Neulich beim Kiddusch

Suppenpulver mit echten Zwiebeln

Ungetrocknet: frische Zwiebel Foto: CC

Auf dem Weg zur Synagoge komme ich an zwei großen Einkaufsläden vorbei. Schabbes beziehungsweise Samstag ist ein wichtiger Tag für den Einzelhandel. Man deckt sich für das Wochenende ein, und die Menschen haben ein bisschen mehr Zeit herumzuschlendern.

Samstag ist auch immer der Tag, an dem – zumindest bei uns in der Schweiz – neue Produkte eingeführt werden. Junge Frauen laufen in und vor den Läden herum und verteilen gratis neue Getränke, Suppenpulver, Waschmittel oder Katzenfutter. Lange müssen sie nicht bitten, dass ihnen der Ramsch abgenommen wird. Alte Menschen, junge Menschen, Frauen, Männer, Kinder umzingeln die Verteilerinnen. Nur ich nicht. Ich laufe neidisch vorbei. Ich bin ja Jude, religiöser Jude. Naja.

Natürlich würde ich auch gerne so eine Probe eines neuen Waschmittels besitzen oder die handliche Minipackung Katzenfutter ausprobieren. Die jungen Frauen eilen auf mich zu und strahlen mich schon an: »Gratis! Suppenpulver mit echten Zwiebeln!« Aber ich darf nicht. Überlegt habe ich mir schon mal, ob ich sie vielleicht bitten könnte, eine Tüte auf die Seite zu legen und sie für mich aufzuheben. Ich würde sie dann am Montag abholen. Aber ich bin zu schüchtern und will die Verteilungsmaschinerie nicht bremsen.

FDP-Kuli Samstag ist auch der Tag, an dem die politischen Parteien an vielen Orten präsent sind. Wie in Deutschland gibt es auch bei uns Liberale, Christsoziale, Linke und Grüne. Ich weiß das, weil sie am Schabbes immer Zelte aufstellen und mich anquatschen. Am liebsten wäre es ihnen, ich würde gleich unterschreiben oder zumindest das Parteiprogramm mitnehmen und zu Hause durchlesen. Und weil ich ein so freundliches Gesicht habe, schenken sie mir einen Kuli. Aber auch hier muss ich passen. Ich bin ja Jude, religiöser Jude. Naja.

Ich seufze dann immer. Wie gerne hätte ich doch einen FDP-Kuli. Oder das Parteiprogramm der Grünen. Es ist nicht immer leicht, Jude zu sein. Ich muss aufpassen, wie ich die vielen Geschenke ablehne. »Ich bin Jude, ich darf nicht!«, hört sich negativ an. »Aus religiösen Gründen darf ich leider keine Geschenke annehmen«, wirkt seltsam. Meistens rette ich mich aus der Affäre, indem ich lüge: »Danke, aber das habe ich schon.« Das hingegen ist eine Lüge und steht auch irgendwo auf der Verbotsliste der Tora.

Himmel, es ist wirklich nicht immer leicht, Jude zu sein. In solchen Momenten denke ich mir dann stets, dass es auch in der Synagoge häufig unangenehm sein kann. Zum Beispiel, wenn ich aus Versehen dem Synagogendiener über den Weg laufe. Dann gerate ich immer in Gefahr, für den Wochenabschnitt aufgerufen zu werden. Das kostet stets etwas. Und wenn mich der Rabbiner sieht, muss ich mich für meine Artikel entschuldigen. Zum Beispiel, dass ich uns Juden immer so negativ darstelle, dass ich nur jammere und wehklage.

Aber, oj weh, es ist wirklich nicht einfach, Jude zu sein!

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025