Schemot

Zorn des Allmächtigen

Der Allmächtige benutzte das Maß des Gerichts, um das jüdische Volk zu bestrafen. Foto: Getty Images

Schemot

Zorn des Allmächtigen

Die Tora lehrt: Wenn das Volk Israel die Wege seiner Vorfahren verlässt, schickt G’tt Judenhasser

von Meir Israel Myropolskyy  23.12.2021 10:43 Uhr


Unser Wochenabschnitt beginnt mit den Worten: »Und dies sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen« (2. Buch Mose 1,1). Wir wissen, dass der Aufenthalt der Juden in Ägypten von diesem Moment an 210 Jahre betrug. Doch nicht während der gesamten Zeit des ägyptischen Exils waren sie Sklaven. In den ersten 116 Jahren, als die Häupter der zwölf Stämme noch am Leben waren, wurden Juden in Ägypten hoch geachtet.

Doch als Josef und seine Brüder gestorben waren, änderte sich die Lage. »Da erstand ein neuer König über Mizrajim, der von Josef nichts wusste« (1,8).

Es änderten sich die Machtverhältnisse, die politischen Ansichten und die Interessen der neuen Regierung – und auch die Einstellung gegenüber den in Ägypten lebenden Juden.

BESCHNEIDUNG In einer solchen Situation schien es den Juden notwendig, dem ägyptischen Volk und den Behörden gegenüber ihre Loyalität zu zeigen: Der Midrasch Schemot Rabba berichtet, nachdem Josef gestorben war, habe das jüdische Volk aufgehört, die Jungen zu beschneiden. Man sagte sich: »Lasst uns wie die Ägypter sein.«

Jahrzehntelang befolgten Juden das Gebot der Beschneidung nicht. Doch der Pharao sagte zu seinem Volk, die Kinder Israels seien zahlreicher und stärker als die Ägypter, und deshalb wolle er sie überlisten, damit sie nicht noch mehr werden. »Und sie setzten über sie Meister der Fronen, um sie zu drücken durch ihre Lastarbeiten« (2. Buch Mose 1,11).

Warum beschlossen die Ägypter, extreme Maßnahmen zu ergreifen, um die Juden zu versklaven, obwohl die Juden doch den Wunsch äußerten, wie die Ägypter zu sein?

Darauf antwortet der oben genannte Mi­drasch: Sobald sie erfüllten, was sie sagten, änderte der Allmächtige sofort die Haltung der Ägypter gegenüber den Juden – aus Liebe wurde Hass.

Während der Zeit der Liebe zu den Juden herrschten Frieden, Respekt und Wohlstand in Ägypten. Sie ernährten sich von der Milch der Erde. Das jüdische Volk nahm an der Entwicklung Ägyptens teil, und die Ägypter wurden von der Weisheit, Vernunft und Gerechtigkeit der Juden inspiriert und respektierten sie.

ASSIMILATION Doch dann »ward Jeschurun (Israel) feist und schlug aus« (5. Buch Mose 32,15). Das heißt: Die Juden wandten sich von G’tt ab und wurden mit den Ägyptern verwandt. Sie brachten die Kinder von den Pfaden ihrer Vorfahren ab und folgten stattdessen den Pfaden der Ägypter und deren Götzendienst. Dies war der Grund, warum der Allmächtige die Herzen der Ägypter den Juden gegenüber von Liebe zu Hass veränderte. Dementsprechend begann ein Prozess, sie von ihrer Erhabenheit zu erniedrigen.

Der Prophet Jecheskiel vermittelt genau, wie G’tt zu dem Verhalten der Juden in Ägypten stand: »Ich sprach zu ihnen: Jeder werfe von sich die Gräuel, die er vor Augen hat, dass ihr euch nicht verunreinigt an den Götzen Ägyptens. Ich bin der Herr, euer G’tt. Aber sie waren widerspenstig gegen Mich und wollten nicht auf Mich hören. Keiner warf von sich die Gräuel, die er vor Augen hatte, von den Götzen Ägyptens ließen sie nicht ab. Da dachte Ich in Meinem Grimm, über sie auszuschütten, Meinen Zorn an ihnen auszulassen mitten im Land Ägypten« (20, 7–8).

Diejenigen Juden, die die Pfade ihrer Vorfahren verließen, begannen, sich noch schlimmer zu benehmen, unternahmen alle Anstrengungen, um in den Augen der Ägypter Gefallen zu finden. Heuchelei wurde zu einer Lebenseinstellung, bis die Mehrheit der Juden sie übernahm.

FINSTERNIS Der Allmächtige benutzte das Maß des Gerichts, um das jüdische Volk zu bestrafen. Es ist nur den Gerechten zu verdanken, die auf G’tt vertrauten und seinen Namen selbstlos verteidigten, dass der Allmächtige schwor, sie zu befreien und zu Seinem Volk und Seinem Erbe zu machen. Er entschied hingegen, diejenigen, die die Wege des Allmächtigen verlassen hatten und die ihre Taten nicht bereuten, zu bestrafen und aus der Welt zu entfernen.

Es geschah während der achten Plage, der Finsternis. Genauso wie der Allmächtige die Haltung der Ägypter den Juden gegenüber veränderte und das Herz des Pharaos verhärtete, um die Juden nicht aus Ägypten ziehen zu lassen, genauso konnte er dies auch wieder rückgängig machen. Er sagte zu Mosche: »Geh zum Pharao, denn Ich habe verstockt sein Herz und das Herz seiner Diener, damit Ich tue diese Meine Zeichen in seinem Innern; damit du erzählst vor den Ohren deiner Kinder und Kindeskinder, wie ich Mich wundertätig bewiesen (…) und Meine Zeichen unter ihnen getan habe« (2. Buch Mose 10, 1–2).

Der Allmächtige führt eine Person in die Irre, sodass sie denken könnte, das, was geschah, wäre tatsächlich von ihr abhängig gewesen. Der Allmächtige bat Pharao durch Mosche, das Volk ziehen zu lassen. In diesem Moment dachte der Pharao, dass die Befreiung von ihm abhing. Aber alle zehn Plagen beweisen das Gegenteil – wie es in König Schlomos Sprüchen heißt: »Mit den Spöttern treibt er Spott« (3,34).

Das Beispiel aus unserem Wochenabschnitt zeigt die Führung des Allmächtigen in dieser Welt. Dies ist eine Lektion für alle Generationen, sagen unsere Weisen. Die Geschichte wiederholt sich ständig. Jedes Mal, wenn die Juden den Weg ihrer Vorfahren verlassen, schickt der Allmächtige die schlimmsten Judenhasser, lässt Pogrome zu.

Wir lesen dazu Folgendes im Midrasch: »Wisse, dass ich der Zerstreuer bin, und wisse, dass ich der Sammler bin, wisse, dass ich der Versklaver bin, und wisse, dass ich der Retter bin« (Bereschit Rabba 44,18).

So liegt es gerade in schwierigen Zeiten und Krisensituationen an uns, auf dem Pfad des Allmächtigen zu bleiben und ihm zu folgen.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

inhalt
Der Wochenabschnitt Schemot erzählt von einem neuen Pharao, der die Kinder Israels versklavt. Er ordnet an, alle männlichen Erstgeborenen der Hebräer zu töten. Eine Frau aus dem Stamm Levi will ihren Sohn retten und setzt ihn in einem Körbchen auf dem Nil aus. Pharaos Tochter findet das Kind, adoptiert es und gibt ihm den Namen Mosche. Der Junge wächst im Haus des Pharaos auf. Erwachsen geworden, erschlägt Mosche im Eifer einen Ägypter und muss fliehen. Er kommt nach Midjan und heiratet dort die Tochter des Priesters Jitro. Der Ewige spricht zu Mosche aus einem brennenden Dornbusch und beauftragt ihn, zum Pharao zu gehen und die Kinder Israels aus Ägypten hinauszuführen.
2. Buch Mose 1,1 – 6,1

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025