Mizwa

»Schmuck zwischen den Augen«

Sitzen sie richtig? Prüfender Blick in den Spiegel Foto: Gregor Zielke

Unser Wochenabschnitt enthält das Gebot, Tefillin (Gebetsriemen) zu legen. Die beiden quadratischen Kapseln aus schwarzem Leder enthalten vier Bibelabschnitte auf Pergament, das Schma Israel sowie das Gebot, Tefillin zu tragen. Einer dieser Bibelabschnitte ist Teil unserer Parascha: »So leget diese Worte in euer Herz und eure Seele, bindet sie zum Zeichen an eure Hand, und sie seien zum Kopfschmuck zwischen euren Augen« (5. Buch Mose 11,18).

Dies und die Verse 9 und 16 im 2. Buch Mose, Kapitel 13 sowie Vers 8 im 5. Buch Mose, Kapitel 6 sind die einzigen vier Verse in der Tora, die von Tefillin berichten. Die Tora gibt uns die Mizwa, Tefillin zu tragen, aber wie man sie zu tragen hat und wie sie aussehen sollen, all das ist mündliche Tradition – das steht in Mischna und Talmud.

Zahlenwert Wenn bei der Herstellung der Tefillin eine Vorschrift nicht beachtet wird, so sind die Gebetsriemen untauglich, und das Gebot, sie zu tragen, kann nicht erfüllt werden. Die Tefillin müssen quadratisch sein. Auf dem Kopfbehälter ist der hebräische Buchstabe Schin eingearbeitet. Dies deutet möglicherweise darauf hin, dass man 300 Tage im Jahr verpflichtet ist, Tefillin zu tragen, denn dem Buchstaben Schin entspricht der Zahlenwert 300.

Die auf Pergament geschriebenen Bibelabschnitte für die Tefillin werden in Stoff eingerollt und mit dem Haar eines koscheren Tieres umwickelt. Die Tefillin müssen mit Sehnen von koscheren Tieren zusammengenäht sein. Und die Riemen müssen schwarz sein. Obwohl die wesentlichen Bestimmungen der mündlichen Tradition angehören und keine eindeutige Entsprechung in der Tora haben, kann man ihren Grund durch Exegese erschließen.

Warum bindet man die Tefillin auf den linken Arm und nicht auf den rechten? Schauen wir uns die beiden folgenden Verse an, sie erwähnen zwei Hände, die linke und die rechte: »Hat doch meine Hand die Erde gegründet und meine Rechte den Himmel ausgespannt« (Jeschajahu 48,13) und »Mit ihrer Hand greift sie nach dem Pflock, und mit ihrer Rechten nach dem Hammer der Arbeiter« (Richter 5,26).

Die linke Hand heißt einfach nur Hand, dagegen wird die rechte immer ausdrücklich als rechte Hand bezeichnet. Daraus leitet man ab, dass die Tefillin auf den linken Arm gebunden werden, weil der Vers nur von »Hand« spricht, ohne zu spezifizieren: »Bindet sie zum Zeichen an eure Hand«.

Kopf Zwar steht in unserem Vers, dass die Tefillin sich zwischen den Augen befinden müssen, aber das Gesetz schreibt vor, dass sie auf den Kopf gebunden werden. Man nimmt also die Aussage »zwischen den Augen« nicht wörtlich. Das liegt am folgenden Vers: »Ihr seid Kinder des Herrn, eures G’ttes. Ihr sollt euch wegen eines Toten keine Einschnitte machen und euch nicht kahl scheren zwischen euren Augen« (5. Buch Mose 14,1). Wenn jemandem nicht gerade Haare im Gesicht wachsen, ist schwer vorstellbar, was die Tora uns hier sagen möchte. Mit »zwischen den Augen« wird also eher »der Kopf« verstanden – dies überträgt man auf den Vers über die Tefillin.

Außer am Schabbat und an anderen Feiertagen werden die Tefillin jeden Tag während des Morgengebets am linken Arm und am Kopf befestigt. Frauen sind nicht dazu verpflichtet, sie zu tragen. Sie sind grundsätzlich von allen zeitbedingten Geboten befreit.

Die Mizwa, Tefillin zu tragen, hat seine Gültigkeit nur während des Tages, aber nicht während der Nacht; somit ist sie ein zeitbedingtes Gebot. Allgemein erlaubt die Tora Frauen, Gebote zu erfüllen, zu denen sie nicht verpflichtet sind. So steht im Talmud (Eruvin 96a), dass Michal, die Tochter von König Schaul und Ehefrau von König David, Tefillin trug – und die Gelehrten erhoben keinen Einwand dagegen. Auch erzählt man sich die Legende, Raschis Töchter hätten Tefillin getragen. Heute ist es aus kulturellen und politischen Gründen verpönt, dass Frauen Tefillin tragen.

Totafot Das Wort Tefillin, was von dem hebräischen Wort Tefilla (Gebet) abgeleitet ist, wird im Tenach nirgendwo erwähnt. Dafür gibt es aber ein ganz anderes, fremdartiges Wort: Totafot. Es kommt in der Tora nur drei Mal vor. Seine Herkunft ist seit Jahrhunderten umstritten, oft wird es mit »Kopfschmuck« übertragen. In der aramäischen Übersetzung des Verses 2. Samuel 1,10 wird das hebräische Wort Ezada (Armbinde) mit Totafta wiedergegeben – genauso wie das hebräische Wort für Turban (Peer) in Jecheskel 24,17. Die Mischna versteht unter »Totefet« eine Stirnplatte. Alle diese Gegenstände sind Schmuck.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808– 1888) drückt das Gebot der Tefillin so aus: »Wir müssen G’ttes Worte zum Gegenstand unseres Denkens und Empfindens machen, unseres Wollens und Vollbringens. Die Tefillin vergegenwärtigen uns symbolisch als krönender Kopfschmuck diese Pflichten.«

So sieht auch Maimonides (1138–1204) den Zweck der Tefillin in der fortwährenden Erinnerung an G’tt, der Ehrfurcht vor ihm und der Liebe zu ihm sowie der Beachtung aller Gebote. Und tatsächlich: Wenn wir täglich Tefillin legen, werden wir an G’tt, an die Liebe und Ehrfurcht vor ihm sowie an die Bedeutung der Gesetze der Tora erinnert.

Der Autor studiert an der Yeshivas Beis Zion und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Ekew zählt die Folgen des Gehorsams der Israeliten auf. Wenn sie sich an die Gesetze halten würden, dann blieben die Völker jenseits des Jordans friedlich, und es würde sich materieller Fortschritt einstellen. Die bisherigen Bewohner müssen das Land verlassen, weil sie Götzen gedient haben – nicht, weil das Volk Israel übermäßig rechtschaffen wäre. Am Ende der Parascha verspricht Mosche, im Land Israel würden Milch und Honig fließen, wenn das Volk die Gebote beachtet und an die Kinder weitergibt.
5. Buch Mose 7,12 – 11,25

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024