Lichterfest

Wundern über das Wunder

Nachfüllen von Öl im Leuchter Foto: Flash 90

»Man fand nichts als ein einziges Krüglein mit reinem Öl, das mit dem Siegel des Hohepriesters versehen war; es war jedoch nur noch genug Öl darin, um einen Tag zu brennen. Da geschah ein Wunder, und es brannte acht Tage lang – bis man Oliven gestoßen und reines Öl gewonnen hatte.« So berichtet der Babylonische Talmud im Traktat Schabbat 21b über das Wunder von Chanukka.

Doch wenn man diese Überlieferung kritisch hinterfragt, stellen sich mehrere Probleme: Die Geschichte wird nicht in den Makkabäerbüchern erwähnt, sondern nur im Talmud, und zwar fast 700 Jahre, nachdem sie passiert sein soll. Und in den Makkabäerbüchern feierten die jüdischen Helden acht Tage Sukkot – nicht Chanukka, das Einweihungsfest des Tempels.

Oliven Laut Talmud brauchten die Makkabäer also Öl für ihre Lampen. Aber wie viel Öl und für wie viele Lampen? Laut dieser Geschichte dauerte es acht Tage, bis sie neues Öl vorbereitet hatten. Warum ausgerechnet acht? Und wenn sich das Wunder wirklich im Wintermonat Kislew ereignete – wie viele frische Oliven waren dann überhaupt noch übrig? Die Olivenernte war doch längst vorbei.

Außerdem, hätte man in einer Zeit der Not das Öl nicht schneller pressen können? Haben die Makkabäer gewartet, als ihre erste Flasche Öl fertiggepresst war, in der Hoffnung, die Lampe würde noch mehrere Tage brennen? Und war es für Gott wirklich wichtig, dass das Öl aus einem Krug mit einem »Tempel-Stempel«, also dem »Hechscher« (Koschersiegel) des Hohepriesters stammte? Ist Öl überhaupt heilig, wenn es nicht von Priestern gepresst wird?

Tempel Die Makkabäerbrüder, auch wenn sie alle Kohanim waren, waren jedenfalls unrein – sie hatten Blut an den Händen und hätten den Tempel gar nicht betreten dürfen. Es gibt vieles, worüber man sich bei der Chanukkageschichte wundern kann.

Das hebräische Wort für Öl ist »Schemen«. Dazu gibt es ein Wortspiel: »Schem tow, mischemen tova« – ein guter Ruf ist besser als gutes Öl. Die Makkabäer nahmen irgendwann den Namen »Chaschmonaim« an – keiner weiß, warum. Könnte es etwas mit »Schemen« zu tun haben? Oder mit dem Wort »Schemona« – Hebräisch für »acht« (Tage des Chanukkafests)?

Kinderparty
Auch abgesehen vom Ölwunder ist Chanukka für viele ein problematisches Fest – deswegen macht man daraus eine Kinderparty, statt gründlich darüber nachzudenken. Gerade in einer Zeit, in der religiöser Fundamentalismus einen schlechten Ruf hat, ist es schwierig, die heldenhaften Taten der Makkabäer ohne Kritik und Sorge zu interpretieren.

Für die rabbinischen Gelehrten war Chanukka nahezu unbedeutend. Das ist leicht zu verstehen. Erstens geht es um den Tempel. Die Rabbinen waren aber keine Priester und hatten eine sehr ambivalente und kritische Perspektive auf das Tempelritual. Zweitens, warum sollte man feiern, dass der Tempel im Jahr 167 v.d.Z. wiedereingeweiht worden war, wenn er schon im Jahr 70 n.d.Z. erneut zerstört wurde?

Über Purim gibt es ein eigenes Buch im Tanach, der Hebräischen Bibel, sowie ein Buch in Mischna und Talmud – Megilla. Über Chanukka finden wir kaum etwas. Die Makkabäerbücher wurden nicht in den Kanon aufgenommen und erst später überliefert – ausgerechnet auf Griechisch! Das spätere Gebet »Al HaNissim« (»Für die Wunder«) dankt Gott für sein Eingreifen – obwohl Gott in den Makkabäerbüchern, ebenso wie in der Megillat Esther, nicht aktiv vorkommt.

Man könnte sogar fragen: Wie war es möglich, dass Gott es zuließ, seinen eigenen Tempel vom hellenistischen Establishment, also von Kollaborateuren mit der Regierung der Besatzer, entweihen zu lassen? Man spricht und singt gerne über einen Kampf der »Juden gegen die Griechen« – doch so einfach war es in Wirklichkeit nicht.

Megillat Antiochos Viel später, im Mittelalter, hat jemand eine Megillat Antiochos geschrieben, aber eigentlich waren die Makkabäer in der jüdischen Überlieferung keine Vorbilder. Erst der Zionismus brauchte solche Helden: Juden, die zur Waffe greifen, wenn es nötig ist; stolze Juden, die keine wehrlosen Opfer sein wollen. Was heutige Chanukkapartys und den Geschenkkult angeht: Ich bin mir fast sicher, ohne Weihnachten wäre Chanukka längst vergessen.

Doch zurück zum Öl: An Chanukka isst man alles, was in Fett gebraten wird – vor allem Latkes und Sufganiot. Dass das dick macht, ist natürlich kein Wunder.

Psalmen

»Vielleicht weil Du nie hier warst«

Wo nur war Gott in den Gaskammern? Menachem Rosensaft, Sohn zweier Schoa-Überlebender, nähert sich dieser radikalen Frage in 150 Gedichten

von Menachem Rosensaft  01.08.2025

Paviane

Tiere sind göttliche Schöpfung

Im Nürnberger Tiergarten wurden unter viel Protest zwölf Affen getötet. Auch aus jüdischer Sicht ist der Fall kritisch

von Rabbiner Avraham Radbil  31.07.2025

Zahl der Woche

25 Stunden

Fun Facts und Wissenswertes

 31.07.2025

Dewarim

Vermächtnis und Vision

Was Mosches Abschiedsrede mit der Prophezeiung Jeschajahus verbindet

von Rabbiner Joel Berger  31.07.2025

Mouhanad Khorchide

»Die Wurzeln des Islams liegen im Judentum«

Der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, über projüdische Erzählungen im Koran und den Kampf gegen Antisemitismus als zentrales islamisches Anliegen

von Judith Kubitscheck  31.07.2025

Religiöse Praxis

Weg von dem Bild »Mann mit Hut«: Wenn Frauen Rabbinerinnen werden

Eine Premiere nach der Schoah: Vor 30 Jahren trat Bea Wyler als erste Frau das rabbinische Amt in Deutschland an. Anlass, auf die Lage von Rabbinerinnen heute zu schauen - und darauf, was es mit »liberox« auf sich hat

von Leticia Witte  30.07.2025

Erziehung

Es ist schön, jüdisch zu sein!

Wie wir unsere Kinder gerade in schwierigen Zeiten in ihrer Identität bestärken können

von Daniela Fabian  25.07.2025

Mystik

Zimzum

Die Welt existiert nicht trotz, sondern wegen einer g’ttlichen Selbstbeschränkung. Erklärungen zu einem kabbalistischen Konzept

von Chajm Guski, Kabbalah, Mystik, Tzimtzum, Zimzum  25.07.2025

Talmudisches

Der Engel des Todes

Was hilft gegen das Sterben? Lernen, beten – und gute Ausreden

von Rabbinerin Yael Deusel  25.07.2025