Vermögenssteuer

Reichtum verpflichtet

Nichts gegen einen höheren Steueranteil für Reiche, würde der Talmud sagen. Foto: Thinkstock

Neuerdings wird in Deutschland über die Einführung einer Vermögenssteuer debattiert. Sie wird auch »Reichensteuer« genannt und soll mehr Gerechtigkeit herstellen. Dahinter steht die Vorstellung, dass viele arm sind, weil einige immer reicher werden. Reiche sollen darum einen besonderen Tribut leisten.

Schon jetzt zeichnen sich jedoch Schwierigkeiten ab. Zwar forciert die SPD das Thema, will aber zugleich nicht die Leistungsfähigkeit der Betriebe vermindern. Sie schlägt vor, das Betriebsvermögen von der Steuer auszunehmen. Damit würde jedoch von den erhofften Steuereinnahmen nicht allzu viel übrig bleiben. Wie aber soll bei den Privatvermögen beispielsweise das wertvolle Kunstwerk besteuert werden, das der Eigentümer zwar besitzt, jedoch nicht den dafür erforderlichen Steueranteil in Geld? Zu befürchten ist ferner, dass private Kunstwerke, aber auch Miets- und Bürohäuser einfach ins Betriebsvermögen verlegt werden.

Bereits 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die Vermögenssteuer für verfassungswidrig erklärt, weil eine gerechte Werteinschätzung nicht gewährleistet war. Damals wurde der Immobilienbesitz de facto begünstigt. Eine andere Frage ist, ob mit der Vermögenssteuer das Verbot der Doppelbesteuerung von bereits versteuertem Einkommen gebrochen wird.

sühne Gibt es hierzu eine jüdische Position? Steuern bilden in der jüdischen Tradition auch eine Form der Sühne. So heißt es im Talmud: »Als der Tempel bestand, entrichtete ein Mensch seinen Schekel (Tempelsteuer) und erlangte Sühne; jetzt aber, wo der Tempel nicht mehr besteht, übt man Zedaka« (Bawa Batra 9a). Es steht außer Frage, dass Reiche dabei einen höhreren Anteil zu zahlen haben.

Das hebräische Wort für Gerechtigkeit heißt Zedek. Die Handlung, die helfen soll, Gerechtigkeit herzustellen, heißt Zedaka. Sie wird meist als »Wohltätigkeit«, im Sinne individueller Almosen für Bedürftige, übersetzt. Eine solche Auffassung von Zedaka könnte aber zu dem perfiden Schluss führen, dass Armut etwas Bleibendes und Gutes ist, weil ohne Armut keine Zedaka ausgeübt werden kann. Hingegen verbindet die jüdische Wirtschafts- und Sozialethik mit der Idee der Zedaka die Überwindung der Armut, indem Arme hierfür entsprechende Chancen erhalten.

So sah Maimonides (12. Jahrhundert) in der »Hilfe zur Selbsthilfe« die höchste Stufe der Zedaka (Hilchot Mat’not Ani’im 10, 1,7–14). Heute sollte man darum unterscheiden zwischen G’milut chassadim – den in der jüdischen Tradition gepriesenen »sozialen Liebeswerken« in Form von individuellen Almosen oder Spenden – und Zedaka, modern definiert als eine systemische Politik der Gerechtigkeit, was Wirtschafts- und somit auch Steuerpolitik einschließt.

zusammenhang Jahrhundertelang hat sich das rabbinische Judentum mit dem inneren Zusammenhang zwischen Steuern und Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Dabei gab es durchaus die auch von einigen Rabbinern vertretene, oben beschriebene Position, wonach Reichtum und Armut ursächlich miteinander zusammenhängen.

So schrieb beispielsweise Isaak Karo (1458–1535, Neffe von Josef Karo): »Der Grund, warum der Arme arm ist, ist, weil der Reiche reich ist. Wenn dein Stern aufsteigt, sinkt sein Stern. Aus diesem Grund heißt es: der Arme mit dir. Warum ist das ›mit dir‹ notwendig? Um zu zeigen, dass du der Grund dafür bist, dass er arm ist. Und was wird Gott tun, wenn du ihm nicht gibst? Gott wird das Universum umdrehen, sodass der Stern, der ganz oben ist, sinkt, und der Stern, der ganz unten ist, steigt« (Toldot Yizchak, Re’e).

Zwar hat sich diese unmittelbare, geradezu kosmische Sicht, in der die Gesetze des Reichtums zugleich die der Armut sind, in der rabbinischen Sichtweise nicht durchgesetzt. Gleichwohl konnte sie sich auf gewichtige Aussagen im Talmud und den Midraschim stützen, die religiöse Gründe für die Existenz von Armut nennen – etwa, dass Arme eher Gerechte seien als Reiche, oder aber dass die Existenz von Armen den Reichen die Chance gebe, Zedaka zu üben.

Die eigentliche talmudische Auseinandersetzung über eine gerechte Steuererhebung wurde jedoch in einem ganz anderen Zusammenhang geführt. Und sie war darin erstaunlich fortschrittlich. Erst in der Moderne wurde die Hoffnung, Armut grundsätzlich überwinden zu können, zu einem realistischen Ziel – was jedoch gebunden war an einen demokratischen Rechtsstaat, der von den Bürgern zusammen gestaltet wird.

sozialsystem In der talmudischen Debatte ging es um die Finanzierung eines Sozialsystems. Dieses war in ähnlicher Weise gebunden an die Herstellung eines Gemeinwesens, an dem Bürger gleichberechtigt teilhatten. Den Kontext der Diskussion bildete somit nicht nur der soziale Ausgleich zwischen Arm und Reich, sondern primär die politische Gleichberechtigung. Die Frage in der Mischna lautete: »Wie lange muss man in der Stadt gewohnt haben, um den Bürgern der Stadt zu gleichen? Zwölf Monate. Hat man darin ein Wohnhaus gekauft (oder gemietet), so gleicht man sofort den übrigen Bürgern der Stadt (und wird an den Kosten für die Stadtbefestigung beteiligt)« (Mischna, Bawa Batra 1,5).

Der Talmud führte aus: »Sind denn in jeder Hinsicht zwölf Monate erforderlich, es wird ja gelehrt: 30 Tage hinsichtlich des Armenkessels (Tafel mit Lebensmitteln), drei Monate hinsichtlich der Almosenkasse, sechs hinsichtlich der Armenbekleidung, neun hinsichtlich des Begräbnisses und zwölf hinsichtlich der Stadtbefestigung« (Bawa Batra 8a).

Indem man Sozialabgaben zahlte, übte man Zedaka gegenüber den Armen aus – doch mindestens genauso wichtig: wurde man gleichberechtigter Bürger. Gleichberechtigt sollten auch die sozial schlechter Gestellten werden. Deshalb wurde von den Waisen ebenfalls ein Beitrag zur Stadtbefestigung erhoben. »R. Assi sagte im Namen R. Jochanans: Von jedem wird ein Beitrag zur Stadtbefestigung erhoben, selbst von den Waisen. Die Regel hierbei ist: Für jede Sache, von der sie einen Nutzen haben, müssen auch Waisen beitragen« (Bawa Batra 8a). Der Talmud nennt in derselben Diskussion eine symbolische Steuer von einem Drittel Schekel für die Armen, damit sie an der Gestaltung des Gemeinwesens, das heißt der Finanzierung von Mizwot beteiligt sind.

transparenz Mit der schon im Talmud gestellten weiteren Frage, nach welchen Gesichtspunkten Steuern erhoben werden sollen, zeigt sich nunmehr eine Verbindung zur heutigen Diskussion über die Vermögenssteuer. In diesem Zusammenhang ist es zunächst hilfreich, darauf hinzuweisen, dass Effizienz und Transparenz durchaus religiöse Kriterien sein können.

Jacob Rosenberg und Avi Weiss haben in einem Aufsatz über das Jubeljahr dargelegt, dass die Rückführung des Landes der Landkonzentration und Monopolbildungen entgegenwirkt und damit dem Gedanken der Effizienz dient – das heißt, der maximalen Wirtschaftsleistung durch viele. Waren seien qualitativ dann am besten und Preise am niedrigsten, wenn Konkurrenz herrscht.

Kommt es zu Monopolbildungen durch Einzelne, sinkt die Qualität und diktiert das Monopol den höchstmöglichen Preis. Auch sinkt die Wirtschaftsleistung im Ganzen. Aus der Sicht einer Politik der Zedaka, die die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten will, ist Monopolbildung grundsätzlich ineffizient und führt meist auch zu Intransparenz. Diese Fehlentwicklung muss mit einem von Gott gewollten Prinzip – hier dem Jubeljahr – durchbrochen werden.

effizienz Eine solche wirtschaftspolitische und zugleich religiöse Auffassung von Effizienz und Transparenz lässt sich auch auf die Auseinandersetzung mit der Steuergesetzgebung übertragen. Effizienz soll dem maximalen Mitwirken aller dienen. Den einen zu nehmen, um den anderen zu geben, wäre zu simpel, um effizient zu sein. Je »gerechter« etwas ist, desto mehr Gesichtspunkte hat es berücksichtigt und fruchtbar aufeinander bezogen. Effizienz ist, wenn sie an der jüdischen Tradition gemessen werden soll, ein Umgang mit der Wirklichkeit, der ihrer Komplexität gerecht wird.

Dementsprechend diskutierten bereits die Rabbinen im Talmud über mehrere mögliche Kriterien für die Steuererhebung. Vor allem drei Möglichkeiten wurden in Betracht gezogen: Eine Kopfsteuer, das heißt derselbe Betrag für jeden Bürger. Oder, wie schon bei der Steuerzahlung der Waisen für die Stadtbefestigung angeklungen, eine Steuer, die sich an dem Nutzen bemisst, den der jeweilige Bürger von einer durch Steuern finanzierten Sache hat. Oder aber eine proportionale Steuer, die in Bezug zur Höhe des Einkommens festgelegt wird.

Offensichtlich setzte sich Letzteres, eine proportionale Steuer zum Einkommen, durch: »R. Eleasar fragte R. Jochanan: Wird die Steuer (für die Stadtbefestigung) nach den Personen oder nach dem Vermögen erhoben? Dieser erwiderte: Sie wird nach dem Vermögen erhoben, und mein Sohn Eleasar hat in dieser Sache Pflöcke eingeschlagen (das heißt, es zum Gesetz bestimmt)« (Bawa Batra 7b).

proportionalität Bezieht man die Proportionalität nun auf die talmudische Ursprungsfrage, nämlich wie man gleichberechtigter Bürger wird, dann zeigt sich ein Schlüssel zur Gerechtigkeit: die proportionale Steuer, also der höhere Steueranteil der Reichen, dient nicht nur dem sozialen Ausgleich gegenüber den Armen, sondern ist Bedingung dafür, dass alle mit gleicher Intensität – nämlich proportional mit ihrem jeweiligen Vermögen – an dem Gemeinwesen teilhaben. Bei den Armen wäre es die symbolische Mindeststeuer, bei den Reichen ein höherer Prozentsatz.

Die moderne Steuergesetzgebung hat weitere Kriterien in ihren Gerechtigkeitskatalog aufgenommen – darunter die Progression des prozentualen Anteils bei steigenden Einkommen. Ihr liegt die Frage zugrunde, wie viel man zum Leben braucht. Der Prozentsatz steigt in dem Maße, in dem das Einkommen die Antwort übersteigt. Das erscheint komplex, effizient und gerecht zugleich.

Die Vermögenssteuer, so wie sie heute als »Reichensteuer« diskutiert wird, vermag in diesem Lichte jedoch als Instrument zur Herstellung von mehr Gerechtigkeit nur schwer zu überzeugen. Ihr fehlt es schon an der gebotenen Effizienz und Transparenz. Nichts gegen einen höheren Steueranteil für Reiche, würde der Talmud sagen. Aber warum sich in ein Dickicht von schwierig zu gestaltender Vermögensbewertung begeben, dabei vor allem Ressentiments gegen Reiche bedienen und potenzielle neue Ungerechtigkeiten erzeugen? Wäre es nicht viel einfacher und zugleich fiskalisch ergiebiger, einfach nur den Spitzensteuersatz um ein paar Prozentpunkte zu heben?

Unter Mitwirkung von Abraham de Wolf, Vorsitzender von Torat Hakalkala – Verein zur Förderung angewandter jüdischer Wirtschafts- und Sozialethik. Der Text fußt auf einem Vortrag, der kürzlich auf einer Veranstaltung der B’nai-B’rith-Loge und der Jüdischen Volkshochschule in Frankfurt/Main gehalten wurde.

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