Arba Minim

Vier Arten

Die Pflanzen des Feststraußes symbolisieren verschiedene Charaktere. Nur wenn alle Juden zusammen feiern, ist echte Freude möglich

von Rabbiner Elischa Portnoy  22.09.2015 10:45 Uhr

Vier Arten: Etrog, Hadass, Lulav, Arawa Foto: Thinkstock

Die Pflanzen des Feststraußes symbolisieren verschiedene Charaktere. Nur wenn alle Juden zusammen feiern, ist echte Freude möglich

von Rabbiner Elischa Portnoy  22.09.2015 10:45 Uhr

Wenn man am Laubhüttenfest eine Synagoge beim Morgengebet betritt, wird man von einem beeindruckenden Bild fasziniert: viele Männer, in weiße Gebetsschals gehüllt, mit einem Gebetbuch in einer Hand und mit einem grünen Strauß in der anderen (am Schabbat allerdings wird der Feststrauß nicht genommen).

Die meisten Synagogenbesucher sind mit Gebetsschal und Gebetbüchern vertraut – aber zum Feststrauß stellen sich mehr Fragen. Schließlich sieht man so etwas nicht jeden Tag. Handelt es sich um ein Gebot aus der Tora, um eine mündliche Überlieferung oder einfach nur um einen Brauch? Welche Pflanzen nimmt man für den Feststrauß, und welche Bedeutung haben sie?

Im 3. Buch Mose 23,40 steht: »Und ihr sollt euch am ersten Tage schöne Frucht eines Baums nehmen, Palmenzweige und Zweige von dicht belaubten Bäumen und Bachweiden, und sieben Tage lang fröhlich sein vor dem Herrn, eurem G’tt.«

Unsere Weisen überliefern, wie diese merkwürdigen Angaben zu erklären sind: »Schöne Frucht eines Baums« ist ein Etrog (eine Zitrusfrucht, Citrus medica cedra). Mit »Palmenzweigen« ist ein Lulav, der junge Zweig einer Dattelpalme, gemeint, deren Blätter sich noch nicht entfaltet haben und die eng am Ast anliegen. Die »Zweige von dicht belaubten Bäumen« sind nichts anderes als Myrtenzweige (man braucht drei Stück davon), und die »Zweige von Bachweiden« sind tatsächlich die Zweige von Weiden (von dieser Art werden zwei Stück gebraucht).

Bedeutung Die Zweige werden zusammen zu einem Strauß gebunden; der Etrog wird nur beim Segensspruch und während des Hallel-Sagens dem Strauß angenähert. Die vier Pflanzen zusammen werden auch »Arba Minim« genannt – die vier Arten. Auch an Pessach ist die Zahl »vier« sehr beliebt: vier Becher Wein, vier Söhne in der Haggada, vier Fragen beim Seder. Aber was bedeuten die vier Pflanzen am Laubhüttenfest? Unsere Weisen erklären es auf eine sehr schöne Art: Sie verbinden die symbolhafte Bedeutung der »Arba Minim« mit dem Volk Israel.

Bekanntlich schmeckt der Etrog gut und duftet auch schön. Deshalb vergleichen unsere Weisen den Etrog mit Menschen, die sowohl Tora lernen als auch gute Taten tun. Eine Dattelpalme hat zwar leckere Früchte, duftet aber nicht besonders gut. Das steht symbolisch für die Menschen, die zwar Tora lernen, sich jedoch weniger für gute Taten auszeichnen.

Die Myrte riecht gut, schmeckt aber nicht. Myrtenzweige stehen für Menschen, die wenig Zeit für die Tora haben, jedoch viele gute Taten begehen. Und Weidenzweige haben weder Geschmack noch Aroma – deshalb symbolisieren sie die Menschen, die sowohl für das Studium der Tora als auch für gute Taten wenig Zeit haben. Dennoch nehmen wir alle vier Arten zusammen, was bedeutet, dass wir alle Juden brauchen, um feiern zu können! Nur wenn wir als Volk zusammen sind, ist echte Freude möglich.

Preis Früher konnte sich nicht jeder ein »Arba Minim«-Set leisten. Besonders Etrogim waren schwer zu bekommen, sie waren selten und teuer. Heutzutage kann praktisch jeder Mensch eigene vier Arten an Sukkot besitzen. Viele »Arba Minim«-Märkte, zum Beispiel auch in Berlin, bieten sogar »Vier Arten« in verschiedenen Qualitäten an: von »koscher Lebracha« (gut genug für den Segensspruch) bis zur »außerordentlich schön«-Qualität.

Der Preis für den Etrog ist der größte Anteil an den »Arba Minim«-Kosten. Für die schönsten Etrogim werden mitunter mehrere Hundert Euro verlangt! Auch Menschen, die normalerweise für Mizwa-Gegenstände nicht mehr als nötig bezahlen, geben für den Etrog oft sehr große Summen aus. Manche sparen sogar das ganze Jahr lang, um sich ein schönes und teures Set leisten zu können.

Oft bleibt es nicht nur beim Kauf der nötigen Pflanzen. Manche Menschen erwerben auch schöne und teure Boxen für den Etrog und bequeme Hüllen für die Palm-, Myrten- und Weidenzweige. Diese Hüllen erleichtern das Tragen und lassen die grünen Zweige nicht so schnell austrocknen.

Vorschriften Wie wir sehen, ist das Gebot der »Arba Minim« sehr beliebt, und jeder möchte möglichst schöne und natürlich koschere »Arba Minim« vor Sukkot haben. Doch das ist gar nicht so einfach. Es gibt viele Vorschriften, welche Pflanzen tatsächlich koscher im Sinne des Gebots sind. Nicht jeder Etrog, Palmzweig oder Weidenzweig darf verwendet werden. So darf ein Etrog zum Beispiel keine Flecken und keine Löcher haben. Erfahrene Käufer und Verkäufer nehmen die Etrogim daher buchstäblich unter die Lupe.

Auch die Vorschriften für die Zweige von Myrten, Dattelpalme und Bachweiden sind zahlreich. Deshalb riskiert ein Mensch, der sich diese Zweige aus dem Garten besorgt, am Ende ein unkoscheres »Arba Minim«-Set zu haben. Es ist also sinnvoll, die vier Arten auf einem Markt zu kaufen – oder, wenn es in der eigenen Stadt keinen Markt gibt, von einer Organisation, die sich auf »Arba Minim«-Verkauf spezialisiert. Eine andere Möglichkeit ist, sich einfach von einem erfahrenen Rabbiner beraten zu lassen. Man muss auch aufpassen, dass die nötigen Zweige nicht einfach aus einem fremden Garten genommen wurden. Denn man kann die Mizwa von »Vier Arten« nur mit erworbenen Pflanzen erfüllen, nicht mit fremden.

Wenn man es nicht geschafft hat, eigene »Arba Minim« zu erwerben, darf man sie von anderem Betenden ausleihen. Dabei soll diese »Leihe« laut Halacha, besonders am ersten Tag von Sukkot, ein Geschenk sein, das zurückgegeben werden muss. Man erzählt von einem Zaddik, der gerne seinen Etrog jedem Menschen gab, der damit einen Segensspruch sagen wollte. Als jemand anmerkte, dass dadurch der Etrog nicht mehr schön aussah, antwortete der Zaddik: »Die echte Schönheit dieses Etrog ist es, dass möglichst viele Juden damit das große Gebot erfüllen können!«

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dessau.

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024