Jom Haazmaut

Wie blicken Gemeindemitglieder auf die Situation in Israel? Eine Umfrage

Orna Marhöfer, Mannheim
Mit unendlicher Liebe schaue ich auf Israel. Meine tiefe Verbundenheit hat auch damit zu tun, dass ich dort geboren wurde. Als ich drei Jahre alt war, zog meine Familie nach Kaiserslautern. Mein Vater war 1936 aus Deutschland nach Palästina geflohen, meine Mutter aus Galizien. In Mannheim habe ich studiert und wurde Diplom-Sozialpädagogin, gehörte 21 Jahre dem Vorstand der Mannheimer Gemeinde an und war sechs Jahre im Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Immer habe ich mitgelitten, wenn es Israel schlecht ging.

Nun geht es dem Land noch schlechter als jemals in der Vergangenheit. Morgens wache ich mit Sorgen auf, abends gehe ich mit denselben Sorgen ins Bett, denn Israels Existenz ist bedroht. Das Land muss um die Unversehrtheit seiner Menschen kämpfen. Die emotionale Anspannung begleitet mich täglich. Ich befürchte, dass die Hamas kein Interesse an einem Kriegsende hat, denn sie nutzt die »Opfererzählung« als Propaganda und dürfte damit auf der Siegerstraße sein.

Dabei geht von Israel so viel Positives aus, auf das wir stolz sein können. Unsere jüngste Tochter lebt seit etwa zehn Jahren dort. Als ihr erstes Kind am 8. Oktober 2023 auf die Welt kam, waren wir bei ihr, sind aber wegen der damaligen Situation früher als geplant abgereist. Nun fliegen wir wieder zu ihr und ihrer kleinen Familie. Zum ersten Mal seit dem 7. Oktober.

Guy Katz, München
Früher habe ich zu Beginn eines Treffens mit Stolz gesagt, dass ich aus Israel komme. Diese einfache Feststellung habe ich in letzter Zeit überdacht. Wenn ich sie jetzt mache, fehlt die frühere Begeisterung. Auch meine Zeit als Offizier des israelischen Nachrichtendienstes spreche ich nicht mehr so offen an, denn das Ansehen unserer Armee ist nach dem 7. Oktober tief erschüttert.

Nur eine Woche nach dem »Schwarzen Schabbat« schrieb ich in einem Artikel, dass wir nach einem Monat wahrscheinlich wieder als die »Bösen« gelten würden. Erstaunlicherweise hat uns die Welt länger als erwartet in einem positiveren Licht gesehen. Aber am Ende scheinen wir in den Augen vieler wieder dort gelandet zu sein, wo wir angeblich schon immer waren: Israel als der jüdische Aggressor im Nahen Osten. Wer weiß, ob wir dieses Bild jemals wirklich ändern konnten oder ob das Mitgefühl unser Image nur vorübergehend verbessert hat. Denn die Zeiten ändern sich, aber leider nicht wirklich das tief sitzende Bild, das man wohl schon immer von uns hatte.

Shterna Wolff, Hannover
Gläubige Juden versuchen immer, positiv zu denken! Die Situation nach Simchat Tora macht es etwas schwierig, aber wir hören nicht auf, zu beten und gute Taten zu vollbringen, um allen Geiseln, Soldaten und dem israelischen Volk eine positive Energie zu senden.

Ich habe eine sehr große Familie in Israel. Meine beiden Töchter studieren dort, und wir sehen so viele Wunder, die sehr oft geschehen. Wie Rabbiner Menachem Mendel Schneerson immer gesagt hat, dass das Land Israel der sicherste Ort für Juden sei, weil der Ewige selbst dieses Land bewacht, so bin ich auch fest der Überzeugung, dass sie alle beschützt bleiben.

Jede Schwierigkeit ist der Anfang von etwas Gutem. Wie eine Blume, deren Samen erst einmal in die dunkle Erde fallen und verfaulen müssen, so auch unsere großen Herausforderungen, die nach einer kurzen Zeit zu einer neuen, wunderschönen Realität werden. Momentan soll die Frage eines jeden von uns jeden Morgen neu lauten: Welche gute Tat kann ich für meine Brüder in Israel tun und dadurch das Licht in der Welt vergrößern?

Sharon Fehr, Münster
Am Telefon erzählt mir mein Freund Etan aus Beer Sheva, dass er und seine Familie sich morgens dankbar umarmen, weil sie die Nacht überlebt haben. Niemals zuvor hätten sie so intensiv gespürt, wie glücklich sie sind, dass sie, ihre Kinder und Freunde leben.

Seit dem 7. Oktober weiß die gesamte Welt: Diese aus dem Iran gesteuerten und finanzierten Israel-Hasser sind eine barbarische Terrororganisation von islamistischen Betrügern, Vergewaltigern und Mördern. Die Bilderflut aus Gaza hinterlässt Spuren: Die zunehmenden enthemmten anti-israelischen Agitationen zeigen ihre Wirkung und stellen Israel an den Pranger.

Wie viele meiner israelischen Freunde bin aber auch ich davon überzeugt, dass Israel zum Schutz der eigenen Bevölkerung keine andere Wahl hat, als alles in seiner Macht Stehende aufzubieten, um die Hamas und deren Helfershelfer komplett zu entwaffnen. Damit und mit der längst überfälligen Befreiung der Geiseln wäre der Krieg beendet. Als Deutsch-Israeli habe ich die Hoffnung, dass die von meinem Freund erwähnte Dunkelheit, die sich seit dem 7. Oktober wie ein Schleier über Israel gelegt hat, schon morgen der Sonne weichen möge.

Maya Zehden, Berlin
Mein Ticket für eine Reise nach Israel habe ich schon gebucht. Im Herbst werde ich mit meiner Familie fliegen. Ich mache mir große Sorgen um das Land, aber auch um unser Leben in Europa, wo derzeit die Antisemitismusdebatte so eskaliert. Selbst Akademiker ignorieren Fakten, und es entstehen viele falsche Bilder.

Sorgen bereiten mir auch die Aussagen von vermeintlichen Juden, die keinen wirklichen Bezug zum Judentum haben und sehr israelkritisch agieren. Noch mehr Sorgen mache ich mir allerdings darum, wie sich die Lage in Europa weiterentwickelt.

Politiker halten daran fest, dass der Rechtsradikalismus die größte Bedrohung für das jüdische Leben hier ist. Aber ich denke, dass es die Islamisten sind, die auf dem Vormarsch sind. Auch in Dänemark und Schweden. Das alles gab es natürlich schon vor dem 7. Oktober, und jetzt ist es hochgeschwappt. Meiner Meinung nach müsste ein Aufruf zum Kalifat Konsequenzen haben. Aber ich kann nicht erkennen, dass die verantwortlichen Politiker handeln. Und ich denke dabei natürlich an meine Enkelkinder, denen ich ein freies Leben in Deutschland wünsche.

Boris Schulman, Frankfurt
Meine Familie und ich sind gerade von unserem Urlaub auf Kreta zurückgekehrt. Eigentlich hatten wir Israel gebucht, aber als der Iran Israel angriff, überlegten wir lange hin und her. Schließlich haben wir storniert und sind nach Griechenland gereist. Vielleicht haben wir etwas überreagiert, aber ich wollte lieber vorsichtig sein, um gerade auch meine Kinder nicht zu gefährden.

Um Israel mache ich mir große Sorgen, denn ich glaube, dass uns noch schwierige Zeiten bevorstehen. Das Ziel – Geiselbefreiung und Zerschlagung der Hamas – ist klar. Aber wie geht es dann weiter? Wie wird es im Norden mit der Hisbollah? Wir können dort keinen Krieg gebrauchen, aber ich fürchte, es wird ihn geben, und er wird leider viele Soldaten das Leben kosten. Und wie soll es mit dem Gazastreifen weitergehen? Ihn abgeben? An wen? Besetzen, wiederaufbauen? Einfach raus aus Gaza ist nicht die beste Lösung. Es wird Generationen dauern, das Vertrauen in der Region wiederherzustellen – keine einfache Situation. Ich möchte nicht in der Haut der Regierenden stecken.

David Rosenberg, Südpfalz
Vor ein paar Tagen bin ich aus Israel zurückgekehrt. Ich gehörte einer Delegation des Ministeriums für Wissenschaft und Gesundheit von Rheinland-Pfalz an, die das Land besuchte. Dort erhielt ich heftige Einblicke, denn wir besuchten mehrere Kibbuzim, die von der Hamas überfallen wurden, trafen Angehörige der Geiseln, die einfach nur den Wunsch haben, dass ihre Verwandten und Freunde befreit werden, was sehr emotional war, und den Chef-Forensiker, der uns unerträgliche Fotos der Leichen zeigte. So viele Menschen sind in Beʼeri ermordet worden. Ein Überlebender führte uns durch seinen zerstörten Kibbuz. Auf die Frage, wie es weitergehen soll, antwortete er, dass er nicht in einer Gedenkstätte leben möchte, sondern in einem Kibbuz. Auch besuchten wir den Platz, auf dem das Nova-Festival stattgefunden hat.

Ich gehe selbst gern aus – da hätte auch ich dabei sein können. Ich mache mir Gedanken, wie es in Israel weitergehen könnte, bin bedrückt, wenn die zivile Bevölkerung von Gaza stirbt. Und da befinde ich mich in einem Zwiespalt: Israel muss aufpassen, dass es nach der Befreiung von den Terrorfürsten noch Leute für den Wiederaufbau gibt. Der wird Jahrzehnte brauchen. Und wer finanziert ihn? Ich finde, das ist eine Aufgabe der Weltgemeinschaft. Gaza darf kein Brutkasten zukünftiger Terroristen werden.

Janis D., Schüler, Düsseldorf
Wenn ich nach Israel fliege, fühlt es sich wie eine Rückkehr in meine Heimat an. Es ist ein ganz anderes Gefühl als bei anderen Urlauben. Israel ist der einzige Ort, an dem wir geschützt leben können. Immer wenn ich dort bin, empfinde ich die anderen Menschen als einen Teil meiner Familie – obwohl ich sie gar nicht kenne. Dort trage ich auch gern meine Kippa, allerdings änderte sich das am 7. Oktober 2023, als ich in Haifa war. Ich traute mich nicht mehr, sie aufzusetzen, weil ich nicht einschätzen konnte, wie sich die arabische Bevölkerung verhalten wird.

Zu Hause in Düsseldorf verfolge ich die Nachrichten über Israel täglich. Ich vertraue darauf, dass das Land erstarkt aus seiner Krise hervorgeht. Um seine Existenz mache ich mir keine Gedanken. Mein Wunsch wäre es, dass Israel als Wertepartner für die westliche Welt angesehen und nicht dämonisiert wird. In meine Schule, das Albert-Einstein-Gymnasium, kamen Menschen aus den Kibbuzim in der Nähe des Gazastreifens und berichteten. Sie leiden unter den Konflikten. Ich hoffe, dass bald alle dort friedlich wohnen und ihr Judentum ausleben können.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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