Hildesheimer Vortrag

Wer die Eltern ehrt, ehrt Gʼtt

Beschrieb die Institution Familie sowohl aus halachischer wie auch aus juristischer Sicht: die chassidische Richterin Rachel Freier Foto: Mordison

»Das Gebot ›Ehre deine Eltern‹ betont die Beziehung zwischen dem Menschen und Gott. Wenn man lernt, seine Eltern zu ehren, lernt man, Gott zu ehren.« Als Richterin Rachel Freier in das Thema des Vortrags, die Ehrung der Eltern, einführte, betonte sie, wir alle würden übergreifende Erfahrungen in der Eltern-Kind-Dynamik und in zentralen Werten im familiären Kontext sammeln, weshalb sie sich auch für dieses Vortragsthema entschieden habe. Freier hielt am Dienstag vergangener Woche im Festsaal der Humboldt Graduate School in Berlin den »Hildesheimer Vortrag«.

Eingeladen hatte das Rabbinerseminar zu Berlin gemeinsam mit den Berliner Studien zum Jüdischen Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zum zehnjährigen Jubiläum des Hildesheimer Vortrags sprach Freier, die erste chassidische Frau in der Geschichte der Vereinigten Staaten, die in ein öffentliches Amt gewählt wurde, zum Thema »Ehre deine Eltern – halachische und rechtliche Perspektiven«. In ihrem Vortrag lieferte sie eine vergleichende Analyse der dynamischen Eltern-Kind-Beziehung im Hinblick auf die Überschneidung von säkularem Recht und Halacha. Mehr als 100 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.

auslegung Sodann nahm sie das Publikum auf eine lehrreiche Reise ihrer Auslegung des Gebots zwischen biografisch-religiösen Erfahrungen und ihrer Tätigkeit als Richterin mit. Freier erzählte von ihrer Geschichte und ihrem persönlichen Weg zum Recht, wobei sie über die verschiedenen Hindernisse und die Bedenken, ihre religiösen Werte nicht zu verlieren, reflektierte. Sie sagte: »Wenn man an seinen Werten festhält, weiß man nicht, wen man dadurch inspirieren kann.«

Als Chassidin kann man eigentlich keine Karriere machen.

Rachel »Ruchie« Freier wurde 1965 in Borough Park (Brooklyn) als ältestes von fünf Geschwistern in eine jüdisch-orthodoxe Familie geboren. Bereits in der Highschool interessierte sie sich für Jura und besuchte einen Kurs in juristischer Stenografie. Nach ihrem Schulabschluss 1982 heiratete sie ihren Mann David Freier und begann, als Rechtsanwaltsgehilfin zu arbeiten. Erst im Jahr 1996 entschied sie sich, das College zu besuchen und im Alter von 30 ein Jurastudium aufzunehmen. Im Jahr 2006, nach erfolgreichem Abschluss der Brooklyn Law School, wurde sie als Anwältin in New York zugelassen.

vorbild Rachel Freier darf auf vielen Ebenen als Vorbild gelten; auch wenn sie sich selbst nicht als solches bezeichnen würde. Diese Inspirationskraft lässt sich dabei nicht vom wohl meistzitierten Umstand ableiten, dass sie die erste chassidische Frau in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist, die in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Freier vermag es täglich, ihre Rollen als Mutter von sechs Kindern, Großmutter, Ehefrau sowie erfolgreicher Karrierefrau auszubalancieren.

Neben ihrer Haupttätigkeit als Richterin ist Rachel Freier zudem Initiatorin und Gründerin von »Ezras Nashim«, einer weltweit tätigen Organisation für Frauen in Ehrenämtern. Dieser Werdegang war ihr nicht in die Wiege gelegt worden.

»Ich wuchs mit der Erfahrung auf, dass ein gutes chassidisches Mädchen eigentlich keine Karriere machen kann.« Die Vereinbarkeit von (Groß-)Muttersein, Ehefrausein, Haushalt und Karriere dürfte viele Frauen umtreiben. Bei Freier kam hinzu, dass sie kompromisslos ihrer chassidischen Lebensweise treu bleiben wollte. Dass eine Karriere als Juristin unweigerlich mit einem Aufeinandertreffen der Standards einer säkularen Mehrheitsgesellschaft einhergehe, war ihr bewusst. Doch sie entschied sich, auch mit der Unterstützung ihrer Eltern, ihren Glauben als selbstbewusste Entscheidung in ihre Karriere einzubinden. Diese Kompromisslosigkeit und Beständigkeit seien schließlich Eigenschaften, die allgemeingültig von Arbeitgebern und Kollegen geschätzt würden.

respekt Das Gebot »Ehre deine Eltern« begegne ihr bei ihrer Arbeit im Strafgerichtshof täglich. Kinder und Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten, kämen oft aus zerbrochenen Familien. Dabei verstehe sie die Merkmale des halachischen Ehrgebots, wie etwa Fürsorge, Respekt und Dankbarkeit, nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzung des säkularen Rechts. Rückhaltlos zu vertrauen und gleichzeitig Verantwortung zu tragen, lerne man auch über die reziproke Beziehung zu seinen Eltern.

Der Vortrag eröffnete verschiedene rechtlich-religiöse Perspektiven auf die Eltern-Kind-Dynamik.

Ihr Vortrag wurde im Rahmen der Hildesheimer Vorlesung organisiert und musste aufgrund der Corona-Pandemie fast drei Jahre lang verschoben werden. Die Hildesheimer Vorlesung ist eine Kooperation zwischen dem Rabbinerseminar zu Berlin und den Berliner Studien zum Jüdischen Recht an der Humboldt-Universität. Sie findet einmal im Jahr statt und richtet sich an ein breites Fach- wie Laienpublikum.

Dem Anspruch einer breit gefächerten Adressierung konnte Freier gerecht werden. Ihr Vortrag eröffnete interessante rechtlich-religiöse Perspektiven auf die Eltern-Kind-Dynamik, über deren zentrale Charakterzüge einige, sozialisatorisch übergreifende Gemeinsamkeiten ausgelotet werden konnten.

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