Tu Bischwat

Zeit der spirituellen Erneuerung

Bäume symbolisieren den Menschen, so wie geschrieben steht: »Denn der Mensch ist wie der Baum des Feldes …« (5. Buch Mose 20,19). Foto: Getty Images

Tu Bischwat, der 15. Tag des jüdischen Monats Schwat, wird im Judentum auf solch unterschiedliche Weise gefeiert, dass man sich manchmal fragt, ob es sich überhaupt um denselben Feiertag handelt. Alle stimmen aber zumindest darin überein, dass Tu Bischwat erstmals in der Mischna (Traktat Rosch Haschana Kapitel 1, Mischna 1) erwähnt wird: »Am 1. Schwat ist Neujahr für die Bäume, laut der Meinung von Bet Schamai. Bet Hillel hingegen sagt, am 15. dieses Monats (Schwat).«

Das Datum der Pflanzung beziehungsweise der Ernte ist maßgebend bei den halachischen Gesetzen der Landwirtschaft im Land Israel, wie Orla (in den ersten drei Jahren nach der Pflanzung sind Früchte von Obstbäumen verboten), Truma (Abgaben an die Kohanim) und Maasrot (Abgabe eines Zehntels an die Leviim und der Verzehr der Früchte in Jerusalem in bestimmten Jahren des Schmitta-Zyklus).

wendepunkt Die Halacha folgt stets der Meinung von Beit Hillel, sodass das neue Jahr für die Bäume an Tu Bischwat beginnt. Jedoch werden außer dem halachischen Wendepunkt hinsichtlich der Landwirtschaft weder in der Mischna noch im Talmud irgendwelche Besonderheiten hinsichtlich dieses Tages erwähnt.

Der Erste, der die Bedeutung von Tu Bischwat ausdehnte, war Rabbenu Gerschom Meor HaGola im 10. Jahrhundert. Er schreibt (Responsen von Rabbenu Gerschom Siman 14), dass an Tu Bischwat nicht gefastet werden darf, weil es das Neujahr der Bäume ist, so wie an Rosch Haschana das Fasten untersagt ist.

Ebenso finden wir in den Responsen von Rabbi Meir aus Rothenburg (1215–1293), dass an Tu Bischwat das tägliche Tachanun-Gebet (»Flehen«), das auf die Amida folgt, ausgelassen wird. Obwohl es sich bei diesen Gelehrten um Repräsentanten der aschkenasischen Tradition handelt und diese Gesetze nirgends in den Schriften der sefardischen Gelehrten erwähnt werden, wird beides im Schulchan Aruch von Rabbi Yosef Karo (1488–1575) als Halacha festgelegt. Somit hat Tu Bischwat laut allen Meinungen zumindest hinsichtlich des Fastens und Tachanun den Status eines Feiertags.

Es gibt einen verbreiteten Brauch an Tu Bischwat, Früchte zu essen.

Aber was genau wird an Tu Bischwat gefeiert? Rabbi Schmuel Bornstein (1855–1926) erklärt, dass Bäume den Menschen symbolisieren, so wie geschrieben steht: »Denn der Mensch ist wie der Baum des Feldes …« (5. Buch Mose 20,19). Im Talmud (Rosch Haschana 14a) steht, dass die Bäume im ersten Drittel des Jahres (während des Winters) mit Regen begossen werden und ab Tu Bischwat das Wachstum der Früchte beginnt. So bekommt auch der Mensch im ersten Drittel des Jahres regelmäßig spirituelle Inspiration von G’tt, und falls er sie nicht verliert, beginnen jetzt das geistige Wachstum und die spirituelle Erneuerung. Eben das ist der Anlass zur Freude.

kabbalisten Es gibt einen verbreiteten Brauch an Tu Bischwat, Früchte zu essen. Dieser Brauch wird erstmals von dem marokkanischen Gelehrten Rabbi Yissachar Ibn Soussan (1510–1575) in seinem Werk Tikkun Yis­sachar als aschkenasischer Brauch erwähnt und von Rabbi Avraham Gombiner (1635–1682) in seinem Kommentar »Magen Awraham« zum Schulchan Aruch zitiert. Im Jahr 1731 wurde im türkischen Izmir der »Seder von Tu Bischwat« veröffentlicht, so wie er von den Kabbalisten in Safed gepflegt wurde.

Es werden die sieben Früchte des Landes Israel (Weizen, Gerste, Trauben, Granatapfel, Oliven, Feigen und Datteln) und zusätzlich insgesamt 30 Früchte gegessen: zehn Früchte, die vollkommen gegessen werden (wie Trauben, Feigen und Äpfel); zehn Früchte, bei denen nur der Inhalt genießbar ist (wie Walnüsse, Orangen und Granatapfel), und zehn Früchte, die einen Kern haben (wie Oliven, Datteln und Pflaumen).

Diese drei Kategorien mit je zehn Früchten symbolisieren das kabbalistische Konzept der drei Welten: Olam Habrija (gesamt), Olam Haasija (nur Inhalt) und Olam Hajezira (nur das Äußere) mit je zehn Sefirot. Zudem werden insgesamt vier Gläser Wein oder Traubensaft getrunken, und es werden Verse aus dem Tanach über die Besonderheit und Heiligkeit des Landes Israel rezitiert.

seder Der Brauch des Tu-Bischwat-Seders wird heute hauptsächlich von sefardischen Juden, Chassidim und von der Mizrachi-Bewegung praktiziert. Ende des 19. Jahrhunderts wurde damit begonnen, an Tu Bischwat Bäume in Eretz Israel zu pflanzen, und es entwickelte sich ein jährliches Ritual, das später vom Jüdischen Nationalfonds KKL aufgegriffen wurde. In manchen Jahren sollen an der Pflanzung von Bäumen an Tu Bischwat mehr als eine Million Israelis beteiligt gewesen sein.

Tu Bischwat hat viele Gesichter, und ob wir nun an diesem Tag nur die sieben Früchte essen, einen Tu-Bischwat-Seder abhalten oder einen Baum pflanzen – wir dürfen nicht vergessen: Die Tora vergleicht uns Menschen mit Bäumen, und Tu Bischwat markiert die Zeit unserer spirituellen Erneuerung.

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024