Behar

Trost nach der Katastrophe

Der Tanach lehrt, dass das zerstörte Jerusalem eines Tages wiedererstehen wird

von Yonatan Amrani  24.05.2024 11:59 Uhr

Rembrandt van Rijn: »Jeremias beklagt die Zerstörung Jerusalems« (1630, Öl auf Holz, Rijksmuseum Amsterdam) Foto: picture alliance / akg-images

Der Tanach lehrt, dass das zerstörte Jerusalem eines Tages wiedererstehen wird

von Yonatan Amrani  24.05.2024 11:59 Uhr

In unserer Parascha geht es um zwei der schönsten sozialen Gebote: Schmitta und Jowel. Im Schmittajahr geben wir dem Land Ruhe und laden vor allem Arme und Benachteiligte ein, die Früchte des brachliegenden Landes zu genießen. Im Joweljahr hingegen kehren die Ländereien zu ihren ursprünglichen Besitzern zurück, alle Sklaven werden befreit und erlangen ihre Freiheit zurück. Das Konzept des Einlösens durch den Vorbesitzer stellt darüber hinaus sicher, dass man bereits vor dem Joweljahr das Recht hat, sein Land zurückzukaufen.

In ähnlicher Weise erzählt uns die Haf­tara (Jirmejahu 32) von der Einlösung des Landes. Das Königreich Jehuda steht zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Zusammenbruch. Die Babylonier dringen in die Stadt Jerusalem ein und zerstören den Tempel. Jirmejahu wird gebeten, das Land seines Cousins einzulösen, es zurückzukaufen, damit die Familie es zurückerhält. Jirmejahu tut dies, und dann bittet ihn G’tt, den Kaufvertrag in einem Tongefäß aufzubewahren.

Jirmejahu weiß, dass die Zerstörung bevorsteht. Warum soll er den Kaufvertrag aufbewahren? Werden nicht alle Juden in Israel ihre Güter und Ländereien verlieren? G’tt antwortet ihm: Es stimmt! Jerusalem wird erobert, der Tempel wird zerstört, und das Volk Israel wird aus seinem Land verbannt. Aber in der Zukunft wird sich alles wenden: »Felder wird man für Geld erkaufen im Umkreis Jerusalems, in den Städten Jehudas und den Städten des Gebirges. Denn Ich werde sie wiederherstellen.«

Der große Prophet Jirmejahu erkennt nicht den tiefen Optimismus, der in der harten Wirklichkeit steckt

Der große Prophet Jirmejahu schafft es nicht, über die gegenwärtige Realität hinauszuschauen. Er erkennt nicht den tiefen Optimismus, der in der harten Wirklichkeit steckt. Er erkennt nicht, dass aus der Schwierigkeit Blumen sprießen werden und dass ihm der Kaufvertrag nutzen wird, auch wenn es im Moment überhaupt nicht so erscheint. Doch eines Tages wird das Volk Israel sicher in seinem Land leben.

Lange Zeit später, im zweiten Jahrhundert n.d.Z., berichtet der Talmud (Makot 24b) von einer Gruppe Gelehrter, darunter Rabbi Akiva, die auf dem Berg wandelten, auf dem sich einst der Tempel befand. Plötzlich sahen sie einen Fuchs, der von da kam, wo sich der Kodesch HaKodaschim, das Allerheiligste, befand, der Ort, an dem die Bundeslade stand. Die Weisen waren schockiert über den Anblick und weinten. Doch Rabbi Akiva lachte.

Warum lachst du, fragten ihn die anderen Gelehrten. Ich lache, antwortete er, weil ich die Katastrophenprophezeiung kenne, dass »Zion als Feld gepflügt werden wird« (Micha 3) – aber ich erinnere mich auch gut an die Trostprophezeiung, nach der »Greise und Greisinnen auf den Plätzen Jerusalems sitzen werden« (Secharja 8). Jetzt, erklärte Rabbi Akiva, werden wir Zeuge dessen, wie sich die Katastrophenprophezeiung erfüllt.

Zion und der Tempel wurden tatsächlich zerstört. Aber wenn die Katastrophenprophezeiung erfüllt wurde, dann wird auch die Trostprophezeiung erfüllt werden. Es ist sicher, dass Jerusalem weiter aufgebaut wird und seine Straßen voller alter Menschen und Kinder sein werden. Und deswegen lache ich.

Der Prophet Jirmejahu und die Gelehrten in der Geschichte von Rabbi Akiva ähneln einander. Sie sind zwar außergewöhnliche Persönlichkeiten, aber in der Zeit der Zerstörung schaffen sie es nicht, über die gegenwärtige Realität hinauszuschauen. Sie verstehen nicht, dass nach der Zerstörung eine Wiedererstehung kommen wird. Dass nach der Katastrophe Trost kommt. Genau dies zeigt G’tt Jirmejahu in der Haftara, und genau darauf weist Rabbi Akiva im Gespräch mit den anderen Gelehrten hin.

Es ist derselbe Rabbi Akiva, der durch eine schreckliche Epidemie fast alle seine Schüler verlor. Sein Beit Midrasch bricht zusammen, seine Welt ist zerstört, aber er glaubt. Er hat noch fünf Schüler und weiß, dass er jeden von ihnen in ein Juwel verwandeln wird. Jeder von ihnen wird ein Leuchtturm für diese und die zukünftigen Generationen des Volkes Israel sein.

Einer dieser fünf Schüler war Rabbi Schimon bar Jochai. Seine Jahrzeit und vor allem seine Lehre werden an Lag BaOmer von Zehntausenden des Volkes Israel gefeiert. Er war eine herausragende Persönlichkeit. Das Licht seiner Lehre erleuchtete die dunkelsten Ecken des jüdischen Volkes: in der Provence des Mittelalters, im Land Israel nach dem spanischen Exil, im osteuropäischen Chassidismus und in unserer Gegenwart.

Eines der beliebtesten Lieder, das wir an Lag BaOmer singen, lautet: »Rabbi Akiva sprach: Heil euch, Israel! Wer ist es, vor dem ihr euch reinigt, und wer ist es, der euch reinigt? Euer Vater im Himmel!« (Talmud Joma 8). In seinen Worten nimmt Rabbi Akiva Bezug auf Jom Kippur. Er ist sich sicher, dass am Ende von Jom Kippur die Gebete des Volkes Israel angenommen wurden und das Volk gereinigt wurde.

Mit Rabbi Akivas Optimismus werden wir dieses Jahr Lag BaOmer feiern

Mit diesem Optimismus baute Rabbi Akiva die Welt der Tora nach einer schrecklichen Epidemie, die die meisten seiner Schüler getötet hatte, wieder auf. Mit diesem Optimismus sah er, dass Jerusalem, obwohl der Tempel zerstört worden war, eines Tages wiederaufgebaut werden würde.

Und mit ebendiesem Optimismus werden wir dieses Jahr Lag BaOmer feiern. In der Hoffnung, dass wir auch heute wissen, inmitten der großen Schwierigkeiten, in denen sich das Volk Israel befindet, wie wir uns erheben und nach vorn blicken können, auf die schönsten Momente des Trostes. Der Prophet Jirmejahu (32) fährt in derselben Prophezeiung fort: »Und ich werde meine Freude an ihnen haben, ihnen wohlzutun, und werde sie in diesem Land einpflanzen, in Treue, mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele.«

Der Autor ist Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg.

inhalt
Der Wochenabschnitt Behar führt das Erlass- und das Joweljahr ein. Das Erlassjahr – es wird auch Schabbatjahr genannt – soll alle sieben Jahre sein, das Joweljahr alle 49 Jahre. Die Tora fordert, dass der Boden des Landes Israel einmal alle sieben Jahre landwirtschaftlich nicht genutzt werden darf, sondern brachliegen muss. Dies geschehe »dem Ewigen zu Ehren«. Im Joweljahr soll alles verkaufte Land an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden, die es erhielten, als das Land nach der Eroberung verteilt wurde (Jehoschua 13, 7–21). Außerdem müssen im Joweljahr alle hebräischen Sklaven freigelassen werden.
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