Sukkot

Reise in die Wildnis

In unseren Breitengraden trägt man in der Laubhütte oft Mantel und Schal: Sukkotfeier in Köln Foto: epd

Wer schon einmal eine Sukka (Laubhütte) gebaut hat, der weiß, dass es oft nicht einfach ist, ein solches Gebilde zu errichten. Ein gewisses handwerkliches Geschick benötigt man schon, um eine Laubhütte ordentlich zu erbauen, damit wir unsere Mizwa, darin zu wohnen, erfüllen können.

Das Wort Sukkot bedeutet »Hütten«, die aber als Baueigenschaft einen temporären, zeitweiligen, Charakter aufweisen müssen. Dementsprechend gibt es einige Vorschriften, wie eine koschere Sukka auszusehen hat.

Für eine Sukka eignen sich alle Materialien – Holz, Metall, Tücher und Steine. Eine Ausnahme bildet das Dach: Hierfür dürfen nur aus der Erde wachsende Pflanzen, die man abschneidet, verwendet werden. Dazu zählen zum Beispiel Baumzweige, Blätter, Maisstängel, Bambus, Strohmatten oder einfach Holzlatten. Durch das Dach wird der temporäre Charakter der Sukka definiert – darum dürfen nur natürliche Materialien verwendet werden.

dach Das Dach muss mehr Schatten spenden als Sonne durchlassen. Jedoch darf das Dach nicht so dicht sein, dass man die Sterne nachts nicht sieht oder kein Regen hindurchkommt. Eine Sukka muss mindestens drei Wände haben – eine vierte Seite darf offen bleiben.

Die Sukka darf an ein Gebäude angelehnt sein, selbst einige Wände des Gebäudes dürfen verwendet werden. Jedoch darf sie nicht unter einem Baum stehen oder bedeckt sein – zum Beispiel durch einen Vorbau. Sie muss mindestens 75 Zentimeter breit und hoch sein, sodass eine Person in ihr sitzen kann. Aber höher als zehn Meter darf sie auch nicht sein. Und sie wird nur zu Sukkot verwendet, nicht aber außerhalb dieses Zeitraums – denn dann wäre sie nicht mehr nur für den Feiertag bestimmt und somit nicht mehr temporär.

Die Mizwa ist es nun, die Sukka den ganzen Feiertag über zu verwenden, am besten sogar, richtig in ihr zu wohnen. In Israel ist so eine Mizwa leichter einzuhalten als in unseren Breitengraden. Witterungsbedingt ist es hier schlicht zu kalt oder zu nass. Man sollte trotzdem versuchen, wenigstens die Mahlzeiten in der Sukka einzunehmen.

pause Nach den vorangehenden Feiertagen Rosch Haschana und Jom Kippur haben wir einen tiefgehenden Prozess durchlebt, der uns einen intensiven Einblick in unser Leben und das Leben unserer Umwelt gegeben hat. Und Sukkot bietet uns als Fest eine Art Pause an – einen Freiraum, der uns zu nichts zwingt, uns jedoch langsam daran erinnert, dass wir danach, nach unseren Feiertagen, die Laubhütte verlassen werden und ein neuer Weg im neuen Jahr vor uns liegt. Wir stehen also wieder einmal vor einem Neuanfang, vor einem Neubeginn eines Weges, für den wir uns anscheinend noch nicht ganz entschieden haben, der uns vielleicht auch noch nicht ganz bewusst ist.

Aller Anfang ist manchmal schwer – das gilt natürlich auch für den Beginn eines neuen Jahres. Und darum sitzen wir in unseren selbst gebauten Laubhütten, unseren temporären Behausungen, die uns nur ein spärliches Dach über dem Kopf bieten. Doch was hat ein neues Jahr mit einer spärlichen, fast dachlosen Behausung zu tun? Und warum ist es wichtig für uns, uns für einen zukünftigen Weg zu entscheiden?

Als wir Juden durch die Wildnis auf unserem Weg aus der ägyptischen Sklaverei unaufhaltsam in die Freiheit marschierten, bauten wir vorläufige Behausungen – Sukkot. Es wurde uns seinerzeit verboten, in dauerhaften Domizilen zu weilen, da das Ziel unserer Reise Israel war. Unabhängig davon, wie weit wir gekommen waren, wussten wir immer, dass wir den Platz Gottes, den Er für uns vorgesehen hatte, noch nicht erreicht hatten.

reise Und so ist es auch heute noch. Wir sitzen sieben Tage lang in Sukkot, um uns daran zu erinnern, dass auch unsere Domizile vorläufig sind, und dass es an uns liegt, sie ständig zu erneuern und wiederaufzubauen, weil wir noch heute nicht am Ende unserer Reise angekommen sind – wobei die neuzeitliche Reise als persönlicher Weg eines jeden Einzelnen betrachtet werden sollte.

Man kann einen solchen Prozess aus soziologischer Sicht mit einem dauerhaften Fortschritt einer Gemeinschaft umschreiben – ein sich wiederholender Prozess der Weiterentwicklung mit dem Ziel, eine bessere und gerechtere Gesellschaft zu erschaffen. Ein solcher Prozess hat keinen Anfang und kein Ende, er ist immer beständig und wird von jeder Generation neu begonnen. Und was wichtig ist: Er verdeutlicht uns, dass jede Struktur, die wir errichten, einen temporären Charakter hat und immer haben wird.

Aus religiöser Sicht lässt sich das mit dem Terminus Tikkun Olam beschreiben. Mit Tikkun Olam ist die ständige Reparatur und die Pflege der Welt gemeint – aber auch eine Weltverbesserung. Es beschreibt also einen Prozess der ständigen Erneuerung und Rekonstruktion unserer Welt, an der der Mensch mit beteiligt ist, und bei der er die Aufgabe hat, sie durch seine Handlungen zu vervollkommnen.

Wir sind also in diesem Augenblick – im Zeitpunkt von Tikkun Olam – Partner Gottes und haben die Aufgabe, mit Ihm die Welt zu gestalten. Natürlich in Seinem Sinne und nach Seinem Auftrag und Seinen Regeln. Diese Aufgabe tragen wir als ewige Verantwortung so lange mit uns, wie es diese Welt gibt.

Strukturen
Die Mizwa der Sukka dient allen Generationen dazu, uns zu erinnern, dass es Gott war, der die Kinder Israel veranlasst hat, gegen ihre Versklavung in Ägypten zu kämpfen und Ägypten zu verlassen. Wir lebten in vorläufigen Strukturen, die wir unaufhörlich wiederaufbauen mussten – auch ein Zeichen für unser Vertrauen dem Ewigen gegenüber.

Als wir dann konsequent an unserer Freiheit arbeiteten und das Gebäude einer neuen Gesellschaft errichteten, begannen wir die Reise in eine uns unbekannte Wildnis, in ein Terrain ohne politische Struktur. An jedem Tag dieser Reise mussten wir unser Leben neu bewerten und vieles lernen.

Da wir den Pfad zum Leben in einer neuen Gesellschaft fortsetzen, mit der Hoffnung, in ein Land zu kommen und eine Struktur vorzufinden, wo Milch und Honig fließen, in dem es aber auch Freiheit für jeden gibt. Eine Lehre, die bis heute für alle Generationen gilt, nicht nur für die Generation des Exodus – und das ist die ewige Lehre für uns zu Sukkot.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz.

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