Anschläge

Sinn finden im Leid

Bei der Beerdigung von Nehemia Lavi Foto: Flash 90

Schon für Erwachsene ist es schwer genug, Terroranschläge zu verkraften. Für Kinder ist es weitaus schlimmer – insbesondere, wenn ihre Eltern oder andere Angehörige zu den Opfern gehören.

Als Beginn der jetzigen Terrorwelle wird der Überfall auf das junge Ehepaar Eitam und Naama Henkin gesehen, das am 1. Oktober in der Nähe von Itamar im nördlichen Westjordanland kaltblütig in seinem Auto erschossen wurde. Im hinteren Teil des Autos saßen ihre vier kleinen Kinder, die alles mitansehen mussten. Zwei Tage später erstach ein Araber in der Jerusalemer Altstadt zwei religiöse Juden auf offener Straße. Der erst 21-jährige Aharon Banita hinterlässt zwei, der Rabbiner Nehemia Lavi sieben Kinder.

Halt
Bei diesen Anschlägen waren alle Opfer religiöse Juden. Trauer und Schmerz sind häufig unerträglich, aber die Religion gibt den verwaisten Kindern Halt und die Gewissheit, dass das Leben auch in solch schwierigen Situationen einen Sinn hat. Die Kinder wachsen in vielen Fällen bei Verwandten auf, die sich bemühen, die Erziehung im Sinne der verstorbenen Eltern zu gestalten – so etwa bei den vier Waisen der Familie Henkin.

Aus religiöser Sicht handelt es sich bei den Angriffen um ein Dekret Gottes. »Nichts passiert ohne das Wissen und die Einwilligung von Gott. Wir Menschen sind in unserem Verständnis beschränkt, nur Gott versteht alles. Wir glauben daran, dass Gott die richtigen Entscheidungen trifft, die zu unserem Besten sind«, erklärt der charedische Rabbiner Avigdor Bronner aus Raanana.

Opfer Rabbiner Chanania Rechel gehört der nationalreligiösen Strömung an und lehrt in einer Jeschiwa in Ramat Hascharon. Er sieht in den Terroranschlägen in erster Linie »Geburtswehen« des jungen Staates Israel. »Nach 2000 Jahren sind wir zurück in unserem Land und bauen hier unsere Existenz neu auf. Manchmal gibt es Rückschläge, es müssen Opfer gebracht werden für Eretz Israel, aber der Weg des jüdischen Volkes ist klar definiert.«

Ein Kind aus religiösem Haus lernt, dass seine Eltern auch nach ihrem Tod auf es aufpassen, und dass es in der physischen Welt mit guten Taten und dem Einhalten der Gebote seine verstorbenen Eltern unterstützen kann. Das kann auch seinen Glauben stärken. »Der Glaube eines Kindes wird zu etwas Realem, es muss sich nun mit den harten Fakten des Lebens auseinandersetzen. Der Glaube wird vom Konzept zur Realität«, erklärt Rabbiner Bronner.

Hilfe In religiösen Kreisen werden Waisen je nach Bedürfnis mit Essenspenden, finanzieller Unterstützung und bei Lernschwierigkeiten mit Privatunterricht unterstützt. Außerdem werden Ausflüge ins Grüne organisiert, damit die Kinder wieder – wenigstens eine Zeit lang – fröhlich sein können.

Der Psychologe und Grundschuldirektor Uzi Hasson betont, die Reaktion von Kindern sei häufig durch die Krisenvorbereitung geprägt, die sie in ihrer Erziehung erhalten haben. Dies komme in einer solchen Extremsituation zum Ausdruck. Die beste Verarbeitungsmethode aus psychologischer Sicht sei eine Mischung aus Trauer, verbunden mit dem Willen, stark zu sein und weiterzumachen.

»Man muss auf das Leben schauen, nicht auf den Tod, sonst drohen Depression und andere psychische Krankheiten«, erklärt Hasson, der der nationalreligiösen Strömung angehört. Bei der Verarbeitung spiele auch das Alter der betroffenen Kinder eine Rolle.

Man könne Kindern den persönlichen Verlust erklären, indem man ihn in Beziehung setze zu schweren Schicksalsschlägen der jüdischen Geschichte wie der Inquisition oder der Schoa. »Kinder sollen lernen, optimistisch zu sein und verstehen, dass das Leben manchmal hart und schwierig ist. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass am Ende das Gute siegt«, schließt Hasson.

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024