Talmudisches

Schmerzpädagogik

»Da zwickte Schmuel den Perser ins Ohr. Vor Schmerz rief dieser: ›Mein Ohr, mein Ohr!‹« (Kohelet Rabba 7,8) Foto: Thinkstock

Die rabbinische Überlieferung hat uns verschiedene pädagogische Hinweise hinterlassen, wem die Tora gelehrt werden sollte und wie – aber auch, wem und wie nicht. So erzählt der Midrasch (Kohelet Rabba 7,8) von einem Perser aus dem dritten Jahrhundert n.d.Z., der anfing, sich für die Lehre des Judentums zu interessieren. Er ging also zu den beiden größten talmudischen Gelehrten jener Epoche in Babylonien, dem heutigen Irak.

Erst kam er zu Raw, dem Oberhaupt der Jeschiwa in der Stadt Sura am Euphrat, dann zu Schmuel, dem Rosch Jeschiwa von Nehardea. Der Überlieferung zufolge waren beide direkte Schüler von Rabbi Jehuda HaNassi, dem Redaktor der Mischna.

Frechheit Dieser Perser nun fühlte sich zwar einerseits angezogen von der jüdischen Religion, doch hatte er andererseits ihr gegenüber eine immer noch recht skeptische, freche Einstellung. Aus diesem Grund stellte er Raw, bei dem er sich zuerst einfand, absichtlich provozierende Fragen.

Als Raw anfing, ihm geduldig das Fundament der Tora, das hebräische Alefbet, nahezubringen, entgegnete der Perser: Woher kann ich wissen, dass dies wirklich das Alef ist und das das Bet? Da endete Raws Geduld. Er warf den Perser hinaus und rief ihm einen Fluch hinterher.

Als Nächstes ging der Perser zu Schmuel und stellte auch hier die Identität der Buchstaben des Alefbets infrage. Kaum hatte er sein »Woher kann ich das wissen?« ausgesprochen, da zwickte Schmuel den Perser ins Ohr. Vor Schmerz rief dieser: »Mein Ohr, mein Ohr!«

Schmuel entgegnete: »Wie kannst du wissen, dass dies dein Ohr ist?« Da antwortete der Perser: »Es ist doch allgemein bekannt, dass das mein Ohr ist.« Daraufhin ließ Schmuel ihn los und erwiderte: »So ist auch allgemein bekannt, dass dies ein Alef und dies ein Bet ist.« Das akzeptierte der Perser, ließ ab von seinen Provokationen und lernte seither fleißig Tora.

Geduld Der Midrasch nun zieht aus dieser Geschichte den folgenden pädagogischen Schluss: Geduldiges Verhalten gegenüber den Schülern ist besser als Stolz. Denn Raw fühlte sich durch die freche Art seines Schülers persönlich angegriffen und warf ihn hinaus, wodurch dieser, wäre er nicht zu Schmuel gegangen, seine heidnischen Wege schlicht wieder aufgegriffen hätte.

Doch Schmuel erkannte, dass das Unterrichten von Menschen ein hoher Wert an sich ist, selbst wenn die Schüler frech sind. Persönlichen Stolz muss man dafür zurückstellen. Der von ihm angewandte Trick half ihm dabei, die Lernlust des Schülers zu erhöhen – auch wenn die damit verbundene Körperstrafe heute un­angemessen wäre. Dieses Prinzip der Geduld und der Offenheit gegenüber den Schülern finden wir auch in anderen Geschichten unserer Weisen. Die Gegenmeinung wird entsprechend verworfen.

Die Schüler Schammais etwa, des strengen Lehrers des pharisäischen Judentums vor der Zerstörung des Tempels, sagten: Man unterrichte nur jemanden, der weise, reich, bescheiden ist und aus einer guten Familie stammt (Avot deRabbi Natan 2,9). Entsprechend berichtet die Überlieferung auch, wie Schammai manchmal im Zorn zum Stock griff, wenn er auf einen frechen Schüler stieß.

Doch Hillel und die Seinen lehrten, dass man alle Menschen, je nach ihrem Wissensstand, unterrichten und sie damit in Liebe an ihren Vater im Himmel heranführen soll. Die Halacha folgt dem Haus Hillels.

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024