Talmudisches

Ziemlich verzweifelt

Ein wichtiger Grundsatz im Judentum ist es, dass G’tt die Menschen stets dazu auffordert, Reue zu üben. Foto: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland.

Im Traktat Berachot berichtet der Talmud, dass in der Nachbarschaft des berühmten Gelehrten Rabbi Meir mehrere Männer lebten, deren Verhalten äußerst ungebührlich und bedrohlich war.

Sie verursachten dem Rabbi viel Qual und Betrübnis. In seiner Verzweiflung beschloss er zu beten, der Ewige möge diese Nachbarn für immer zum Schweigen bringen.

Seine Frau Beruria war äußerst gelehrt und für ihre scharfe Zunge bekannt. Als sie hörte, dass ihr Mann für den Tod dieser Unruhestifter betete, war sie verzweifelt. Sie fragte ihren Mann: »Will G’tt, dass die Übeltäter sterben? Nein! G’tt möchte, dass sie aufhören, Böses zu tun, und anfangen, ein anständiges Leben zu führen. Wenn deine Gebete ihren Tod erwirken können, warum betest du dann nicht darum, dass sie ihre üblen Wege verlassen?«

ARGUMENT Als Rabbi Meir die Worte seiner Frau hörte, akzeptierte er ihre Argumente und betete darum, dass die Bösewichte ihren argen Weg verlassen und sich bessern. Sein Gebet wurde erhört, und die Nachbarn wurden zu rechtschaffenen Menschen.

Man könnte jetzt fragen: Warum wollte Rabbi Meir, dass sie sterben? Er war einer der weisesten Männer seiner Generation. Sicherlich wusste er, dass er sowohl für ihren Tod als auch für die Besserung seiner Nachbarn hätte beten können. Warum hat er sich dafür entschieden, ihren Tod durch G’tt herbeizuführen?

Und wenn seine Gebete solche Macht hatten, dass sie erhört wurden, warum antwortete G’tt ihm nicht, als er um ihren Tod flehte, sondern erst, als er darum betete, dass sie sich bessern?
Vielleicht dachte der Rabbi, dass es keinen Sinn hätte, seine Nachbarn davon überzeugen zu wollen, sich zu ändern. Meinte er, dass es ihm unmöglich gewesen wäre, diese Menschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre bösen Wege verlassen?

War ihm diese Überzeugungsarbeit nicht der Mühe wert? Hatte er an all die Kriege mit ihrer furchtbaren Schlagkraft gedacht und daran, dass das Einschlagen friedlicher Prozesse, wenn es um Eintracht und Harmonie geht, selten von Erfolg gekrönt ist? Gehören nicht immer zwei dazu, um friedlich miteinander leben zu können? Also erschien es ihm viel einfacher, um den Tod der Nachbarn zu beten, als sie immer wieder zu ermahnen und sie zu überzeugen, ihr Verhalten zu ändern.

Handeln Als seine Frau ihm sagte, dass es besser sei, für die Umkehr der Nachbarn zu beten, damit sie bereuen und sich bessern, bekannte sich Rabbi Meir zu seinem Fehler. Und nun wollte auch er wegen seiner üblen Ansicht und seines unrechten Handelns Buße tun.

Ein wichtiger Grundsatz im Judentum ist es, dass G’tt die Menschen stets dazu auffordert, Reue zu üben. Wenn jemand aufrichtig Vergebung von G’tt für eine unangemessene Handlung erbittet, die er zutiefst bedauert, wird der Allmächtige gewiss einlenken.

Also betete Rabbi Meir dafür, dass er sein Handeln aufrichtig bereuen kann. Aber jetzt bezog er auch die Nachbarn in seine Bußgebete mit ein. Als er eingesehen hatte, dass der Ewige stets die Sühne wünscht, wusste er auch, dass G’tt den Menschen die Fähigkeit vom Himmel herab schicken würde, ihre We­ge zu bessern.

Daraus lernen wir, wie wichtig es ist, immer das Beste für unsere Freunde und Nachbarn zu suchen. Und dass G’tt immer unsere Entscheidung begrüßt, unsere eigenen Taten und unser Handeln zum Guten zu ändern.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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