Berlin

20 Minuten bei 250 Grad

Wieso hängt da noch ein Stück Folie an der Edelstahlschüssel? Alexander fasst mit einem mutigen Handgriff ins kochende Wasser und entfernt das durchsichtige nasse Stück. Dann taucht der Mann mit dem rundlich-freundlichen Gesicht die große Schüssel mit schmalen Messern, tiefen Löffeln und einer Kelle tief ein, lässt sie wenige Augenblicke im heißen Wasser schwimmen und zieht alles mit einem schnellen Griff rasch wieder heraus.

Das warʼs: Jetzt sind die Koch­utensilien koscher, aber immer noch sehr heiß. Alexander nimmt sich eines der blau-grau karierten Küchenhandtücher, legt es im Laufen unter die Schüssel, geht zum anderen Ende der Küche und holt sich wieder eine Schüssel – die kleinen Schaumlöffel kommen als Nächstes dran.

Es ist Sonntag kurz vor eins. In der Bankettküche des Hotels InterContinental ist es laut. Zwei der drei schrankgroßen Konvektomaten laufen auf Hochtouren, einer ist geöffnet und lässt schnaufend hörbaren Dampf ab, die flachen Edelstahl-Behälter, die bereits gekaschert sind, werden markiert und auf Wagen gestapelt.

Hinten in der Ecke zischt es, und aus der Boombox kommen gerade noch die letzten Bässe eines Songs, dann wird die Musik etwas langsamer: Das sei eine israelische Playlist, sagt Shlomo Afanasev, »das jetzt ist Omer Adam«.

Seit zehn Uhr morgens wird gekaschert

Seit zehn Uhr morgens steht Afanasev, der Gemeinderabbiner in Hannover und Gründungsmitglied der Berliner Kahal Adass Jisroel ist, mit sieben weiteren Männern in dem großen Raum und kaschert. Alles muss absolut frei von – zum Beispiel – Fettresten sein. Im Konvektomat dauere das 20 Minuten bei 250 Grad, sagt Afanasev. Danach seien alle Behälter koscher. Sie werden den ganzen Nachmittag damit beschäftigt sein, denn am Dienstag startet die Produktion. Gemeint ist damit das, worüber auf dem Gemeindetag definitiv noch geredet werden wird, wenn das Event des Zentralrats mit 1300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern längst vorbei ist: das Essen.

Frühstück, Mittagsangebot, Abendessen, zwischendurch Snacks – all das wird vorher mit Sicherheit schon einmal in einem der vielen gekascherten Behälter gewesen, mit einem Schaumlöffel hochgehoben worden oder durch einen Saucenportionierer gelaufen sein.

Für Sekunden wird die Schüssel im kochendes Wasser getaucht – dann ist sie koscher.

Rabbiner Afanasev kaschert zum dritten Mal für den Gemeindetag. Seine Mannschaft und er sind routiniert und arbeiten alles in dynamischer Ruhe ab. Ab und zu fallen ein paar Sätze auf Russisch, der schlanke Mann wischt sich die nassen Hände an seinem grün karrierten Hemd ab, zeigt in die andere Ecke der Küche; sein Kollege hängt die Schöpf- und Siebkellen ins kochende Wasser.

Ein beruhigendes Blubbern, während die beiden Jüngeren der Mannschaft noch immer die schier unzähligen Behälter an allen vier Ecken markieren, um sie als erkennbar fertig zu kennzeichnen. Dann gibt es eine kleine Pause – nur die Konvektomaten rauschen noch vor sich hin, die Wasserbecken dampfen, die Boombox hat wieder einen dumpfen Basston.

In der Patisserie von Gil Avnon

Gut zwei Kilometer entfernt ist das zischende Mahlen und elegante Tröpfeln des Kaffees das Lauteste, was in der Patisserie von Gil Avnon zu hören ist. Die Törtchen mit Birnen, Engadiner Nüssen oder wölkchenhaftem Schaum liegen still und mit Understatement hinter einer Glasscheibe. Stammgäste sitzen bei grünem Tee zusammen, immer mal wieder werden Sufganiot abgeholt.

Die sind bei Avnon, der seine Patisserie vor anderthalb Jahren von Rabbiner Yitshak Ehrenberg als koscher hat zertifizieren lassen, von Hand abgedreht. Keine Teigmaschine rüttelt mit einem Mal mehrere Sufganiot-Rohlinge, das macht das Team um Avnon selbst. Die Produktion der Sufganiot für den Gemeindetag werde einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, sagt der international erfahrene Patisseur.

Zwei der sieben Sorten Sufganiot werden für das Treffen im Interconti hergestellt. Ganz klassisch mit Pflaumenmus und Erdbeerkonfitüre. Pflaume, Erdbeere, das ist ohne Frage bewährt und klassisch, aber Avnon sagt von sich selbst: »Ich möchte ›out of the box‹ denken.« Und so finden Kunden bei ihm im Café auch Sufganiot mit Mango- oder Physaliskonfitüre, mit Yuzu- oder Passionsfruchtschokolade obendrauf. Vegan, parve, koscher – »Hauptsache«, sagt Avnon, »sie schmecken nicht so, als ob man etwas vermissen würde«. Sein Anspruch ist nicht nur, »koscher, cool und parve«, sondern immer auch »110-prozentig zu sein«.

Die Gäste auf dem Gemeindetag können sich auf 500 Petits Fours pro Tag freuen – von New York Cheesecake mit Mazzemehlboden über Profiterol mit Vanillecreme und Schokolade bis hin zu Törtchen mit Aprikose, Mandelschokolade und weißer Mousse. Und sein Favorit? »Die Kaffee-Brownies und Mousse-Petits-Fours.« Ein stiller Genuss nach einem langen Tag – vielleicht sogar auf einer der Platten angerichtet, die von Shlomo Afanasev und seinen Kollegen gekaschert wurden.

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