Sphären

Zwei oder sieben?

Trennt die oberen und unteren Wasser: Rakia Foto: Getty Images/iStockphoto

Im Schöpfungsbericht sagt die Tora, dass Gʼtt am zweiten Tag eine sogenannte Rakia erschuf. Diese Rakia trennte »die unteren Wasser« und das »obere Wasser«. »Und Gʼtt nannte die Rakia daraufhin Schamajim (Himmel)« (1. Buch Mose 1,8). Die Rakia ist also ein Synonym für Himmel und trennt zwei Sphären voneinander.

Im talmudischen Traktat Chagiga (12b) gibt es eine Meinungsverschiedenheit darüber, wie viele Himmel es eigentlich gibt. Rabbi Jehuda sagt, es gebe zwei Himmel. Reisch Lakisch sagt, es seien sieben. Er erklärt daraufhin die Funktionen der einzelnen Himmel. Im ersten Himmel wird es Morgen und Abend. Im zweiten Himmel befinden sich alle Planeten von der Sonne bis zu den entferntesten Sternen. Im dritten »befinden sich Mahlsteine, die Manna für die Frommen mahlen«.

Im vierten Himmel befindet sich das himmlische Jerusalem

Im vierten Himmel befindet sich das himmlische Jerusalem. Im fünften sind Engel, die nachts Lieder singen. Im sechsten befinden sich Hagel, Schnee und Sturm. Im siebten Himmel befinden sich »Gerechtigkeit, Recht und Heil, die Schätze des Lebens, die Schätze des Friedens und die Schätze des Segens, die Seelen der Gerechten, die Geister, die Seelen derer, die einst geboren werden, und der Tau, durch den der Heilige, gepriesen sei Er, dereinst die Toten beleben wird.« Was hat das alles zu bedeuten?

Zum einen können wir verstehen, was die Quelle der oben zitierten Meinungsverschiedenheit ist. Während Rabbi Jehuda über die »Himmel« oder Sphären spricht, welche die meisten Menschen wahrnehmen können – die Atmosphäre der Erde als erster Himmel und alle physischen Universen als zweiter Himmel –, spricht Reisch Lakisch auch von den spirituellen Sphären.

Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Meinungsverschiedenheiten unserer talmu­dischen Weisen immer nur verschiedene Aspekte einer einzigen Wahrheit sind. Sie beschreiben dieselbe Realität aus verschiedenen Perspektiven.

Spannenderweise bezeichnet der Talmud nur den zweiten Himmel mit dem Namen Rakia. Die Rakia, die in der Schöpfungsgeschichte (1. Buch Mose 1,1) die oberen Wasser und die unteren Wasser trennt, ist also das gesamte Weltall. Über dem Weltall beginnt der spirituelle Kosmos.
Eine wichtige Erkenntnis aus dem Text ist, dass sich das »Wasser über der Rakia« (1,7) nicht in den Wolken oder auf anderen Planeten befindet, sondern über der für den Menschen wahrnehmbaren Sphäre.

Wir wissen aus den Schriften unserer Talmudkommentatoren, dass die hier genannten Dinge, wie Mühlen oder Schnee, nicht wörtlich zu nehmen sind, sondern dass es sich hierbei um Metaphern für spirituelle Energien handelt, die im Austausch mit uns stehen. Dies ist eine wichtige Regel für den Umgang mit dem Talmudtext. Eine weitere Frage, die man stellen könnte: Wie verhält sich die in der Kabbala verbreitete Lehre von vier Welten (korrespondierend mit den vier Buchstaben des Gʼttesnamens) zur talmudischen Lehre von den sieben Himmeln?

Im 16. Jahrhundert schrieb der Kabbalist Rabbi Elijahu de Vidas (1518–1587), dass sich die gesamte talmudische Diskussion der sieben Himmel nur auf die unterste der vier Welten bezieht, von denen die Kabbala spricht.

Sieben Himmel innerhalb einer einzigen Welt

Mit dem Abstieg von der ersten in die zweite, von der zweiten in die dritte Welt und so weiter wird das gʼttliche Licht immer weiter verborgen, bis wir erst in der vierten und letzten, unserer Welt, genannt Asija, überhaupt die freie Wahl haben, uns als freie Wesen für oder gegen Gʼttes Weg zu entscheiden, ohne von der Offensichtlichkeit Gʼttes überwältigt zu werden. Die sieben Himmel sind also sieben Himmel innerhalb einer einzigen Welt.

Sieben ist immer auch eine Anspielung auf die sechs Tage der Schöpfung und den Schabbat. So wie unsere Welt, der Empfänger, das Endprodukt der oberen Sphären ist – so ist der Schabbat das Endprodukt unserer Vorbereitung in der Woche. So wie das siebte und messianische Jahrtausend das Endprodukt der Menschheitsgeschichte ist – sind die sechs Jahrtausende davor, die Geschichte der Welt, eine Vorbereitung auf den kosmischen Schabbat – die Erlösung durch den Maschiach.

Neuerscheinung

Gebetbuch ohne Geburtsort

Der Nürnberger Machsor wurde vor fast 700 Jahren verfasst – ein Sammelband entschlüsselt seine Poesie

von Yizhak Ahren  18.07.2025

Pinchas

Das Los entscheidet

Warum in biblischen Geschichten der vermeintliche Zufall eine Rolle spielte

von Vyacheslav Dobrovych  18.07.2025

Talmudisches

Schutz und Schatten

Abseits des Lichts soll Gott uns wohltuend nah sein

von Rabbiner Netanel Olhoeft  18.07.2025

Essay

»Ich habe mein Baschert in einem weiblichen Körper gefunden«

Der Ewige entscheidet schon vor der Geburt, wer zu wem passt. Wir sollten diesen Bund heiligen

von Jalda Rebling  17.07.2025

75 Jahre Zentralrat

Zentralratspräsident: Zusammenlegung von jüdischen Gemeinden »schmerzlich«, aber denkbar

Zu wenig engagierter Nachwuchs und mögliche Zusammenschlüsse von jüdischen Gemeinden - so sieht die Lage laut Zentralrat der Juden derzeit aus. Präsident Schuster äußert sich auch zur Rabbinerausbildung in Potsdam

von Leticia Witte  17.07.2025

Israel

Urteil: Mehr Gleichstellungsrechte für Frauen gegenüber dem Oberrabbinat

Es geht um Tests für Zertifikate, die erhebliche soziale und wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen. Unter anderem erlauben sie das Lehren

 15.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025