Talmudisches

Wie aus Hühnern Ziegen wurden

Hühner verkaufen und Ziegen kaufen – eine enorme Wertsteigerung Foto: imago/blickwinkel

Ein Mann ging über Land – vielleicht war er auf dem Heimweg vom Markt –, und er hatte einige Hühner bei sich. Als er unterwegs müde und hungrig wurde, beschloss er im nächsten Ort, seine Hühner irgendwo zu deponieren und sich etwas zu essen zu suchen. Leider hatte er bis zu seiner Rückkehr vergessen, wo er die Tiere gelassen hatte, und so musste er ohne sie nach Hause gehen.

Die Hühner befanden sich derweil vor dem Haus von Rabbi Chanina ben Dosa, wo dessen Frau ein Auge auf sie hatte. Als niemand kam, um die Hühner abzuholen, erbarmte sie sich der Tiere, nahm sie mit hinein, fütterte sie, gab ihnen Wasser – und freute sich auf die Eier, die sie legen würden (Ta’anit 25a).

Der Rabbi war über den unerwarteten Hühnersegen vermutlich nicht sehr froh.

Eier Doch ihr Mann verbot ihr, die Eier zu nehmen, war das Federvieh doch fremdes Eigentum. Die Hühner legten nun fleißig Eier und brüteten sie aus, und bald hatten Rabbi Chanina und seine Frau das ganze Anwesen voller Hühner.

Der Rabbi war über den unerwarteten Hühnersegen vermutlich nicht sehr froh. Nicht nur, dass er sie, in Erwartung der Rückkehr ihres rechtmäßigen Besitzers, aus eigener Tasche ernähren musste. Sie machten wohl auch Lärm und bescherten ihm obendrein eine Menge unschöner Hinterlassenschaften.

Also beschloss er eines Tages, die Hühner zu verkaufen und von dem Erlös Ziegen anzuschaffen.

Nach geraumer Zeit begab es sich, dass zwei Männer am Haus von Rabbi Chanina vorbeigingen, und er hörte, wie der eine zum anderen sagte: »Da ist ja das Haus, wo ich seinerzeit meine Hühner abgelegt habe!«

Fremde Schnell ging Rabbi Chanina zu ihnen und fragte den Fremden nach verschiedenen Merkmalen der Hühner. Tatsächlich konnte der Mann diese genau beschreiben, und so übergab Rabbi Chanina ihm am Ende die Ziegen, die er für die Hühner gekauft hatte. Eine enorme Wertsteigerung!

Weshalb tat Rabbi Chanina das? Er betrachtete die Hühner, als wären sie ihm zugelaufen. Nach der Tora war er verpflichtet, sie dem Eigentümer zurückzubringen (Schemot 23,4). Allerdings war dieser offenbar ein unbekannter Fremder. Die Hühner verblieben also zunächst bei Rabbi Chanina als Fundsache.

Ganz bestimmt hatte der Fremde die Hühner nicht unbemerkt verloren. Aber Rabbi Chanina konnte nicht sicher sein, ob der Besitzer die Hühner tatsächlich freiwillig aufgegeben hatte. Und da sie ja auch Identifikationsmerkmale aufwiesen, war er letztlich verpflichtet, sie zurückzugeben (Baba Metzia 21b), selbst wenn er sie auf seinem eigenen Grundstück gefunden hatte.

Er behandelte sie außerdem, obwohl es nur Geflügel war, wie »eiserne Schafe«, wonach der Bestand an Vieh beziehungsweise sein Geldwert dem Eigentümer zurückzugeben ist, wenn die Tiere zur Pacht überlassen wurden.

Besitzer Nun hat Rabbi Chanina ben Dossa einerseits die Hühner durchgefüttert, andererseits hat er den Gewinn gemehrt. Sollte er also daran keinen Anteil haben? Dazu hätte es einer vorherigen Vereinbarung zwischen ihm und dem Besitzer der Hühner bedurft, was eindeutig nicht der Fall war. Rabbi Chanina wusste ja nicht einmal, wer der Besitzer war, geschweige denn, ob der Fremde ein Jude war oder nicht.

Die sprichwörtlichen eisernen Schafe durften aber nicht von einem Israeliten gepachtet werden, weil dies als Wucher gegolten hätte. Aber selbst wenn der Besitzer ein Nichtjude und die Pacht damit erlaubt war, stellte sich dennoch die Frage, ob er überhaupt noch als Eigentümer der Tiere einschließlich aller ihrer Jungen zu sehen war.

Denn im vorliegenden Fall hatte er die Hühner ja einfach zurückgelassen – wenn schon nicht ganz freiwillig, so doch aus eigenem Verschulden.

Nach dem Gesetz hätte Rabbi Chanina also allenfalls die ursprüngliche Zahl der Hühner ersetzen müssen. Doch seine uneigennützige Rechtschaffenheit erwies sich darin, dass er seine Verpflichtung im weitesten Sinn zugunsten des Mannes auslegte, der die Hühner verloren hatte.

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024