Eliyahu Bakshi-Doron

Rabbiner und Realpolitiker

Rabbiner Eliyahu Bakshi-Doron sel. A. Foto: Flash 90

Eliyahu Bakshi-Doron

Rabbiner und Realpolitiker

Er war für die Zivilehe und interreligiösen Dialog – der ehemalige Oberrabbiner Israels starb an Corona

von Netanel Olhoeft  23.04.2020 11:19 Uhr

Eliyahu Bakshi-Doron war vor allem dafür bekannt, dass er versuchte, die Mitte zwischen den säkularen und den charedischen Juden zu halten. Am 12. April ist der 79-jährige ehemalige Oberrabbiner Israels infolge einer Corona-Infektion im Shaare-Zedek-Krankenhaus in Jerusalem gestorben.

Lebensweg Geboren wurde er 1941 in Jerusalem als Kind eines Sabre und einer syrisch-jüdischen Mutter aus Aleppo. Er studierte an litvisch-charedischen und nationalreligiösen Jeschiwot. Von 1972 bis 1990 war er sefardischer Oberrabbiner von Bat Yam und Haifa, bevor er von 1993 bis 2003 als »Rischon LeZion«, sefardischer Oberrabbiner des Staates Israel, neben seinem aschkenasischen Kollegen Israel Meir Lau amtierte.

In Erinnerung bleiben wird Bakshi-Doron vor allem für seine relativ liberalen Positionen zu vielen politisch-halachischen Fragestellungen. Gegenüber der dominie-renden aschkenasisch-charedischen Rechtsprechung tat er sich durch eine gewisse realpolitische Milde hervor, die auch seinen Mentor und Vorgänger im Amt, den 2013 verstorbenen Rabbiner Ovadja Josef, auszeichnete.

Beide bemühten sich, nicht nur charedisch-interne Rechtsentscheide zu verfassen, sondern auch die Lebensrealität der nationalreligiösen, der sefardisch-traditionellen sowie der säkularen Juden in ihre Legislation mit einfließen zu lassen.

Doch Eliyahu Bakshi-Doron ging in einigen Punkten noch weiter als Ovadja Josef. Nach der klassischen Halacha dürfen sogenannte Mamserim, Kinder einer verbotenen sexuellen Beziehung, die große Mehrheit aller anderen Juden nicht heiraten – auf ewig.

Mamserim Die üblichste Weise, wie jemand als Mamser geboren wird, ist, wenn die Eltern jüdisch verheiratet waren, aber nicht jüdisch geschieden wurden (also ohne Get). Sollte eine halachisch nicht geschiedene Mutter nun ein Kind mit einem neuen Partner bekommen, so wäre das Kind dieser Verbindung ein solcher Mamser.

Rabbiner Ovadja Josef weihte einen großen Teil seiner Zeit der Aufgabe, Mamserim-Fälle zu »klären«, indem er in jedem an ihn herangetragenen Fall einen Beweis zu erbringen versuchte, dass die erste Eheschließung von vornherein halachisch nichtig war.

Zivielehe Rabbiner Bakshi-Doron dagegen sprach sich dafür aus, in Israel die Zivilehe einzuführen. Denn, so argumentierte er, wenn nur diejenigen, die ein halachisches Leben lebten, auch eine halachische Ehe schließen, würde man der Gefahr des Mamsertums entgehen, da aus Zivilehen halachisch keine Mamserim hervorgehen. Allerdings konnte er sich damit nicht durchsetzen.

Ähnlich liberal äußerte er sich 1993, als er verkündete, dass Frauen gleich Männern ebenfalls halachische Urteile fällen können, obgleich er die Frauenordination, ebenso wie das Reformjudentum, ablehnte.

SChmitta Daneben hielt er anders als die aschkenasischen Charedim auch an der Gültigkeit des sogenannten »Heter Mechira« fest. Nach der Tora darf der Boden des Landes Israel in jedem siebten Jahr, dem sogenannten Schmittajahr, nicht bearbeitet werden.

In der Mandatszeit und im jungen Staat Israel hatte sich, um dieses Verbot zu umgehen, der Brauch durchgesetzt, das Land symbolisch vor dem Schmittajahr an Araber zu verkaufen (»Heter Mechira«).

Dies brachte ihm im Jahr 2000 die Kritik des obersten Gelehrten des litvisch-charedischen Judentums, Rabbiner Yosef Shalom Elyashiv, ein, woraufhin sich eine große Kontroverse entfachte.

Rabbiner Bakshi-Doron bemühte sich um den interreligiösen Dialog und traf sich mit Papst Johannes Paul II. sowie muslimischen Würdenträgern.

FRieden Das Zusammenkommen von Klerikern verschiedener abrahamitischer Religionen fördere den Frieden und entspreche Gottes Willen, sagte er. Es sei in Ordnung, Ost-Jerusalem (ohne den Tempelberg) an die Palästinenser abzutreten, wenn dadurch Frieden entstünde.

Täglich empfing er viele Besucher und sammelte Geld für Torainstitute. In seinen rabbinischen Responsen »Bin­yan Av« beschäftigte sich Bakshi-Doron unter anderem mit Fragen im Schnittfeld von Halacha und Politik sowie Halacha und Medizin.

In den letzten drei Jahren seines Lebens war seine Gesundheit angeschlagen. Am 12. April erlag der zehnfache Familienvater einer Covid-19-Erkrankung und wurde am Folgetag in sehr kleinem Kreis zu seiner letzten Ruhestätte auf dem Har Hamenuchot in Jerusalem getragen. Möge sein Andenken zum Segen sein.

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025