Hildesheimer Vortrag

»Schaffe mir Kinder!«

Schaffe mir Kinder, wenn nicht, so sterbe ich!» Mit diesem Zitat der Rachel aus der Tora unterstrich der Rabbiner und Mediziner Avraham Steinberg die Dringlichkeit des Kinderwunsches von Menschen zu allen Zeiten. Er hielt am Dienstagabend vor mehr als 150 Zuhörern den mittlerweile fünften Hildesheimer Vortrag im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Veranstaltung wird seit 2013 jährlich von den Berliner Studien zum Jüdischen Recht gemeinsam mit dem Rabbinerseminar zu Berlin organisiert – in Erinnerung an Rabbiner Esriel Hildesheimer, der 1873 in Berlin das erste orthodoxe Rabbinerseminar in Deutschland gegründet hatte.

Shaare Zedek Avraham Steinberg (70), geboren 1947 im bayerischen Hof, ist Mitvorsitzender des israelischen Nationalrates für Bioethik und Direktor der Einheit für medizinische Ethik am Shaare Zedek Medical Center in Jerusalem. Außerdem leitet er die Redaktion der Talmudischen Enzyklopädie in Israel.

Sein prägnanter und gut strukturierter Vortrag zum Thema «Moderne Reproduktionstechnologie: Rechtliche und halachische Perspektiven» beschäftigte sich mit der Behandlung von weiblicher und männlicher Unfruchtbarkeit und der Frage, unter welchen Bedingungen Intrauterine Insemination (IUI), In-vitro-Fertilisation (IVF), Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), Samen- und Eizellspende sowie Leihmutterschaft mit dem jüdischen Religionsgesetz vereinbar sind.

Wie Rachel hätten viele Frauen in der Bibel, die zunächst unfruchtbar waren, später doch noch Kinder bekommen, unterstrich Steinberg. Heute seien etwa 100 Millionen Paare auf der Welt von Unfruchtbarkeit betroffen. Mithilfe moderner Technologien könne vielen geholfen werden. Dadurch seien jedoch auch Dilemmata entstanden, die früher undenkbar waren.

In Israel etwa sei folgender Fall aufgetreten: Eltern, deren Sohn als junger Mann gestorben war, wollten dem Toten Samenzellen entnehmen lassen – um damit Enkelkinder zu erzeugen. «Das jüdische Religionsgesetz erlaubt das nicht», unterstrich Steinberg.

Eizellspende In einer anderen umstrittenen Frage – nämlich, ob bei einer Eizellspende die Spenderin oder die Frau, die das Kind austrägt, als Mutter gilt – gebe es dagegen kein eindeutiges Urteil: «Die führenden Rabbiner sagen, wir können das Problem nicht lösen. Beide sind Mütter», so Steinberg.

Zuhörer des Vortrags waren unter anderen Zentralratspräsident Josef Schuster, Vizepräsident Abraham Lehrer, Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann und Rabbiner Josh Spinner, Executive Vice President und CEO der Ronald S. Lauder Foundation. Der Dekan der Humboldt-Universität und Professor für Öffentliches Recht, Martin Eifert, und Martin Heger, Professor für Strafrecht und Vertreter der Berliner Studien zum Jüdischen Recht, begrüßten die Gäste.

Josef Schuster sagte in seiner Einführung: «Als ich erfuhr, dass Rabbiner Professor Avraham Steinberg den diesjährigen Hildesheimer Vortrag halten wird, entschied ich mich, meinen heutigen Aufenthalt in Berlin zu verlängern.» Der Vortrag interessiere ihn nicht nur als Zentralratspräsident und Mitglied des Kuratoriums des Rabbinerseminars zu Berlin, sondern insbesondere auch als Mediziner, sagte Schuster.

medizinethik Um das biblische Gebot «Seid fruchtbar und mehret euch» und den Wunsch nach Kindern zu erfüllen, sei im Judentum vieles möglich, betonte der Zentralratspräsident. Fragen der Medizinethik würden in Israel anders diskutiert als in Deutschland. Die Halacha komme zu anderen Schlüssen als die christliche Lehre, die in Deutschland die Diskussion ebenso beeinflusse wie die säkulare Perspektive.

Daraus ergäben sich Unterschiede zwischen deutschen und israelischen Gesetzen, etwa bei der Präimplantationsdiagnostik (PID), die in Deutschland deutlich restriktiver angewandt werde, oder bei der Stammzellforschung, die in Israel deutlich stärker gefördert werde, so Schuster.

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025