NEULICH BEIM KIDDUSCH

Trockenfisch lutschen

Man gewöhnt sich dran: Trockenfisch Foto: Stephan Pramme

Dieses Jahr verbringe ich die Sommerfrische bei meinen Eltern. Das heißt kostenlose Betreuung und Bespaßung für die Kids, Fünf-Sterne-Küche, und eine Riesenterrasse mit einem wunderschönen Panorama-Blick auf die samtig grünen Hänge des kleinen Kaffs, in dem ich aufgewachsen bin. Ruhe, Frieden, Nichtstun!

Bereits am siebten Tag sterbe ich fast vor Langeweile und beschließe, der Synagoge des Städtchens einen Besuch abzustatten. Als Kind war ich jede Woche da, zehn Jahre sind ungefähr vergangen, seit ich zum letzten Mal einen Fuß in das Gemeindehaus gesetzt habe. Man darf also gespannt sein. Meine Eltern wollen nicht mitkommen, sie murmeln irgendwas von »finanzieller Schieflage« und »total deprimierend«, also mache ich mich allein auf den Weg.

Sparzwang Tatsächlich macht de Synagoge von außen einen etwas windschiefen Eindruck. Der Pförtner ist immer noch derselbe, nur hat er sich inzwischen ein vorteilhafteres Gebiss angeschafft. Auch drinnen sieht es aus, als wäre der Sparzwang ausgebrochen. In der Damensynagoge muss ich mir den Weg zu meinem Sitz ertasten, nur eine trübe Funzel beleuchtet den Raum. Wo ist eigentlich der Kristalllüster hin, der hier früher hing? Wahrscheinlich zwangsversteigert.

Seufzend setze ich mich und lausche dem Chasan, der auf der Bima vor sich hin jodelt und tremoliert. Ab und zu wird er durch lautes Räuspern und Zischen aus der ersten Reihe (der Vorstand) zur Mäßigung aufgerufen. Alles ist genauso wie früher. Seufzend lehne ich mich zurück und genieße den ledrig-staubigen Geruch der Polster, das altbekannte Quietschen der hölzernen Sitze und die von den vielen Jahren glatt polierte Oberfläche der Stuhlreihen.

blaustich Nach dem Gebet werde ich mit dem Strom der anderen Besucher zum Synagogensaal mitgeschwemmt, niemand erkennt mich, um mich herum nur Oma-Frisuren mit Blaustich, Seniorensandalen und schlecht sitzende Toupets. Echt, echt deprimierend.

Da, endlich, ein Lichtblick – der Rabbi ist immer noch derselbe, wenigstens einer, der mich kennt. Er gibt mir im Telegrammstil ein Update über die letzten zehn Jahre. Sieht so aus, als hätten sie sämtliches Personal gefeuert und lediglich eine neue Person eingestellt.

»Er heißt Aleshbaye Avdigazeavich«, wispert der Rabbi. »Früher war er Fischer am Baikalsee, aber der ist ja ausgetrocknet. Darum hat er umgesattelt und ist jetzt Küchenchef bei uns. Eine preiswertere Kraft konnten wir nicht finden. Spricht leider kein Wort Deutsch, wir verständigen uns per Fingersprache.«

Da wird das Essen reingetragen. Eigentlich nur eine Platte, darauf ein gräulich schimmerndes Sortiment Stockfisch, außerdem Räucherfisch, Trockenfisch, Matjesspießchen und einige einsame Sardinen. »Was anderes als Fisch kann er nicht«, füstert der Rabbi entschuldigend, »aber man gewöhnt sich daran.« Er greift sich ein Röllchen Trockenfisch und lutscht vorsichtig daran.

parallelwelt Da geht ein Wispern durch die Menge: Es gibt zur Feier des Tages (Rosch Chodesch oder so) noch eine Hauptspeise. Die Fleischplatte wird vom Koch hoch erhobenen Hauptes selber reingetragen. Großzügig mit Petersilienbüscheln garniert sieht man einige aus koscherem Dosenfleisch ausgestochene Formen: Herzen, Sterne, auch ein kleiner Nikolaus und mehrere Tannenbäumchen sind dabei. Ich muss in einer Parallelwelt des Trashs gelandet sein.

Seufzend greife ich mir eine Corned-Beef-Sternschnuppe, verschwinde aus diesem deprimierenden Tableau und beginne den halbstündigen Gewaltmarsch den Berg hinauf nach Hause. Ich weiß, dort erwartet mich eine garantiert fischfreie Mahlzeit mit Joich, Lokschen, Kigl und dem ganzen Sortiment an hoch cholesterinhaltigem und praktisch vitaminfreiem Jewish Food. Ich weiß, ich weiß, Fisch ist ja so gesund. Aber manchmal braucht der Mensch statt erstklassigen Omega-3-Fettsäuren halt erstklassiges Jewish Soul Food – fragen Sie mal Ihre Mutter.

Schofar

Ein Klang, der alle Mauern sprengt

Zur Geschichte und Bedeutung des heiligen Instruments am Neujahrsfest

von Rabbiner Elischa Portnoy  11.10.2024

Israel

Töne aus dem Widderhorn

Avi Mischan stellt in einem Gewerbegebiet in Rischon LeZion in fünfter Generation Schofarot her

von Andrea Krogmann  11.10.2024

Einführung

Jom Kippur für Anfänger

Was Jüdinnen und Juden beachten sollten, um den Versöhnungstag erträglicher zu gestalten

von Rabbiner Elischa Portnoy  11.10.2024 Aktualisiert

Versöhnungstag

Ein Schritt ins Allerheiligste

Was der Empfang der Tora am Sinai mit Jom Kippur zu tun hat

von Chajm Guski  11.10.2024

Jom Kippur

Von Vätern und Königen ...

.... und der immerwährenden Hoffnung, im Buch des Lebens zu stehen

von Chiara Lipp  11.10.2024

Jom Kippur

»Fasten kann sogar Glückshormone freisetzen«

Der Verzicht am heilisten jüdischen Feiertag hat nicht nur spirituelle Wirkung: Die Ärztin Yael Adler erklärt, was dabei im Körper passiert

 11.10.2024

Machsor

Kommen Sie gut durch!

An keinem anderen Tag wird so lange und intensiv gebetet wie an Jom Kippur. Dieser Text hilft, sich in der Liturgie zu orientieren

von Rabbiner Avraham Radbil  11.10.2024

Berlin

Zu Besuch in Deutschlands einzigem koscheren Hotel

Ilan Oraizers King David Garden Hotel ist ein Unikum in der Bundesrepublik

von Nina Schmedding  11.10.2024

Israel

Weiter keine Entscheidung über neuen Oberrabbiner

Der neue aschkenasische Oberrabbiner Israels wird erst Ende des Monats in einer Stichwahl gewählt

 10.10.2024