Redezeit

»Sie hat eine lange Reise hinter sich«

Hans-Walter Stork: »Es muss ein besonderes Erlebnis sein, wenn die Rolle an Purim gezeigt wird.« Foto: Moritz Piehler

Redezeit

»Sie hat eine lange Reise hinter sich«

Hans-Walter Stork über eine ganz besondere Esther-Rolle, glückliche Fügung und lärmende Rasseln zu Purim

von Moritz Piehler  17.02.2012 12:59 Uhr

Herr Stork, die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zeigt alle vier Wochen im Handschriftenlesesaal ein »Exponat des Monats«. Diesmal ist es eine Megillat Esther, eine Schriftrolle des biblischen Buches. Woher und aus welcher Zeit stammt sie?
Sie hat eine lange Reise hinter sich: 1906 wurde sie der Bibliothek von einem russischen Diplomaten geschenkt. Er hatte sie 1882 erworben. Davor war sie im Besitz einer Moskauer Familie. Und vor dieser Zeit gehörte sie einem russischen Fürsten. Sie hat den Zweiten Weltkrieg bei uns unbeschadet überlebt.

Wann ist die Rolle entstanden?
Das genaue Alter kann man nur sehr schwer feststellen. Sie ist Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden. Aber der Ort der Herstellung lässt sich nicht exakt in Erfahrung bringen, auch nicht, wem sie ursprünglich gehörte. Viele Esther-Rollen waren mit Kupferstichen versehen. Die meisten stammten aus Italien, vor allem aus Venedig, wo damals die größte jüdische Gemeinde in Europa lebte. Aber die kunsthistorische Erfassung in diesem Bereich ist leider noch nicht sehr weit fortgeschritten.

Was zeichnet Ihre Esther-Rolle aus?
Sie ist sehr farbenfroh mit starken Rot- und Grüntönen. Die Illustrationen sind in einer fortlaufenden Anordnung, fast wie in einem Comicstrip, um den Text angeordnet, wie das bei den ausgeschmückten Familienexemplaren oft der Fall war. Je nach Herkunft und Fähigkeit des Illustrators fällt die Gestaltung solcher Rollen sehr unterschiedlich aus.

Welche Beziehung haben Sie zu dieser Schriftrolle?
Ich bin schon während des Studiums über meinen Professor mit der Geschichte von Esther in Berührung gekommen. Die Erzählung beeindruckt mich, weil sie davon berichtet, wie ein Judenmord erfolgreich verhindert wurde. Deshalb ist sie bis heute ein wichtiger Bestandteil im jüdischen Kalender: Sie wird an Purim gelesen.

Warum haben Sie gerade dieses Exponat gewählt, um es zu präsentieren?
Die Rolle wurde seit ihrer Schenkung nur noch bibliothekarisch und nicht mehr kultisch verwendet. Sie ist deshalb sehr gut erhalten. Ich stelle mir vor, dass es ein besonderes Erlebnis sein muss, als Kind dabei zu sein, wenn die Rolle an Purim entrollt und die Geschichte vorgelesen wird. Dabei lärmen die Rasseln, und die Eltern trinken in froher Runde Wein. So etwas muss sehr einprägsam sein.

Das Gespräch führte Moritz Piehler.


Hans-Walter Stork ist Handschriften-Referent der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.

Talmudisches

Freundlich grüßen

Was unsere Weisen über Respekt im Alltag lehren

von Yizhak Ahren  04.12.2025

Begnadigung

Eine Frage von biblischer Tragweite

Die Tora kennt menschliche Reue, gerichtliche Milde und g’ttliche Gnade – aber keine juristische Abkürzung

von Rabbiner Raphael Evers  03.12.2025

Geschichte

Wie Regina Jonas die erste Rabbinerin wurde

Die Ordination Ende 1935 war ein Ergebnis ihres persönlichen Kampfes und ihrer Kompetenz – ein Überblick

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  03.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 01.12.2025 Aktualisiert

Wajeze

Aus freier Entscheidung

Wie Jakow, Rachel und Lea eine besondere Verbindung zum Ewigen aufbauten

von Paige Harouse  28.11.2025

Talmudisches

Frühstück

Was schon unsere Weisen über die »wichtigste Mahlzeit des Tages« wussten

von Detlef David Kauschke  28.11.2025

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  28.11.2025

Kiddusch Lewana

Im Schein des Trabanten

Auf jeden neuen Mond sprechen Juden einen Segen. Was steckt dahinter?

von Rabbiner Dovid Gernetz  27.11.2025