Talmudisches

Von Aussatz und Quarantäne

Wer Laschon Hara gesprochen hat, wurde sieben bis 14 Tage ausgesondert. Foto: imago images/Hans Lucas

Talmudisches

Von Aussatz und Quarantäne

Wie üble Nachrede zu Hautkrankheit und Isolation führte

von Diana Kaplan  24.04.2020 06:19 Uhr

Ein Mann kam einst zu einem Rabbiner und klagte ihm sein Leid. Er habe Gerüchte über andere verbreitet, und jetzt plagten ihn Gewissensbisse. Voller Hoffnung wartete er den Rat seines Rabbis ab. Dieser wies den Mann an, wieder nach Hause zu gehen und ein Kissen zu holen.

Der Mann staunte und tat wie geheißen. »Nun«, sagte der Rabbi, »schneide das Kissen auf und nimm die Federn heraus. Dann geh zum Haus all der Menschen, über die du Schlechtes gesprochen hast, und lege an jedem Eingang eine Feder ab. Warte dann eine Woche und komm wieder.« Der Mann tat, was der Rabbi ihm gesagt hatte. Nach einer Woche kehrte er zurück. »Und nun«, sagte der Rabbi, »geh wieder hinaus zu den Häusern und sammele die Federn ein.«

»Das ist unmöglich«, antwortete der Mann, der Wind hat sie längst fortgetragen, es ist unmöglich, sie wieder einzusammeln.« Und da hatte er natürlich recht. Nun verstand er auch, was der Rabbi ihm sagen wollte, dass nämlich auch die Gerüchte, die er verbreitet hatte, nicht so einfach zurückgenommen werden können, dass der Schaden, den er mit seinen Worten anrichtete, indem er Laschon Hara sprach, nicht so einfach umzukehren war.

Laschon Hara Der Talmud (Arachin 16) bringt einige Beispiele, was unter Laschon Hara verstanden werden kann. Interessanterweise kann auch positives Gerede wie Lob in die Kategorie von Laschon Hara fallen.

So sagte Rav Dimi, als er aus Eretz Israel nach Babylonien kam: »Derjenige, der seinen Freund laut lobt, bereits früh am Morgen, es soll ihm wie ein Fluch sein« (Mischlei 27,14).

Wenn man zum Beispiel bei jemandem zu Gast war, sehr gut empfangen wurde und sich am nächsten Tag auf den Marktplatz begibt und dort für alle hörbar sagt: »Der Barmherzige soll den und den segnen, denn er hat sich so gut um mich gekümmert«, hören die Menschen vom Marktplatz das, gehen ebenfalls hin und erwarten dieselbe Behandlung. Sie setzen dem Gastgeber zu, und er sieht sich genötigt, sich um sie zu sorgen und Geld für sie auszugeben. So entpuppt sich der vermeintliche Segen vom Marktplatz für ihn als Fluch.

Rav Dimi lehrte außerdem: »Niemals sollte ein Mensch jemanden in Anwesenheit von anderen preisen.« Denn auch wenn er mit Lob anfängt − am Ende wird er schlecht über ihn reden. Denn entweder merkt der Redner selbst, dass derjenige, über den er spricht, alles andere als perfekt ist, oder seine Zuhörer kühlen seine Begeisterung ab und üben letztlich Kritik an diesem Menschen.

Hautkrankheit Der Talmud sagt, dass die Konsequenz für jemanden, der Laschon Hara gesprochen hat, eine für alle sichtbare Hautkrankheit war. Deren Ursache war jedoch kein Virus oder Bakterium, sondern ein Defizit rein spiritueller Natur.

Derjenige, der Laschon Hara gesprochen hat, wurde dann als Mezora bezeichnet und musste durch einen Reinigungsprozess gehen, der sieben bis 14 Tage andauerte. In dieser Zeit befand sich der Mezora in Quarantäne. Er war allein und durfte sich anderen nicht nähern. Dies galt sogar für Menschen, die sich gerade ebenfalls in einem »unreinen« Zustand befanden (Pessachim 67a).

Warum wird der Mezora derartig ausgesondert, sein Status so negativ hervorgehoben? Unsere Weisen sagten: »Da der Mezora mit seinem bösen Gerede Mann und Frau auseinanderbrachte und für Trennung von Freunden sorgte, muss er ebenfalls allein bleiben.«

Rückkehr Es geht jedoch nicht nur darum, den Mezora zu bestrafen. Vielmehr schafft die Tora Voraussetzungen für seine Rückkehr in die Gesellschaft. Die Quarantäne ist eine davon.

Da ist er mit sich allein und kann in Ruhe über seine Tat und sein Leben reflektieren. Sie ermöglicht ihm neue Einsichten und vielleicht eine tiefere Selbsterkenntnis. Durch die ausgiebige Beschäftigung mit sich selbst versteht er das Schädliche an seiner Tat und kommt schließlich zur Reue.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025