Talmudisches

Rabbi Amram auf der Leiter

Die Leiter vermochten zehn Männer nicht zu tragen – doch er trug sie ganz allein (und stieg hinauf). Foto: Getty Images

Der Talmud erzählt davon, wie Rabbi Meir über Sünder zu spotten pflegte (Kidduschin 81a). Eines Tages erschien ihm der Satan als Frau auf der anderen Seite des Flusses, und da keine Fähre zum Überqueren da war, ergriff er die Stegleine und ging hinüber. Als er die Mitte erreichte, verließ ihn jener (der Satan) und sprach: »Hätte man im Himmel nicht ausgerufen, mit Rabbi Meir und seiner Gesetzeskenntnis vorsichtig zu sein, so hätte ich dein Blut für zwei Maa (eine Kupfermünze von einem sehr geringen Wert) eingeschätzt.«

Palme Auch Rabbi Akiva pflegte über Sünder zu spotten. Der Talmud schreibt, dass eines Tages auch ihm der Satan als Frau erschien, auf der Spitze einer Palme. Da erfasste er die Palme und stieg hinauf. Als er die Hälfte der Palme erreichte, verließ ihn jener (der Satan) und sprach: »Hätte man im Himmel nicht ausgerufen, mit Rabbi Akiva und seiner Gesetzeskenntnis vorsichtig zu sein, hätte ich dein Blut mit zwei Maa eingeschätzt.«

Auf derselben Talmudseite lesen wir eine weitere, ganz ähnliche Geschichte, doch mit unterschiedlichem Ausgang: »Einst wurden gefangene Frauen in die Stadt Nehardea gebracht. Man quartierte sie bei Rabbi Amram, dem Frommen, ein und nahm die Leiter von ihrem Quartier fort. Als eine von ihnen vorüberging und ein Lichtstrahl durch die Luke fiel, nahm Rabbi Amram die Leiter, um hinaufzusteigen.

Die Leiter vermochten zehn Männer nicht zu tragen – doch er trug sie ganz allein (und stieg hinauf). Als er die Mitte der Leiter erreicht hatte, blieb er stehen und rief laut: ›Feuer bei Amram!‹ Da kamen die anderen Rabbiner angerannt und sprachen zu ihm: ›Wir schämen uns deiner.‹ Er aber erwiderte: ›Lieber schämt euch des Amrams auf dieser Welt, als dass ihr euch seiner in der künftigen Welt schämt.‹«

Midrasch Der Midrasch erzählt, dass König David den Allmächtigen fragte, warum man die Vorväter Awraham, Jizchak und Jakow ins Amida-Gebet aufgenommen habe, aber ihn nicht. Der Ewige antwortete: »Weil Ich sie geprüft habe, und sie haben bestanden. Aber dich habe Ich nicht geprüft.« Da bat König David darum, ihn ebenfalls zu prüfen. Und so wurde ihm die Prüfung mit Batschewa geschickt – die er nicht bestand.

Aus diesen Geschichten lernen wir, dass selbst so große und fromme Menschen wie der Verfasser der Psalmen, König David, und Rabbinen des Talmuds nicht in der Lage waren, bestimmten Reizen zu widerstehen.

Aus diesem Grund soll man sich niemals zu sicher über sich sein und andere für ihre Vergehen verspotten oder verurteilen. Wie es in den Pirkej Awot steht, darf man andere nicht verurteilen, bis man selbst in ihrer Lage gewesen ist. Und außerdem steht, dass man sich bis zu seinem letzten Tag nicht zu sicher sein soll, denn es kann immer eine Prüfung kommen, bei der man scheitert.

Brieftasche Eines Tages stellte ein Rebbe vor seinen versammelten Chassiden die Frage: »Was würdet ihr tun, wenn ihr eine volle Brieftasche auf der Straße fändet?« Einer rief: »Ich würde sie sofort dem Besitzer bringen.« »Du bist ein Lügner!«, schrie der Rebbe. Dann rief ein anderer: »Ich würde die Brieftasche behalten.« »Du bist ein Dieb«, wurde der Rebbe noch ungeduldiger und zorniger.

Dann fragte er den Dritten, was er mit der Brieftasche tun würde. Der senkte sein Haupt und antwortete leise: »Ich weiß nicht, was ich tun würde und wofür ich mich letztendlich entscheiden würde. Ich würde aber ganz sicher zum Allmächtigen beten, dass Er mir die Kraft gibt, der Versuchung zu widerstehen und die Brieftasche ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.« »Du bist ein weiser Mann«, sagte der Rebbe mit ruhiger Stimme und lächelte sanft.

Möge der Allmächtige uns genügend Kraft geben, unseren Versuchungen zu widerstehen und unsere Prüfungen zu meistern. Denn aus der Geschichte von Rabbi Amram sehen wir: Es ist möglich.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025