Irak

Wo Jecheskel begraben liegt

Der Prophet Jecheskel zählt zu den wichtigsten Propheten des jüdischen Volkes und zu denen, die in ihrer Wahrsagung ziemlich richtiglagen. Die größten Brüche der jüdischen Geschichte spiegeln sich in seiner Biografie wider.

Gemeinsam mit anderen Israeliten wurde Jecheskel nach Babylon verschleppt (598 v.d.Z.) und erfuhr Jahre später von der Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem (587 v.d.Z.). Seine Prophezeiungen von der Zerstörung und Wiedererrichtung des Tempels und der Verschleppung der Israeliten nach Babylon haben sich alle bewahrheitet.

Kanon Das Buch Jecheskel gehört zum Kanon der Hebräischen Bibel, dem Tenach. Verschiedene Kapitel werden im Schabbatgottesdienst häufig nach der Toravorlesung vorgetragen (Haftarot). Die Sprache Jecheskels ist eindringlich und mythisch verwoben.

»Der erhabene Inhalt der Haftara«, schreibt der bekannte Übersetzer Selig Bamberger, »lässt sich durch eine Übersetzung nicht wiedergeben.« Dabei handelt es sich um die ersten Kapitel, die an Schawuot nach dem Wochenabschnitt der Tora vorgetragen werden. Doch Jecheskel zählt zum Glück nicht nur für die Juden zu den wichtigsten Propheten. Auch im Christentum hat er seinen Platz, und im Koran wird er ebenfalls als Prophet angenommen.

Diese Stellung schützt bis heute seine Grabstelle, die sich in der irakischen Kleinstadt Kifl befindet. Sie liegt 112 Kilometer südlich von Bagdad, nahe des Euphrat, in der einstigen jüdischen Hochburg. Nach der Staatsgründung Israels mussten die Juden aus der Stadt fliehen und die wichtige Stätte den Muslimen überlassen.

Judith Neurink, eine Journalistin der israelischen Tageszeitung »Haaretz«, machte sich Anfang Februar 2020 auf den Weg dorthin. Sie hatte ungehinderten Zugang zu der Stätte und traf dabei auf den muslimischen Grabführer Ahmed Abdelrahman.

Verwalter Der 31-Jährige ist der Enkel von Haji Thrab, der zum Verwalter der Synagoge ernannt wurde, als die Juden Kifls flüchten mussten. Früher befand sich das Grab Jecheskels nämlich in der Synagoge selbst. Doch in den 70er-Jahren wurde das jüdische Gebetshaus zu einer Moschee umgebaut. Das Grab Jecheskels wurde allerdings nicht angetastet.

In den darauffolgenden Jahren verwandelte sich diese schiitische Moschee in einen Wallfahrtsort, vorwiegend für Muslime. Die Inschriften hätten die fünf Jahrzehnte, die seit der Umwandlung in eine Moschee verstrichen waren, nicht schadlos überstanden, berichtete die Journalistin.

Die hebräischen Buchstaben seien aber noch immer lesbar. Andere jüdische Symbole, wie gemalte Blumen und dreiarmige Kerzen, sind als Ornamente an der Kuppel bewahrt. Auch eine Nische, in der früher vermutlich die Torarolle aufbewahrt wurde, hat die Zeit des Umbruchs überstanden. Vor der Holztür hängt heute ein Netz, an dem die Pilger ihre Wunschbänder befestigt haben.

Abdelrahman, der Grabführer, gab sich gegenüber der Journalistin allerdings bedeckt. »Sie (die damaligen Juden) haben hier etwas mit ihrem Buch und den Kerzen gemacht«, sagte er.

Mehr oder weniger im Originalzustand befindet sich heute nur noch der Schrein. Er soll im zweiten Jahrhundert n.d.Z. errichtet worden sein, also etwa 700 Jahre nach Jecheskels Tod (569 v.d.Z.)

Nur noch der Schrein, die Kuppel und der Turm sind von der ursprünglichen Anlage übrig.

Die unter Saddam Hussein umgebaute Moschee wurde 2008 endgültig abgerissen und durch eine neue Moschee mit einer traditionell schiitischen, blau gefliesten Kuppel ersetzt. Der Schrein, seine Kuppel und ein alter schiefer Turm, konstatiert die Journalistin ernüchtert, seien alles, was vom ursprünglichen Grundriss übrig geblieben ist. Auf dem schiefen Turm sollen seit Jahrhunderten Störche nisten.

Souk In der jüngsten Vergangenheit hat das ehemalige jüdische Zentrum in Kifl neue Impulse erfahren. Der alte jüdische Markt (Souk) wurde nach den alten Plänen rekonstruiert. Und auch ein alter Zugang zum Grab soll wieder möglich werden.

Abdelrahman hofft, dass die Arbeiten in Zukunft zu einem Anstieg von Pilgerreisen führen werden. Im Unterschied zu anderen Städten im Irak sei es in Kifl nie zu antisemitischen Attentaten gekommen, sagte er. Juden und Muslime hätten in friedlichem Miteinander gelebt. So hätten die Juden den Muslimen stets erlaubt, das Grab Jecheskels aufzusuchen.

Während also das Gebäude in den letzten 70 Jahren baulich und religiös immer wieder neu interpretiert wurde, gilt die Person Jecheskel als fix und gesichert. Selbst bei modernen Bibelforschern. Dass Jecheskel in der Zeit zwischen den beiden jüdischen Tempeln tatsächlich gelebt hat, wird als Gewissheit anerkannt.

Popsong Säkularen Israelis ist der Prophet auch durch einen Popsong bekannt: »Yechezkel« erschien 1967 auf dem Debütalbum der israelischen Rock-Pop-Band »Hachalonot Hagwohim«. Darin wird Jecheskel als »Bomba schel Navi« (»eine Bombe von einem Propheten«) bezeichnet. Über den Text, in dem es heißt, dass »elef chatichot« (1000 »Stücke« beziehungsweise gut aussehende Frauen) bei der Auferstehung hinter Jecheskel herliefen, sind die Meinungen bis heute geteilt.

Unterschiedliche Ansichten gibt es auch über die Autorschaft seines Werkes. Der israelische Sprachforscher Elon Gilad schreibt dem Propheten höchstens 15 von insgesamt 48 Kapiteln seines biblischen Buches zu. Die anderen Texte unterschieden sich zu stark in Stil, Sprache und Inhalt, so Gilad. Sie sollen erst später, nach seinem Tod, hinzugefügt worden sein.

Kino Einer dieser Verse, die nach dieser Meinung erst später dazugekommen sind, hat sich in das Gedächtnis vieler Cineasten eingenistet. Der Satz steht am Ende von Kapitel 27: »Und ich (Gott) werde an ihnen große Racheakte ausführen, und sie werden erkennen, dass ich der Gott bin, der an ihnen meinen Groll ausrichtet.« Er wird im Film Pulp Fiction mehrmals zitiert.

Ein anderer, tröstlicher, Spruch steht in Kapitel 37, Satz 14: »Und ich werde meinen Geist in euch legen, und ihr werdet leben, und ich werde euch auf euer Land setzen, und ihr werdet wissen, dass ich, Gott, gesprochen und ausgeführt habe ...« Diese Zusage befindet sich auch in Lettern über einem Tor zur Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

In Zeiten von Corona weiß niemand, wann wieder Touristen in den Irak reisen können. Doch es wäre sehr zu wünschen, dass das Grab dieses Propheten, dessen Werk so unterschiedliche Stile kennt, auch einer jüdischen Öffentlichkeit wieder zugänglich wird. Und bis dahin müssen wir uns damit begnügen, das Buch Jecheskel zu lesen.

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