Kurzgeschichte

Träumen von Chanukka

Warum ich mir zum Lichterfest keinen Jeep wünsche

von Neomi Belgora  29.11.2018 10:44 Uhr

Im Glanz der Chanukkakerzen lässt sich’s gut von Wundern träumen. Foto: iStock

Warum ich mir zum Lichterfest keinen Jeep wünsche

von Neomi Belgora  29.11.2018 10:44 Uhr

Der sportlich-elegante und von »Stärke« zeugende Jeep meiner Eltern rollt durch die, wie so oft, verstopften Straßen von Berlin. Die Sonne geht gerade unter, und ich denke daran, wie viele unzählige unerledigte Hausaufgaben, Termine, Playdates und Verwandtenbesuche mich am kommenden Wochenende erwarten. Ich bin müde, genieße den orangeroten Himmel im Zusammenspiel mit den fast schwarzen Wolken und dem graublauen Himmel.

Meine Schwester Esther ist bereits eingeschlafen und hält noch die Reste ihres angeknabberten Schulbrots in der Hand. Die Brotdose fällt auf den Boden des Jeeps, und während ich versuche, die wohlriechenden Schalen der Mandarinen vom Boden zu sammeln, um meine Mutter vor einem drohenden Atemstillstand zu bewahren, kracht es.

TAGTRAUM Der Jeep kommt augenblicklich zum Stehen. Ich erwache aus meinem Tagtraum und orientiere mich nach draußen. Ich kann vor uns ein Auto erkennen, das wohl gerade rechts abbiegen wollte, und einen Radfahrer, der schimpfend und hantierend außer sich vor Wut und anscheinend unverletzt am Straßenrand sein kaputtes Fahrrad aufrichtet.

Hoffentlich merkt jemand, dass ich existiere.

»G’tt sei Dank«, sage ich lachend und denke an Chanukka, während ich meinen Vater sagen höre: »Diese behämmerten Radfahrer …«

WUNDER Ein Wunder, ja wirklich ein Wunder ist es, dass dem Radfahrer nichts passiert ist. Oft bin auch ich mit meinem Mountainbike unterwegs und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Dann genieße ich meine Freiheit und fühle mich ganz und gar unabhängig und lebendig.

Gerne überhole ich dann die im Stau steckenden Busse und auch all die großen Jeeps. Niemand spielt mir dabei unaufhörlich Klassikradio vor oder telefoniert in meinem Beisein überlaut per Smartphone mit seinen Kollegen oder Freunden. Und schon höre ich die Stimme meiner besorgten Mutter, wenn ich das Fahrrad nehmen will: »Muss das sein? Kannst du nicht gehen oder den Bus nehmen? Warte, ich fahr dich schnell.«

NÄCHTE Ach, wie schön Berlin ist! Gerade in dieser Zeit des Jahres werden die Nächte noch heller. Alles ist erleuchtet und lädt zum Träumen ein.

Aber wir sind in unserer Straße angekommen, und meine plärrende kleine Schwester reißt mich endgültig aus meinem Traum. Wir haben keinen Jeep. Wir fahren S-Bahn.

Möge meine Mutter dieses Jahr keine Hektik verbreiten.

Ich helfe meinen Eltern, die Einkäufe zu schleppen, und trage unsere Schulranzen und meinen Geigenkasten ins Haus. In diesem Moment wünsche ich mir ein riesengroßes Wunder für Chanukka.

Möge meine Mutter dieses Jahr keine Hektik verbreiten, möge mein Vater nicht erst dann nach Hause kommen, wenn die Kerzen schon heruntergebrannt sind. Möge meine Schwester nicht wieder mit unzähligen glitzernden rosafarbenen Geschenken bedacht werden. Mögen meine Großeltern zu Besuch kommen, mögen meine Freunde bei uns sein können, ja, und zwar alle, auch Nico und Karim.

SUFGANIOT Mögen andere Kinder bei den Weihnachtskonzerten spielen, die auf meinem Terminzettel stehen. Hoffentlich gibt es an Chanukka nicht nur Süßspeisen, obwohl ich Sufganiot und Latkes sehr gern esse. Und hoffentlich beruhigen sich alle Politiker, über die sich meine Eltern unentwegt unterhalten. Ja, hoffentlich merkt jemand, dass ich existiere.

»Joshua?«, höre ich meinen Vater. »Josh, träumst du? Geh und hilf deiner Schwester bei den Hausaufgaben. Du bist doch ein Supermathehirn. Ich habe leider gleich einen Termin.« Ich steige die Treppen hinauf und bin superfroh, zu Hause zu sein.

Ha'Asinu

Die Kraft der Musik

Der Tanach enthält bedeutende Lieder – aber auch beim Beten, Lesen und Toralernen wird gesungen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  02.10.2024

Mizwot

613 Kerne, 613 Chancen

Mosche Sofer schrieb im 18. Jahrhundert, dass der Granatapfel genauso viele Kerne enthält, wie die Tora Gebote und Verbote zählt. Hier stellen wir acht vor, die Sie im neuen Jahr ausprobieren können

von Rabbiner Dovid Gernetz  02.10.2024

Rosch Haschana

Es beeinflusst unser Schicksal, wie wir den Neujahrstag begehen

Ein Gastbeitrag von Rabbiner Elischa Portnoy

von Rabbiner Elischa Portnoy  02.10.2024

Israel

David Josef zum neuen sephardischen Oberrabbiner Israels gewählt

Bei der Wahl des aschkenasischen Konterparts kam es hingegen zu einem Patt

 30.09.2024

Familie

»Mein Mann und ich hatten das Gefühl zu versagen«

Seit Jahrtausenden ist es ein jüdisches Ideal, viele Kinder zu bekommen. Doch schon die Tora berichtet, wie kompliziert der Weg dahin sein kann. Hier erzählen zwei Frauen ihre Geschichte

von Mascha Malburg  29.09.2024

Nizawim-Wajelech

Einer für alle

Die Tora lehrt, dass jeder Einzelne Verantwortung für das gesamte Volk trägt

von Yaakov Nektalov  26.09.2024

Antisemitismus-Forschung

Wie Europa im Mittelalter antisemitisch wurde

Donald Trump hat ausgerechnet bei einem Event gegen Antisemitismus angedeutet, die Juden seien schuld, wenn er die Wahl verliere. Was hat Antisemitismus von heute mit dem Mittelalter zu tun?

von Christiane Laudage  24.09.2024

Jüdische Kulturtage

Festzug durch Berlin-Mitte

In einer feierlichen Zeremonie wurde eine neue Torarolle mit den Namen der 1200 israelischen Opfer vom 7. Oktober vollendet

 26.09.2024 Aktualisiert

Interview

»Diese Tora ist ein Zeichen, dass wir überlebt haben«

Micha Mark Farnadi-Jerusalmi über das Schreiben religiöser Texte und den Beruf des Sofers

von Mascha Malburg  22.09.2024