Talmudisches

Vom rettenden Anblick der Zizit

Die Schaufäden erinnerten ihn daran, wer er ist und woran er glaubt. Foto: Flash 90

Im Traktat Mechanot (44a) diskutieren die Rabbinen über das Gebot der Zizit, der rituellen Schaufäden. Dazu erzählt Rabbi Nathan die Geschichte von einem frommen Jeschiwebocher, der eine kleine Schwäche hatte: Er hörte von einer Prostituierten, die derart attraktiv war, dass sie ein Vermögen für ihre Dienste verlangte. Der junge Mann schickte ihr die geforderten Goldstücke, besessen vom Traum, eine Nacht mit der schönsten Frau der Welt zu verbringen.

Sie richtete ihm sieben reich verzierte – und offenbar sehr teure und überaus luxuriöse – Betten her, jeweils verbunden mit einer Stufe. Dann entkleidete sie sich, stieg hinauf und legte sich nackt auf das oberste Bett.

Doch dann geschah etwas völlig Unerwartetes: »Als auch er hinaufstieg und sich nackt neben ihr niederlassen wollte, schlugen ihm seine vier Zizit gegen das Gesicht. Da ließ er sich hinabgleiten und blieb auf dem Boden sitzen. Hierauf ließ auch sie sich hinabgleiten und blieb auf dem Boden sitzen.« Kurz bevor er also die Dummheit seines Lebens begeht, verhindern das seine Zizit.

Die Hure ist gekränkt. Sie denkt, dass irgendetwas an ihr nicht stimmt. Sie fragt ihn: »Welchen Makel hast du an mir gefunden?« Er antwortet: »Noch nie habe ich eine so schöne Frau wie dich gesehen – doch der Ewige, unser G’tt, hat uns aufgetragen, Zizit zu tragen. Und neben diesem Gebot heißt es zweimal: ›Ich bin der Ewige, euer G’tt‹ (4. Buch Mose 15,41); Ich bin es, der dereinst bestrafen, und Ich bin es, der dereinst belohnen wird. Da kamen mir die Zizit nun wie Zeugen vor.«

Die Schaufäden erinnerten ihn also daran, wer er ist und woran er glaubt. Er verstand sofort, wie töricht sein Vorhaben war, und ließ es sein, obwohl er so viel Geld dafür bezahlt hatte.

Unverständnis Die Hure war perplex. Sie verstand nicht, was es sein konnte, das so viel wichtiger ist als ihre Schönheit und ihre damit verbundenen Dienste. Noch nie hatte jemand sie nackt gesehen und dann verschmäht. Die Ablehnung des Jeschiwebochers beeindruckte sie so sehr, dass sie der Sache auf den Grund gehen wollte. Also sagte sie zu ihm: »Ich lass dich nicht gehen, bis du mir deinen Namen gesagt hast, den Namen deiner Stadt, den Namen deines Lehrers und den Namen des Lehrhauses, in dem du das Gesetz lernst.« Er schrieb ihr alles auf einen Zettel und ging nach Hause.

Die Hure – die durch ihre Arbeit sehr vermögend geworden war – verkaufte alles, was sie besaß, gab ein Drittel der Regierung, ein Drittel den Armen, und ein Drittel behielt sie für sich. Nur ihre Matratzen verkaufte sie nicht.

Der Talmud fährt fort: »Alsdann kam sie zu Rabbi Chija ins Lehrhaus und sagte: ›Meister, man mache mich zur Konvertitin.‹ Er sprach zu ihr: ›Meine Tochter, hast du ein Auge auf einen der Schüler geworfen?‹ Da zog sie das Schriftstück hervor und reichte es ihm.«

Übertritt Die Hure, die sich vorher offenbar so für das Materielle und ein luxuriöses Leben interessiert hatte, ließ alles hinter sich und begann ein neues Leben. Sie trat zum Judentum über – und das ausgerechnet für den Mann, der sie zurückgewiesen hatte.

Doch gerade dadurch hatte sie verstanden, dass es im Leben nicht auf das Materielle und Physische ankommt, egal, wie bequem und attraktiv es sein mag. Im Leben geht es um viel mehr: um das Spirituelle, die Seele, nicht um die kurze Erfüllung des Verlangens, sondern um die tiefe Befriedigung der wahren Liebe zu einem anderen Menschen.

Im Talmud heißt es: »Sodann sprach Rabbi Chija: ›Geh, freu dich deines Kaufes!‹ Jene Polster, die sie dem Jeschiwebocher verbotenerweise gebettet hatte, bettete sie ihm nun erlaubterweise. Dies ist die Belohnung in dieser Welt; die der künftigen Welt aber ist nicht zu ermessen.« Sie heirateten also, und er durfte mit ihr schlafen.

Die beiden werden also doppelt belohnt: Er, der standhaft blieb durch die Zizit, kommt nun doch noch mit ihr zusammen – und sogar ganz exklusiv, so wie es kein Gold der Welt jemals vermocht hätte. Und sie, die durch ihre Fixierung auf das Oberflächliche den wahren Sinn des Lebens und dessen, was Liebe bedeutet, vergessen hatte, erfährt nun echte Intimität, Freude und Geborgenheit – einen ganz anderen Reichtum. Darüber hinaus werden beide in der kommenden Welt unermesslich belohnt. Und das alles dank der Zizit.

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Keffiyeh

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Naturgewalt

Aus heiterem Himmel

Schon in der biblischen Tradition ist Regen Segen und Zerstörung zugleich – das wirkt angesichts der Bilder aus Spanien dramatisch aktuell

von Sophie Bigot Goldblum  05.12.2024

Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024

Toldot

Jäger und Kämpfer

Warum Jizchak seinen Sohn Esaw und nicht dessen Bruder Jakow segnen wollte

von Rabbiner Bryan Weisz  29.11.2024