Waera

Zu schwach für ein besseres Leben

Szene aus dem Spielfilm »Die Zehn Gebote« (USA 1956) Foto: picture alliance /

Der Wochenabschnitt Waera verlagert das Hauptgeschehen wieder nach Ägypten. Mosche ist aus seinem Exil in Midjan zurückgekehrt und hatte bereits eine erste Begegnung mit dem Pharao, seinem Widersacher. Ihr folgt eine Serie erfolgloser Treffen, die auf das Leben der Ägypter zwar immer drastischere Auswirkungen haben, für den neuen Anführer der Hebräer jedoch ohne Erfolg bleiben.

Die Bitte, die hebräischen Sklaven freizulassen, damit sie in der Wüste dem Ewigen dienen, schlägt der Pharao Mosche ab. Stattdessen erlegt er den Hebräern weitere Lasten auf.

Doch nicht nur die Verachtung des Pharaos bekümmert Mosche, sondern auch die Kritik und Beschimpfung durch sein Volk. Viele sagen, seine Verhandlungsversuche hätten ihnen nur Schwierigkeiten gebracht. Und so scheint es, dass Mosches Mission zu Ende geht, bevor sie richtig angefangen hat. Er scheitert mit dem diplomatischen Versuch, sein Volk zu befreien, und zweifelt an seinen Fähigkeiten.

VERHEISSUNG An diesem Tiefpunkt in Mosches Leben beginnt der Wochenabschnitt. Der Ewige nimmt wieder Kontakt zu Mosche auf und erinnert den ehemaligen Hirten daran, dass Er den Bund und die Verheißung des Landes Kanaan keineswegs vergessen hat. Was Er den Patriarchen Awraham, Jizchak und Jakow einst versprach, gilt nach wie vor.

Und so muss Mosche nochmals vor die Israeliten treten und ihnen verkünden, dass die Befreiung naht und Gott an ihrer Seite ist. Aber auch diese Botschaft kommt nicht bei ihnen an – zu sehr sind sie mit der Arbeit beschäftigt und haben keine Zeit für derlei Nachrichten.

Doch der Ewige lässt nicht nach. Erneut ruft er Mosche auf, zum Pharao zu gehen, um ihn aufzufordern, die Hebräer ziehen zu lassen. Doch Mosche weigert sich, die Aufgabe zu übernehmen, er hadert mit dem Ewigen und zweifelt an sich und seinen Fähigkeiten. Er glaubt nicht, dass er den Pharao davon überzeugen kann, das Volk ziehen zu lassen – zumal es ihm ja nicht einmal gelingt, die eigenen Leute von dem Vorhaben zu überzeugen.

So wie es auch später immer wieder der Fall sein wird, lässt das Volk schon am Anfang Mosche im Stich, und er zweifelt umso mehr an seinen Fähigkeiten, das Volk zu führen.

Doch er unterschätzt die Macht des Ewigen: Gott hat ihn als Anführer auserwählt und findet deshalb auch einen Weg, dass Mosche die Mission erfüllt. Gemeinsam mit seinem Bruder Aharon soll Mosche künftig nicht mehr als Diplomat zwischen dem Hof des Pharaos und den Siedlungen der Israeliten hin und her pendeln. Der Ewige erhebt sie beide zu Anführern, und als solche müssen sie nun auftreten: sowohl bei den Unterdrückten als auch bei den Unterdrückern. Sie müssen den Pharao davon überzeugen, die Israeliten freizulassen, und sie müssen die Israeliten davon überzeugen, dass sie es verdienen, frei zu sein und frei zu leben.

VERHÄRTET Die Sklaverei hat sowohl die ägyptischen Sklavenhalter als auch die hebräischen Sklaven nachhaltig verändert. Der Ewige muss Mosche und seinen Bruder anweisen, das verhärtete Herz des Pharaos zu erschüttern und die zerschlagenen Seelen der Israeliten aufzurichten.

Der zweite Teil der Anweisung, die der Ewige Mosche gab, erweist sich als der schwierigere: die Israeliten von der Freiheit zu überzeugen. Die vielen Jahre der Knechtschaft haben ihr Selbstvertrauen und den
Glauben an eine Veränderung schwinden lassen. Das Volk und seinen Geist wiederaufzurichten, ihm den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung einzupflanzen und ihn zu fördern – das sind die Herausforderungen, vor denen Mosche für den Rest seines Lebens steht.

Um zu beschreiben, wie das Volk den Unterdrücker Pharao hinter sich ließ, benötigt die Tora nur ein paar Kapitel: Sie erzählt von den zehn Plagen und dem Durchqueren des Roten Meeres. Viel schwieriger jedoch war es, aus den hebräischen Sklaven ein freies Volk zu machen.

Die Geschichte lehrt, dass es nicht genügt, sich aus den Klauen eines Tyrannen zu befreien, um frei zu sein, denn rasch kann ein weiteres autokratisches Regime entstehen mit einem neuen Tyrannen an der Spitze. Nötig ist der Aufbau einer Nation – dies bleibt ein wesentliches Element in allen Kämpfen gegen die Tyrannei.

Doch am Ende gelingt es Mosche, beide Teile der Herausforderung zu meistern. In den nächsten Wochenabschnitten werden wir lesen, wie er die pharaonische Unterdrückung besiegt und die Fesseln sprengt. Und wir werden sehen, wie er das Fundament für unsere Nation legt.

VERDIENST Mosches größtes Verdienst war nicht, dass er unser Volk in die Freiheit geführt hat, sondern dass er uns befähigt hat, frei zu sein. Der Auszug aus Ägypten war der notwendige erste Schritt.

Mosche entwickelt sich zu einem guten Anführer, einem Vater der Nation. Er überbringt uns die Tora, die moralische und ethische Verfassung unseres Volkes, führt ein System von Gebet und Opfer ein, verschafft damit allen den Zugang zum Göttlichen, und am Ende seiner Tage übergibt er die Führung friedlich an seinen Schüler Jehoschua.

Wir preisen Mosches Errungenschaften, indem wir von ihm als »Mosche Rabbenu«, unserem Lehrer Mosche, sprechen. Aber das tun wir nicht nur, weil er uns in die Freiheit geführt hat, sondern weil er uns gelehrt hat, wie wir frei leben können. Mosche nahm Gottes doppelten Auftrag an. Indem er sich dem Stolz und der Macht des Pharaos sowie der Angst und Verzweiflung unseres Volkes entgegenstellt, wird er zum Vorbild für einen Anführer, der nicht nur in der Lage ist, die Tyrannei zu beseitigen, sondern auch die Bedingungen für dauerhafte Freiheit zu schaffen.

Der Autor ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).


Inhalt
Der Wochenabschnitt Waera erzählt, wie die Kinder Israels Mosche und Aharon kein Gehör schenkten, obwohl Gottes Name ihnen von Mosche offenbart worden war. Mosche verwandelt vor den Augen des Pharaos seinen Stab in ein Krokodil und fordert den Herrscher auf, die Kinder Israels ziehen zu lassen. Der Pharao aber bleibt hart, und so kommen die ersten sieben Plagen über Ägypten: Blut, Frösche, Ungeziefer, wilde Tiere, Viehseuche, Aussatz und Hagelschlag. Auch danach bleibt der Pharao hart und lässt die Kinder Israels nicht ziehen.
2. Buch Mose 6,2 – 9,35

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024