Talmudisches

»Tuet auf die Pforten«

»Heil dem Menschen, der auf mich hört, zu wachen an meinen Türen Tag für Tag, zu wahren die Pfosten meiner Eingänge« (Sprüche 8,34). Foto: dpa

Talmudisches

»Tuet auf die Pforten«

Warum jede Synagoge zwei Türen hat

 23.01.2017 18:23 Uhr

Mit der Tür ins Haus zu fallen, ist nicht besonders schicklich – beim Betreten einer Synagoge schon gar nicht. Der Talmud (Brachot 8a) zitiert Rav Hisda mit den Worten, ein Mensch solle eine Synagoge stets durch zwei Türen betreten.

An gleicher Stelle heißt es, diese Aussage sei unklar, und es wird gefragt, ob Rav Hisda dies wörtlich meinen könnte. Denn was, wenn eine Synagoge nur eine Tür hat? Die Gemara erklärt, Rav Hisda sei so zu verstehen, dass man eine Synagoge in einer Entfernung von zwei Türen betreten soll, bevor das Gebet beginnt.

Zuvor wird Rabbi Aha, der Sohn von Rabbi Hanina, erwähnt, der auf die biblischen Sprüche (8,34) verweist: »Heil dem Menschen, der auf mich hört, zu wachen an meinen Türen Tag für Tag, zu wahren die Pfosten meiner Eingänge.«

Die »Wache Tag für Tag« ist das tägliche Gebet. Da das Wort »Tür« im Plural verwendet wird, lautet eine Deutung auch, die Synagoge, die der Beter täglich aufsucht, brauche mindestens zwei Türen. So werden jüdische Bethäuser häufig mit einem Vorraum gebaut, sodass der Besucher erst durch die eine und dann durch die andere Tür ins Innere gelangt.

Entfernung Aber nochmals zurück zur Entfernungsangabe, die als acht Handbreit verstanden werden kann, die Mindestbreite zweier Türen: Der Beter soll also nicht an der Tür stehen bleiben, sondern in den Raum hineingehen. Zum einen ist dabei Gelegenheit, sich auf das Gebet vorzubereiten, zum anderen lenken dort die Geräusche der Straße nicht mehr so ab. Und wer nicht nahe zur Tür, sondern weiter im Innern Platz nimmt, erweckt auch nicht den Eindruck, sich schnell wieder von der Pflicht des Gebets entfernen zu wollen.

Verschiedene jüdische Gelehrte bieten auch andere Deutungen an: So könnten die beiden Türen ein Hinweis auf »Furcht und Liebe« sein, die erst ein bedeutungsvolles Gebet ermöglichen. Oder es könnten auch Zähne und Lippen gemeint sein, die wir beim Betreten der Synagoge schließen sollten, um nicht in überflüssige Konversation zu verfallen.

Fenster Im Talmud wird übrigens nicht nur die Frage der Türen diskutiert, sondern auch die der Fenster. »Man bete nur in einem Raume, in dem Fenster vorhanden sind«, heißt es in Brachot 31a und 34b im Namen von Rabbi Hija Ben Abba. An gleicher Stelle wird jeweils auch der Prophet Daniel zitiert, der in seinem Haus in Babylon dreimal am Tag auf die Knie fiel und betete: Er hatte »geöffnete Fenster zu Jerusalem« (6,11). Daniel richtete sein Gebet also nach Jerusalem, so wie bis zum heutigen Tag Synagogen nach Osten, also nach Israel und dort in Richtung Jerusalem und in Richtung Tempelberg, ausgerichtet sind.

Doch warum braucht es Fenster im Bethaus? Diese Frage hat Rabbi Abraham Isaac HaKohen Kook, der erste Oberrabbiner des vorstaatlichen Israels, beantwortet: Das Gebet sei zwar eine nach innen gerichtete Aktivität, aber sie sollte uns nicht den Blick darauf nehmen, dass wir auch ein Teil der Welt draußen um uns herum sind. Maimonides, der Rambam, erwähnt in Hilchot Tefilla sogar, dass man die nach Jerusalem ausgerichteten Fenster oder Türen öffnen solle.

Tür auf, Tür zu: Auf jeden Fall, so empfiehlt Rabbi Levi Cooper vom Jerusalemer Pardes Institute of Jewish Studies in einer kurzen Deutung dieser Gemara, sollte man nicht gedankenlos die Synagoge betreten und erst einmal nur nach einem freien Platz Ausschau halten. Vielmehr sollte bedacht werden, dass das Durchschreiten der Türen ein Schritt in Richtung einer Verbindung zu Gott ist. ddk

Re'eh

Freude, die verbindet

Die Tora zeigt am Beispiel der Feiertage, wie die Gemeinsamkeit gestärkt werden kann

von Vyacheslav Dobrovych  22.08.2025

Elul

Der erste Ton des Schofars

Zwischen Alltag und Heiligkeit: Der letzte Monat vor dem Neujahr lädt uns ein, das Wunderhafte im Gewöhnlichen zu entdecken

von Rabbiner Raphael Evers  22.08.2025

Talmudisches

Positiv auf andere schauen

Was unsere Weisen über den Schutz vor bösem Gerede und die Kraft positiver Gedanken lehren

von Diana Kaplan  21.08.2025

Naturphänomene

Entzauberung des Gewitters

Blitz und Donnergrollen wurden lange als Zorn der Götter gedeutet. Doch die Tora beendete diesen Mythos

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  21.08.2025

Fulda

Vor 80 Jahren - Schuldbekenntnis der Bischöfe nach dem Krieg

Sie stand im Zenit ihres Ansehens. Nach Kriegsende galt die katholische Kirche in Deutschland als moralische Macht. Vor 80 Jahren formulierten die Bischöfe ein Schuldbekenntnis, das Raum für Interpretationen ließ

von Christoph Arens  18.08.2025

Ekew

Nach dem Essen

Wie uns das Tischgebet lehrt, bewusster und hoffnungsvoller durchs Leben zu gehen

von Avi Frenkel  15.08.2025

Talmudisches

Granatapfel

Was unsere Weisen über das Sinnbild der Fülle lehren

von Chajm Guski  15.08.2025

Geschichte

Quellen des Humanismus

Wie das Gʼttesbild der jüdischen Mystik die Renaissance beeinflusste

von Vyacheslav Dobrovych  14.08.2025

Wa'etchanan

Mit ganzem Herzen

Was wir von Mosche über das Gebet erfahren können

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  08.08.2025