Zeitumstellung

Wenn es plötzlich Sommer wird

Ab dem 26. März bleibt es eine Stunde länger hell. Was bedeutet das für Gebete und Gottesdienste?

von Rabbiner Walter Rothschild  21.03.2017 11:13 Uhr

Leider garantiert auch die Zeitumstellung nicht automatisch einen Minjan. Foto: Thinkstock

Ab dem 26. März bleibt es eine Stunde länger hell. Was bedeutet das für Gebete und Gottesdienste?

von Rabbiner Walter Rothschild  21.03.2017 11:13 Uhr

An diesem Sonntag, dem 26. März, beginnt in der Europäischen Union wieder die Sommerzeit. Wie jedes Jahr im Frühling werden dann die Uhren um zwei Uhr morgens um eine Stunde vor gestellt.

Diese Zeitumstellung datiert aus Kriegszeiten, als man jede Minute Tageslicht ausnutzen und so weit wie möglich Strom, Gas und Öl sparen wollte. Eingeführt wurde die Zeitumstellung erstmals am 30. April 1916 im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn. Es wurde vereinbart, an einem bestimmten Tag alle Uhren vor oder zurück zu stellen. Bis 1996 wurde die Sommerzeit in der EU vereinheitlicht: Am letzten Märzsonntag des Jahres beginnt die Sommerzeit. In Israel gibt es sie seit 1948.

Natürlich hat es immer Ausnahmen von der Sommerzeit gegeben – und verschiedenste Komplikationen. In Israel wird die Sommerzeit seit 2005 vor Jom Kippur beendet, um Gläubige nicht in Konflikte wegen der Zeiten des Fastenbeginns und Fastenendes zu bringen. Und es gibt immer noch Länder, die keine Sommerzeit haben oder die Uhren nur eine halbe statt einer vollen Stunde vorstellen, was einiges Chaos verursachen kann. Doch was ist überhaupt Zeit? Die vierte Dimension? Menschen, die religiös sind, leben eigentlich in sechs Dimensionen, weil es ja auch die »Zeit vor der Zeit« gab und es eine »Zeit nach der Zeit« geben wird – im Jenseits.

Schöpfungsgeschichte Gemäß der Schöpfungsgeschichte schuf Gott Tag und Nacht, Jahreszeiten und Jahre, Abend und Morgen – aber keine Stunden, Minuten oder Sekunden. In vortechnologischer Zeit waren diese Zeitabschnitte überhaupt nicht wichtig. Zu Land hatte man Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. An der Küste gab es Gezeiten, Ebbe und Flut. Das genügte. Ein Schiff segelte irgendwohin, und man berechnete die Reisezeit in Wochen oder Monaten.

Wenn die Glocken läuteten, konnte man sichergehen, dass der Gottesdienst in der Kirche bald beginnen würde. Mehr war nicht nötig. Die Tiere wussten, wann sie gemolken oder gefüttert werden, die Fische wussten, wann und wohin sie schwimmen sollten.

Das änderte sich mit Einführung des Eisenbahnverkehrs, der eine umfassende Einheitszeit nötig machte. Zuvor hatte fast jeder Ort seine eigene Zeitrechnung. Es hätte sein können, dass ein Zug verspätet in Hamburg ankam, der nach Berliner Zeit pünktlich gewesen wäre.

Auch Fabriken mit Schichten und Schichtwechseln verlangten von der Belegschaft Pünktlichkeit. Darum signalisierten Dampfsirenen, wann die Arbeiter aufstehen und wann sie am Werkstor erscheinen mussten.

Zeitzonen Zeit ist also ein menschliches Konstrukt. Man entschied, den Erdball in 24 Zeitzonen zu teilen, ausgehend von Greenwich bei London. Schauen Sie auf eine Weltkarte, und Sie werden bemerken, dass die Zonen nicht immer gleich oder geradlinig verlaufen. In den USA oder in Russland gibt es mehrere Zonen.

Die Babylonier gründeten ihre Stundeneinteilung auf die Zahl 60 – daher haben wir 60 Minuten und 60 Sekunden. Die Römer hatten flexible Stunden für den Tag und die Nacht, die je nach Jahreszeit variierten; man teilte die Nacht, egal wie lang sie war, in zwölf Stunden ein.

Und die Juden? Wir richten uns nach dem Sonnenauf- und -untergang, bestimmen die rechte Zeit danach, wann man Blau von Weiß unterscheiden kann. Wir bestimmen den Beginn eines neuen Tages nach »Zet ha-Kochawim«, wenn die Sterne erscheinen. Den Monatsanfang berechnen wir nach dem Neumond.

Stundenberechnung Von den Römern übernahmen die Juden das System der Stundenberechnung. Sie nannten die im Sommer und im Winter unterschiedlich lange Stunde auf Hebräisch »Schaa semanit«. Für uns ist es vor allem wichtig, bestimmte Mizwot wie Morgen- und Abendgebet pünktlich zu erfüllen oder, wenn nötig, zu entscheiden, wann ein Tag anfängt oder endet, und das besonders an Schabbatot und Feiertagen.

Mehr Genauigkeit ist normalerweise nicht nötig. Doch als ich noch als Rabbiner in England arbeitete, war es theoretisch möglich, in Leeds fünf Minuten vor Schabbateingang aufzubrechen und westwärts eine Stunde über die Autobahn nach Manchester zu fahren – und trotzdem kurz vor Schabbateingang dort anzukommen!

Umgekehrt ging das nicht. Denn die orthodoxen Synagogen in Leeds hatten jede für sich allein entschieden, wann genau Schabbat beginnen sollte (drei unterschiedliche Zeiten für drei verschiedene Synagogen), und man lebte nach dem Synagogenkalender.

Familienleben
Zurück zur Sommerzeit: Durch die Zeitumstellung verschieben sich natürlich auch die Gebetszeiten um eine Stunde nach vorne, was durchaus Einfluss auf unser Arbeits- und Familienleben haben kann.

Viele Rabbiner hoffen übrigens, dass mehr Menschen in ihre Synagogen kommen, wenn im Winterhalbjahr die Gottesdienste um 18 Uhr beginnen und im Sommerhalbjahr um 19 Uhr. Aber solange die Arbeits- und Schulzeiten so bleiben, wie sie sind, und solange sich die Zeiten für den öffentlichen Nahverkehr nicht ändern (in Halberstadt am Harz zum Beispiel fahren ab 19 Uhr keine Straßenbahnen mehr), sind flexible Gottesdienstzeiten leider auch keine Garantie für einen Minjan.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit – ob im Sommer oder im Winter!

Der Autor ist Rabbiner in Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz.

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