Assimilation

Vorsicht vor zu viel Jubel

Die Parascha Mikez hebt einen warnenden Zeigefinger: Vorsicht vor zu viel Jubel! Foto: Thinkstock

Die Paraschat Mikez fällt auf eigentümliche Weise auf den Schabbat in der Chanukkazeit. Sie handelt von Josefs Aufstieg am Hofe des Pharaos. In gewisser Weise war Josef prototypisch für die späteren Hofjuden – gerade auch sein ambivalenter Status als Nichtägypter.

Einerseits rettete er die ägyptische Bevölkerung vor dem Hungertod. Andererseits zahlte diese einen hohen Preis dafür. Um das Getreide kaufen zu können, das Josef in der Zeit der siebenjährigen Dürre lagern ließ, mussten sich viele Ägypter selbst verkaufen und wurden so zu Sklaven (1. Buch Mose 41, 33–37). Die Geschichte erzählt nicht, was die Ägypter hierüber dachten. Auch wenn Josef eine vorausschauende Wirtschaftspolitik betrieb, die das Schlimmste verhinderte, kann man sich die antijüdischen Anklagen durchaus vorstellen.

Wir sind geneigt, die Biografie des ägyptischen Politikers Josef als Erfolgsgeschichte zu lesen. Aber vielleicht ist das gar nicht die Intention der Tora. Vielleicht hat sich die Politik Josefs irgendwann gegen die Israeliten verkehrt. Jedenfalls sind 400 Jahre nach Josef die Israeliten selbst zu Sklaven in Ägypten geworden.

Diaspora Jüdische Geschichte geschah nicht nur mit Blick auf das Land Israel, sondern auch mit Blick auf andere Länder. Wir sind als Juden zu Recht stolz auf die vielen historischen Leistungen von Juden – gerade dann, wenn sie mehr Freiheit und Gerechtigkeit brachten. Weder die Tora noch die späteren jüdischen Schriften haben etwas gegen politisches Engagement von Juden in der Diaspora. Dass Josef in Ägypten Karriere machte, war richtig – schließlich hatte Gott ihm die Fähigkeit gegeben, die Träume des Pharaos politisch zu entziffern.

Doch mit dem Aufstieg Josefs zeigte sich auch eine Ambivalenz – die der Assimilation. Josef nahm einen neuen Namen an, einen, den ihm der Pharao gab: »Zafnat Paneach«. Er heiratete die Tochter des ägyptischen Priesters Poti Fera von On, trug kostbare Gewänder und lebte den Stil der ägyptischen Oberschicht, für die der Besitz von Sklaven selbstverständlich war (41, 42–45).

Kulturkampf Auch die Chanukkageschichte enthält das Thema Assimilation. Oberflächlich gesehen, feiern wir den Sieg der Makkabäer über den Seleukiden-Diktator Antiochus. Dieser hatte den Schabbat und die Beschneidung verboten und eine große Zeus-Statue im Tempel aufstellen lassen. Der Aufstand gegen ihn war richtig. Hintergründig ging es jedoch auch um einen innerjüdischen Kulturkampf. Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung war damals hellenistisch eingestellt, beherrschte Griechisch und erhielt dadurch auch griechische Bildung.

Das bedeutete nicht, dass sie dem Diktator anhing. Wohl aber bedeutete es, dass sie an einer größeren Zivilisation teilhaben wollte, deren gemeinsame Sprache damals Griechisch war – so wie heute Englisch. Mit dem Makkabäersieg war dieser Teil der Bevölkerung erst einmal zum Schweigen gebracht.

Ambivalenz Wenn wir das Chanukkalied »Maos Zur« singen, sollten wir trotzdem die fünfte Strophe nicht als Triumph über die »Griechen« missverstehen – sondern die jüdische Rolle in der Geschichte ermessen und zugleich deren Ambivalenz erkennen.

Nicht umsonst ist Alexander auch ein jüdischer Name. Der Talmud erzählt, wie sich der große König, dessen Lehrer immerhin Aristoteles gewesen ist, und die rabbinischen Gelehrten begegneten und voneinander beeindruckt waren (Joma 69a, Tamid 31b–32a). Die Rabbinen sahen den späteren Sieg der Makkabäer gegen den griechisch geprägten Seleukidenkönig Antiochus gar nicht so positiv, wie viele meinen würden. Es waren ja die Makkabäer, die jene unselige Allianz mit den Römern geschlossen hatten, die man nicht mehr los wurde (1. Makkabäer 8).

Und nicht nur das. Obwohl die Makkabäer aus einer Priesterfamilie stammten, setzten sie sich auch die Königskrone auf und begründeten die Hasmonäer-Dynastie. Das aber widersprach fundamental der biblischen und talmudischen Gewaltenteilung. Ein Priester darf niemals König sein (Kidduschin 66a, Baba Batra 3b). In dieser Handlung sahen die Rabbinen einen der Gründe, warum der jüdische Staat unterging.

Was entnehmen wir heute der Geschichte Josefs und der Geschichte der Makkabäer? In beiden Fällen sollten wir uns über den Erfolg freuen und ihn feiern. Aber wir sollten deshalb nicht über die anderen triumphieren – nicht über die Ägypter und auch nicht über die Griechen.

Dass wir ausgerechnet in der Chanukkazeit die Geschichte von Josefs Aufstieg am Hofe des Pharaos lesen, wirft eine Prise Ambivalenz in die Freude über die damalige Wiedereinweihung des Tempels. Die Parascha Mikez hebt einen warnenden Zeigefinger: Vorsicht vor zu viel Jubel! Die jüdische Geschichte endete weder mit Josef im höchsten Amt noch mit den Makkabäern als Sieger eines Aufstands.

Die Autorin ist Rabbinerin des Egalitären Minjans in Frankfurt am Main.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Mikez erzählt von den Träumen des Pharaos, die niemand an seinem Hof deuten kann – außer Josef. Er sagt voraus, dass nach sieben üppigen Jahren sieben Jahre der Dürre kommen werden, und empfiehlt dem Pharao, Vorräte anzulegen. Der Herrscher betraut ihn mit dieser Aufgabe. Dann heiratet Josef: Er nimmt Asnat, die Tochter des ägyptischen Oberpriesters, zur Frau. Sie bringt die gemeinsamen Söhne Efraim und Menasche zur Welt. Dann kommen wegen der Dürre in Kanaan Josefs Brüder nach Ägypten, um dort Getreide zu kaufen.
1. Buch Mose 41,1 – 44,17

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