Leipzig

Zeitgenössischer Diskurs

Buchpräsentation: Moderatorin Hannah Tzuberi mit den Rabbinern Moshe Baumel, Daniel Fabian und Zsolt Balla (v.l.) Foto: ddk

»Auf all Deinen Wegen erkenne Ihn«: Dieser Satz aus Mischlei, den biblischen Sprüchen Salomos, war am Eingang zum Hildesheimer Seminar, das 1873 von Rabbiner Esriel Hildesheimer begründet wurde, zu lesen. In dessen Tradition wurde 2009 das Rabbinerseminar zu Berlin wiedereröffnet – mit demselben Leitmotiv. Und unter diesem Titel erscheint jetzt ein Buch, das am Montagabend im Leipziger Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus vorgestellt wurde.

Küf Kaufmann, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden, machte zu Beginn darauf aufmerksam, wie außergewöhnlich diese Publikation des Rabbinerseminars sei. Gewöhnlich sei, dass man Weisen aus weit entfernter Zeit zitiert und versucht, das auf unsere Zeit zu übertragen, sagte er. Nun aber liege ein Buch vor, »in dem unsere Weisen von heute, stehend auf dem Fundament der jüdischen Lehre, über zeitgenössische Probleme sprechen«.

hoffnung Der Leipziger Gemeinderabbiner Zsolt Balla, zugleich sächsischer Landesrabbiner und seit Kurzem auch Militärbundesrabbiner, drückte seine Hoffnung aus, dass damit verdeutlicht werden könne, »dass traditionelles Judentum auch im 21. Jahrhundert aktuell ist«.

Rabbiner Balla hat zu ebendiesem Thema, der zeitgenössischen Orthodoxie, einen Text für das Buch verfasst, der im Kapitel über den Beitrag des Judentums für die Welt von einem Text von Rabbiner Joseph Wohlgemuth begleitet wird.

Wohlgemuth hatte 1914 »Jeschurun« begründet. Dieser religiös-orthodoxen Monatszeitschrift wurden nun verschiedene Texte für eine Neuauflage entnommen, die im Buch zeitgenössischen Texten von Absolventen des Rabbinerseminars gegenübergestellt wurden. So hat sich beispielsweise Rabbiner Avraham Radbil Gedanken zum Thema Moral und Gesellschaft gemacht, die den Text »Über die sittliche Welt« von Hermann Wehl ergänzen.

moderne Zum Thema Judentum in der Moderne hat Rabbiner Daniel Fabian einen Aufsatz über die Rolle des Zufalls in der Wissenschaft und Tradition verfasst, der im Buch den Ausführungen zu »Thora und Wissenschaft« von Rabbiner David Hoffmann folgt. Hoffmann, der in der Nachfolge von Esriel Hildesheimer Rektor des Seminars war, verstarb 1921 in Berlin, die Buchpräsentation fand jetzt an seinem 100. Todestag statt.

Der Herausgeber des bei Hentrich & Hentrich erschienenen Buches, Rabbiner Moshe Baumel, machte deutlich, dass die Herausforderungen und Fragestellungen der heutigen Zeit größtenteils andere sind als im 19. Jahrhundert. Dennoch könnten die Antworten darau wie seit Jahrtausenden aus dem immensen Wissensschatz des jüdischen Gedankengutes geschöpft werden: »Die Antworten, die die Orthodoxie gibt, haben in ihrem Ursprung einen Charakter der Ewigkeit. Nur die Sprache, in der die Inhalte vermittelt werden, die ändert sich.«

Und noch etwas habe sich geändert: Anders als in den Veröffentlichungen des vorigen Jahrhunderts würden im aktuellen Werk Frauen einen ebenfalls bedeutenden Beitrag leisten. »Auch die Orthodoxie durchgeht einen ständigen Wandel und entwickelt sich immer weiter«, so Rabbiner Baumel.

beiträge Das Buch enthält Beiträge von Rebbetzin Ita Afanasev, die über jüdische Bildung und einen »Elternführerschein« geschrieben hat, und von Sarah Serebrinski, der Geschäftsführerin des Rabbinerseminars, die sich zur Frage des sozial-gerechten Staates im Judentum äußert.

»Passend zu den diesjährigen Feierlichkeiten zu 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland soll das vorliegende Werk einen Einblick in die spannende Gedankenwelt der deutsch-jüdischen Orthodoxie von heute bieten«, betonte Rabbiner Baumel. Und auf den Buchtitel und Leitgedanken »Auf all deinen Wegen erkenne Ihn« verweisend sagt er, dass das Judentum nicht nur auf das Religiöse reduziert werden sollte. Vielmehr sei das Göttliche auch in der Wissenschaft, Kunst, Geschichte, Politik, Gesellschaft und vielen weiteren Bereichen der Gesellschaft zu erkennen. ddk

»Auf all deinen Wegen erkenne Ihn«. Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig, 2021, 272 S., 24,90 €

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025

Schoftim

Recht sprechen

Eine Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich an ihrer moralischen Gesetzgebung orientiert

von Rabbiner Avraham Radbil  29.08.2025

Talmudisches

Der heimliche Verbrecher

Über Menschen, die nicht aus Wahrheit, sondern aus Selbstdarstellung handeln

von Vyacheslav Dobrovych  29.08.2025

Kiddusch Haschem

»Ich wurde als Jude geboren. Ich werde als Jude sterben«

Yarden Bibas weigerte sich gegenüber den Terroristen, seinen Glauben abzulegen. Wie viele vor ihm lehnte er eine Konversion ab, auch wenn ihn dies beinahe das Leben gekostet hätte

von Rabbiner Dovid Gernetz  28.08.2025

Israel

Rabbiner verhindert Anschlag auf Generalstaatsanwältin

Ein Mann hatte den früheren Oberrabbiner Jitzchak Josef um dessen religiöse Zustimmung zur »Tötung eines Aggressors« ersucht. Die Hintergründe

 26.08.2025 Aktualisiert