind in diesem Jahr Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der frisch gewählte Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsman und der Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach.

Seit es den Verein in Stuttgart gibt, ist Martin Widerker sein Vorsitzender. »Vielleicht komme ich damit mal ins Guinness- Buch der Rekorde«, sagt er und lacht. Auch die Künstlerin Mina Gampel ist von Beginn an seine Stellvertreterin. Sie ist vor 45 Jahren mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern von Israel nach Deutschland gekommen. Zusammen mit Widerker hat sie den Ball organisiert.

Zusammenhalt Makkabi wie auch der Ball sorgen dafür, die jüdische Identität zu wahren, Selbstbewusstsein zu stärken und einen Zusammenhalt in der jüdischen Gemeinde herzustellen, wie Barbara Traub, die Vorstandssprecherin der IRGW, formuliert. »Nur so wird man als Minderheit nicht zerrieben.« Gleichzeitig bildet der Verein ein Ideal von Integration und Völkerverständigung im verkleinerten Maßstab ab: Jeder kann Mitglied werden, ungeachtet seiner Religionszugehörigkeit. Chris- ten, Muslime und viele andere sind im TSV Makkabi aktiv.

Integrationswillig zeigt sich an diesem Abend auch Isabel Fezer (FDP), die Bürgermeisterin für Soziales, Jugend und Gesundheit, die stellvertretend für Fritz Kuhn (Grüne) am Ball teilnimmt und heute zum ersten Mal Purim feiert. »Ich habe gehört, dass man an Purim ganz viel Alkohol trinken soll. Mein Mann und ich haben vor, uns an dieses Gebot zu halten«, sagt sie zu Beginn.

Den Ball hält sie für ein Symbol und ein Zeichen für gelungene Integration und ein gutes Zusammenleben der Menschen unterschiedlichster Religionen in der Stadt. »Das Fest ist wichtig geworden, nicht nur für die jüdische Gemeinde, sondern für die ganze Stadt. Es fördert das Verständnis füreinander«, sagt sie.

Mina Gampel, inzwischen wieder besänftigt, kommt im Anschluss noch einmal auf das von Isabel Fezer genannte Gebot zurück: »Ja, heute wird gefeiert, man darf trinken und sich betrinken – schließlich haben wir Purim!« Und schließlich wird damit die Errettung der persischen Juden vor ihrer Ausrottung gefeiert.

Tanz Und noch bevor das große Buffet eröffnet wird, füllt sich die Tanzfläche. Großeltern mit Enkeln, Kinder werden von ihren Vätern übers Parkett gewirbelt. Die Band aus Paris spielt Traditionelles wie Hava Nagila ebenso wie Gangnam Style. Zwar ist man im Maritim Hotel nicht wie auf den Straßen Tel Avivs an Purim verkleidet, hier lautet die Kleiderordnung Abendkleid statt Pappnase, der Stimmung tut das aber keinen Abbruch.

»Wir versuchen, mit dem Verein Gemeinschaftsgefühl und Lebensfreude zu vermitteln«, sagt Widerker, »das ist auf dem Ball am besten erlebbar.« Außerdem schlage der Ball eine Brücke bis nach Israel, wie der Botschafter des Staates später an diesem Abend sagen wird. Und eine Brücke zwischen Juden und Christen. »Sport ist ein gutes Mittel um Barrieren abzubauen«, sagt Widerker.

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