Sprachrohr

Zum Lob gezwungen

Megaphon: Bileam diente als Sprachrohr, ohne dass er es wollte. Foto: fotolia

Ein geflügeltes Wort sagt: »Lieber G’tt, beschütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich schon selber fertig.« Unsere Geschichte straft dieses Wort Lüge. »In jeder Generation stehen sie gegen uns auf, um uns zu vernichten. Doch der Heilige, gelobt sei Er, hat uns aus ihrer Hand errettet«, rezitieren wir alljährlich am Sederabend aus der Haggada.

Einen derjenigen, die es bestimmt nicht gut mit dem jüdischen Volk meinten, treffen wir in unserem Wochenabschnitt an: Bileam. Vom König der Moabiter Balak herbeigerufen, sollte er dank seiner spirituellen und prophetischen Fähigkeiten das jüdische Volk verfluchen, damit es einfacher zu schlagen sein würde. Hätte G’tt nicht aktiv auf Bileam eingewirkt und die geplanten Flüche in Segenssprüche verwandelt, wäre Balaks Plan vielleicht sogar aufgegangen.

Rabbi Meir Simcha von Dwinsk stellt in seinem Kommentar zur Tora, Meschech Chochma, die Bedeutung dieses Anliegens und der damit verbundenen weiteren Geschehnisse infrage: Da G’tt das jüdische Volk segnete, was macht es uns aus, wenn Bileam es verflucht?

Tatsächlich, so der Kommentar Meschech Chochma weiter, ist den Flüchen oder Segnungen Bileams selbst keine große Bedeutung beizumessen, da sie gegenüber den Segenssprüchen G’ttes jeden Wert verlieren. Als moralische Unterstützung für die kenaanitischen Völker jedoch, die es bald zu bekriegen galt, waren sie äußerst wichtig. Es ging um psychologische Kriegsführung!

Schon im Lied am Schilfmeer fand der starke Einfluss der offenen Wunder auf die Völker der Umgebung besondere Betonung: »Es hörten die Völker, sie erzittern ... aufgelöst sind alle Bewohner Kenaans« (2. Buch Moses 15, 14-15). Auch hier, als die beabsichtigten Flüche Bileams in Segenssprüche verwandelt wurden, verschlechterte dies die ohnehin schon aufgeschreckte und niedergeschlagene Stimmung der kenaanitischen Völker (Jehoschua 2, 9-11).

Schönheit Rav Zvi Yehuda Kook geht einer anderen grundlegenden Frage bezüglich Bileams Worten nach und eröffnet damit eine weitere Antwort auf die Frage des Meschech Chochma: Ausgerechnet aus dem Mund von Bileam erfahren wir über die schönsten und edelsten Seiten des jüdischen Volkes, wie zum Beispiel anhand seines Ausrufes »Ma tovu ohalecha Jaakov, mishkenotecha Jisrael!« – »Wie schön sind deine Zelte, Jaakow, deine Lagerstätte, Israel!«, Worte, die wir jeden Tag sagen, wenn wir die Synagoge zum Morgengebet betreten.

Aus Bileams Mund kommen Visionen und Prophezeiungen über die Zukunft des jüdischen Volkes und eine der wenigen Anspielungen in der Tora über die Zeit der Erlösung und das Wesen des Maschiach.

Warum kommen diese Worte ausgerechnet aus Bileams Mund? Diesem ausgemachten Bösewicht und erklärten Feind! Wie kann das sein? Fand G’tt niemand Geeigneteren für derart bedeutende Aussprüche?

Bileam war aus verschiedenen Gründen tatsächlich der geeignete Überbringer dieser g’ttlichen Botschaften. Zum einen zeugt dies von der Reinheit und Wahrhaftigkeit seiner Aussagen. Selbst ein Betrüger erwirbt sich Glaubwürdigkeit, wenn er eindeutig und offensichtlich gegen seine eigenen Interessen spricht.

Ein Verkäufer, der auf verborgene Mängel an seiner Ware hinweist und sich dafür ausspricht, den Preis zu senken, wird wohl wenig Mühe haben, den Käufer davon zu überzeugen, dass seine Aussage wahr ist.

Wenn ein Mensch wie Bileam, der das jüdische Volk abgrundtief hasst, über die Israeliten die höchste Form der Lobpreisungen und Segnungen ausschüttet, dann ist das glaubhaft. Und mit Gewissheit kann angenommen werden, dass diese nicht von ihm, von seinem Herzen, stammen, sondern direkt von G’tt. Bileam diente, ohne dass er es wollte, als Sprachrohr.

Er eignete sich aber aus einem weiteren Grund für diese Worte. Die vorangehenden vier Wochenabschnitte enthalten eine Fülle von Geschichten, die einen starken negativen Eindruck vom jüdischen Volk vermitteln. Wir denken an das andauernde Murren und Rebellieren gegen G’tt und Mo- sche. Bileams Segenssprüche aber führen uns ein ganz anderes Bild desselben Volkes vor Augen, wie es schöner nicht sein könnte. Wie das?

Perspektive Die Wirren fanden nur im Inneren des Volkes statt. Für einen Außenstehenden jedoch boten die Hebräer einen Anblick edler und vorbildlicher Schönheit, der selbst einem Bileam den tiefen Wunsch entrang: »Möge mein Ende wie das ihre sein!« Diese Änderung der Perspektive hat bis heute ihre Bedeutung nicht verloren.

Aus der Nähe und mit dem Vergrößerungsglas betrachtet sieht man Risse, innere Zerrüttung und viele weitere Probleme. Doch der Blick aus der Distanz lehrt uns eine andere Realität, eine Realität, die ebenso wahr ist und nicht vergessen werden darf.

Diese Realität zeigt die unglaublichen Errungenschaften moralischer, ethischer, sozialer und geistiger Natur des jüdischen Volkes und zeichnet ein höchst positives und nachahmenswertes Bild, das sich sehen lassen kann und gesehen werden soll!

Es ist ein Bild, von dem man sich durch die erste Perspektive nicht ablenken lassen darf, ein Bild, worauf nach innen und außen immer wieder verwiesen und die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll! Es ist ein Bild, das Aufmerksamkeit verdient. Diese Perspektive deckt Bileam in seinen Worten auf, indem er von außen an das jüdische Volk herantritt und es betrachtet.

Um dieser Botschaft willen waren seine Worte nicht nur von hoher Bedeutung, sondern auch absolut notwendig! Gerade in heutiger Zeit, in der Medien und PR einen gewaltigen Einfluss auf das Denken und Handeln der Menschen ausüben, darf diese Wirkung auf keinen Fall unterschätzt werden.

Niedertracht Wenden wir uns zuletzt einer weiteren Frage zu: Wie konnte ein spiritueller Mensch und Prophet wie Bileam, der wie jeder Prophet in gewaltige G’ttesnähe gerückt war, zugleich so niederträchtig sein? Die Antwort darauf gibt uns die Mischna. Sie beschreibt Bileams Persönlichkeit: »Ein missgünstiges Auge, ein hochmütiger Sinn und eine unersättliche Seele« (Sprüche der Väter 5,22).

Seine Niedertracht »verdankte« Bileam seinem schlechten Charakter, denn der Aufstieg in seiner geistigen Stufe war nicht von einem moralischen Aufstieg in seinem Charakter begleitet.

Drei Dinge sind es, die den Menschen grundsätzlich aus der Welt schaffen, so die Sprüche der Väter: »die Eifersucht (das missgünstige Auge), die Genusssucht (die unersättliche Seele) und die Jagd nach Ehre (der hochmütige Sinn)« (4,28). Alle drei Eigenschaften hafteten Bileam an und verdrängten ihn schließlich sowohl von der diesseitigen (4. Buch Moses 31, 8) als auch von der jenseitigen Welt (Sanhedrin 90a).

Der Autor ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln.

Paraschat Balak
Der Wochenabschnitt hat seinen Namen von dem moabitischen König. Dieser fürchtet die Israeliten und beauftragt den Propheten Bileam, das Volk Israel zu verfluchen. Doch Bileam segnet sie und prophezeit, dass die Feinde fallen werden.
4. Buch Moses 22,2 – 25,9

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024