Pharao

Starr und stur

Zu keiner Regung fähig: Pharao (hier: Skulptur von Amenophis III., um 1370 v.d.Z.) Foto: dpa

Der Wochenabschnitt Bo schildert, wie der Pharao die achte, neunte und zehnte Plage hinnimmt. Mehr als 400 Jahre zuvor hatte Awraham zehn Lebensprüfungen bestanden. Nun wird der ägyptische Herrscher, der sich von niemandem belehren lassen möchte, mit genau zehn Plagen zur Raison gebracht. Eigentlich hätte der Ewige ihn auch mit einer einzigen Strafe in die Knie zwingen können, doch zeigt sich hier, dass jedes g’ttliche Strafmaß individuell genau berechnet ist.

Die relativ kurzen Plagenintervalle lassen Pharao immer wieder neuen Mut schöpfen, um sich dem Himmel zu verweigern. Er ist felsenfest davon überzeugt, selbst ein »Gott« zu sein. Er glaubt, er habe auf niemanden zu hören und auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Selbst die allmähliche Zerstörung seines eigenen Landes lässt ihn kalt.

Arbeh (Heuschrecken), Choschech (Finsternis) und Makat Bechorot (das Erschlagen der Erstgeborenen) machen das Strafmaß voll. Wie Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) ausführt, sollte Pharao dazu gebracht werden, G’ttes Allmacht zu akzeptieren: »Ich habe ihm nicht alles zugleich vernichtet, … sondern ihm etwas gelassen, woran er sich klammerte, und da Ich ihm das Empfindlichste, die Vernichtung des eigentlichen ägyptischen Fruchtreichtums, bis zuletzt ersparte, konnte er noch immer an Meiner eigentlichen Allmacht zweifeln.«

Sand Der Midrasch zitiert zum weiteren Verständnis die Sprüche König Salomos (Mischle 27,3): »Die Schwere des Steines, die Last des Sandes, die Auflehnung des Toren (gegen G’tt) wiegt schwerer als die beiden (ersteren).«

Die Konsistenzen von Stein und Sand sind einander ähnlich und doch verschieden. Steine sind schwer und können nur mithilfe stark wirkender Kräfte bearbeitet werden. Da muss gehämmert oder gemeißelt werden. Mit Sand hingegen ist sehr viel leichter umzugehen. Er gibt jedem Druck nach, verändert schnell seine Form und leistet wenig Widerstand. Ähnlich wie bei der Bearbeitung von Stein musste der Ewige bei Pharao enorm starke Kräfte wirken lassen, bis dieser endlich anfing, Ihn zu akzeptieren, so der Vergleich im Midrasch.

Die oben erwähnte »Last des Sandes« erinnert uns an die Erfahrungen von Josefs Brüdern. Bruderhass hatte dazu geführt, dass Josef von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wurde. Eigentlich war da ein großes, unverzeihlich erscheinendes Verbrechen geschehen – sowohl gegenüber Josef als auch gegenüber dem trauernden, todunglücklichen Vater Jakow. Bei näherer Betrachtung jedoch führte dieser für Josef so schmerzvolle Weg später zur Erlösung aus der Sklaverei.

Eine Hungersnot zwingt Jakow Awinus Söhne, in Ägypten Getreide einzukaufen. Beim zweiten Einkauf lässt Josef die Getreidesäcke kontrollieren – und in Benjamins Sack wird ein angeblich aus Josefs Haus gestohlener Becher gefunden. Jehuda tritt für alle Brüder ein und erwidert vor Josef, der nach Pharao die höchste Regierungsgewalt in Ägypten innehatte: »Was sollen wir meinem Herrn sagen, was sprechen, womit uns rechtfertigen? G’tt hat die Sünde deiner Diener heimgesucht« (1. Buch Mose 44,16).

Um Josefs Brüder zur Einsicht und inneren Umkehr zu bewegen, mussten – ganz im Gegensatz zu Pharao – bedeutend geringere Kräfte mobilisiert werden. Zwei Reisen nach Ägypten hatten zusammen mit all den Erfahrungen bereits genügt, um augenblicklich und ohne weitere größere Umstände Jehudas Herz umzustimmen. Er bereute seine Verfehlungen. Wie Sand ließ er sich leicht in Form bringen und bewegen.

Napoleon Nicht immer finden wir in der Realität des Lebens so eindeutige Konstellationen wie bei Pharao und Jehuda. Die Geschichte erzählt, wie Napoleon auf seinem Russlandfeldzug eine bestimmte Stadt nicht einnehmen konnte. Das traf seinen Stolz. Deshalb belagerte er die Stadt in der Hoffnung, dass sie von selbst, aus Mangel an Nahrung, kapitulieren würde.

Der Stillstand der Kriegsgeschehnisse hatte jedoch zur Folge, dass seine eigenen Soldaten ungeduldig wurden und die innere Moral des Heeres bedroht war. Napoleon befand sich in einem Zwiespalt: Sollte er seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit in Frage stellen lassen, oder sollte er es in Kauf nehmen, dass seine Soldaten anfangen zu meutern?

Er beschließt, gemeinsam mit einem Offizier inkognito die belagerte Stadt auszukundschaften, um herauszufinden, ob die Bewohner noch lange ausharren können oder nicht. Verkleidet schleichen sie sich ins feindliche Lager und kommen in einen Soldatenklub. Dort erfahren sie, dass man die Lage der Stadt als äußerst schwierig einschätzt und man darüber nachdenkt, aufzugeben. Napoleon und sein Offizier freuen sich darüber.

Gefahr Plötzlich ruft ein russischer Soldat, dass wohl einer der verkleideten Gäste in Wirklichkeit Napoleon ist. Ein anderer Soldat wirft ein: Er könne kaum glauben, dass sich Napoleon hinter die feindlichen Linien begeben und sich einer derart großen Gefahr aussetzen würde.

Napoleons Begleiter will ablenken und bestellt eine Maß Bier. Napoleon selbst geht an den Tresen, um es zu holen. Doch er passt nicht auf, der gefüllte Bierhumpen kracht zu Boden und geht kaputt. Um die Situation zu retten, schreit Napoleons Offizier laut auf und schlägt auf Napoleon ein, bis dieser verletzt zu Boden geht.

Schon tönt es von einem russischen Soldaten: Und ihr hattet geglaubt, dass dieser Idiot Napoleon sei! Ein großes Gelächter bricht unter den Anwesenden aus. Schnell bezahlt Napoleons Offizier das Bier und den zerbrochenen Humpen, und beide verlassen so schnell wie möglich die Szene.

Sobald sie außerhalb der Gefahrenzone sind, wirft sich der Offizier Napoleon zu Füßen: Majestät, nur um Ihr Leben zu retten und um aus der gefährlichen Situation herauszukommen, griff ich zu dieser drastischen Maßnahme. Napoleon dankt ihm – er versteht, dass die Schläge ihm das Leben gerettet haben. Er befördert den Offizier und beschenkt ihn. Bald danach nehmen Napoleons Truppen die feindliche Stadt ein.

Maßnahmen Alle Mächtigen müssen auf je eigene Art lernen, dass ihre Macht nicht unbegrenzt ist. G’ttes Maßnahmen sind jeweils verschieden und der individuellen Situation der Betreffenden angepasst: Bei Pharao haben wir gesehen, dass nur allerhärteste, drastische Maßnahmen seinen Stolz brechen. Bei Jehuda war das nicht nötig. Nachdem er eingesehen hatte, dass die Dinge falsch gelaufen sind, zeigte er sofort Reue und bewirkte dadurch, dass Benjamin nicht belangt wurde und alles sich zum Guten wandte.

Napoleon war nur zum Teil einsichtig. Einerseits belohnte er den Offizier, obwohl dieser es gewagt hatte, ihn zu schlagen. Andererseits war er hart wie der Pharao und wollte unbedingt die russische Stadt erobern.

Der Autor ist Landesrabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW).

Paraschat Bo
Der Wochenabschnitt schildert die letzten Plagen, mit denen G’tt Ägypten heimsucht: zunächst Heuschrecken und Dunkelheit, dann kündigen Mosche und Aharon die Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen an. Doch das Herz des Pharaos bleibt hart. Die Tora schildert die Vorbereitungen für das Pessachfest und beschreibt dann die letzte Plage: Alle Erstgeborenen Ägyptens sterben, doch die Kinder Israels bleiben verschont. Nun endlich lässt der Pharao die Israeliten ziehen. Zum Abschluss schildert die Parascha erneut die Vorschriften für Pessach
und die Pflicht zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten.
2. Buch Mose 10,1 – 13,16

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025