Talmudisches

Riesige Trauben

Sinnbild für Fülle an irdischem, landwirtschaftlichem Wohlstand: Riesentraube Foto: Getty Images/ Montage: Marco Limberg

Talmudisches

Riesige Trauben

Vom kleinsten aller Bäume

von Rabbiner Netanel Olhoeft  04.11.2021 13:58 Uhr

»Die jetzige Welt ähnelt nicht der kommenden«, lesen wir im Talmud: »In dieser Welt leidet man beim Einbringen und beim Pressen der Trauben. In der kommenden Welt aber bringt man eine einzige Traube ein (die so groß ist), dass sie in einem Wagen oder Boot transportiert werden muss, legt diese in einen Winkel des Hauses und bezieht aus ihr Wein wie aus einem großen Fass« (Ketubbot 111a).

Woher stammt diese spielerisch anmutende Idee von zukünftigen Riesenreben in der messianischen Zeit?

Als Mosche im zweiten Jahr der Wüstenwanderung zwölf Kundschafter ins Land Israel schickte, um dem jüdischen Volk dessen natürlichen Reichtum vor Augen zu führen, gab er den ausgesandten Stammesfürsten eine besondere Aufgabe mit auf den Weg: »Seid stark und bringt auch von der Frucht des Landes mit« (4. Buch Mose 13,20).

reben Die losziehenden Männer stießen daraufhin in einem Tal hinter Hebron auf einen besonders üppigen Weinberg, dessen Reben so groß waren, dass sie von einem einzigen Menschen kaum gehoben werden konnten. Dort schnitten die Männer eine Rebe ab. Diese pralle, ins sandige Wüstenlager zurückgetragene Riesenrebe sollte für das dort wartende Volk zum Symbol der Üppigkeit des Landes Israel werden.

Die übernatürlich anmutende Traubenfülle Kanaans, von der die Tora hier berichtet, hat ihre Ursache wiederum in einem noch früher zurückliegenden Ereignis. Jakow, der Stammvater der Israeliten, segnet seinen Sohn Jehuda, in dessen Gebiet später auch das Umland Hebrons liegen sollte, mit folgenden Worten: »Sein Eselfohlen wird er an Weinstöcke binden, das Junge seiner Eselstute an Rebholz. In Wein wird (Jehuda) sein Kleid waschen und seine Robe im Traubenblut« (1. Buch Mose 49,11).

Jehuda, der viertgeborene Sohn Leas, dem Jakow aufgrund der Vergehen der ersten drei Söhne die Herrschaft über seine Brüder überträgt, wird mit einer Fülle an irdischem, landwirtschaftlichem Wohlstand gesegnet.

sinnbild Das Sinnbild dafür ist hier, eben wie bei Mosches Kundschaftern, jedoch nicht ein Überfluss an Getreide, dem Grundnahrungsmittel der antiken Welt, sondern an Trauben. Warum ist das so? Nach der Tora war bei der ursprünglichen Erschaffung der Landlebewesen angedacht, dass sie sich ausschließlich von »Erdfrüchten« ernähren sollen, der aufrecht gehende Mensch dagegen auch von »Baumfrüchten« (1, 29–30).

Als sich aber die Menschen im Garten Eden an jener besonderen Baumfrucht vergingen, wurde ihnen als Strafe aufgetragen, die von nun an verfluchte Erde zur Nahrungsgewinnung zu bearbeiten (3, 17–19). Die Erdfrucht schlechthin ist daher das Brot.

Als aber die Zeit, in der die Erde verflucht war, mit der Sintflut zu einem Abschluss kam, ermöglichte es Gott dem Noach, der die Menschheit vom verfluchten Boden befreien sollte (5,29), erstmals einen Baum zu kultivieren, nämlich einen Weinstock.

Zeichen Die diesem kleinsten aller Bäume (Wajikra Rabba 36,2) entspringende Traube ist daher das Zeichen dafür, dass einer der Flüche, den die Menschheit bei der Verbannung aus dem Paradies auf sich gezogen hatte, wieder aufgehoben ist. Somit ist die Traube auch ein Sinnbild des Gartens Eden.

Daher überrascht es nicht, dass sich nach einer rabbinischen Meinung die Traube und ihr Wein hinter dem geheimnisvollen Begriff der verbotenen »Frucht des Erkennens des Guten und Bösen« verbergen sollen (Sanhedrin 70a).

Das Land Israel, das nach einer Überlieferung das Tor zum Garten Eden ist (Pirkej de-Rabbi Elieser 20,1), zeichnete sich daher zur Zeit Mosches durch besonders paradiesische Trauben aus. Und alle Wunder, die die Ära der ersten Erlösung zierten, werden nach unseren Weisen in der messianischen Epoche noch übertroffen werden.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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