Position

Plädoyer für Gerechtigkeit

Trauer in Tucson/Arizona Foto: dpa

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Plädoyer für Gerechtigkeit

Der amerikanische Rabbiner Brad Hirschfield ist aus spiritueller und humanitärer Sicht ein Gegner der Todesstrafe

von Detlef David Kauschke  25.01.2011 12:51 Uhr

Dem 22-jährigen Todesschützen von Arizona droht die Todesstrafe. Jared Loughner wird vorgeworfen, bei dem Attentat am 8. Januar der demokratischen Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords in den Kopf geschossen, sechs andere getötet und 13 weitere Menschen verletzt zu haben.

Nach Gewalttaten wie dieser wird in den USA immer wieder die Forderung nach der Höchststrafe laut: Hinrichtung durch die Giftspritze oder den elektrischen Stuhl. 1976 wurde die Todesstrafe in den USA wieder zugelassen, sie gilt derzeit in der Mehrzahl der Bundesstaaten, wurde im vergangenen Jahr in 64 Fällen vollzogen.

In Umfragen liegt die öffentliche Zustimmung konstant bei zwei Dritteln der Befragten. Rache und Vergeltung sind die Motive, die viele der US-Bürger angeben, die sich für Hinrichtungen aussprechen.

Gegner Unter dem Eindruck der aktuellen Diskussion um die Bluttat in Arizona hat sich Rabbiner Brad Hirschfield zu Wort gemeldet. Im Internet und in Radiotalkshows widerspricht er vehement Forderungen nach Rache und Vergeltung. Der Leiter des New Yorker CLAL-Institutes »The National Jewish Center for Learning and Leadership«, Buchautor und Publizist ist erklärter Gegner der Todesstrafe.

In einem Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen erläutert Hirschfield, der in der Newsweek-Liste der »50 einflussreichsten Rabbiner der USA« geführt wird, seine Meinung: »Ich vertrete die Position, von der ich annehme, dass sie der jüdischen Tradition entspricht. Die erkennt an, dass es menschliche Taten gibt, die so schrecklich und unsäglich sind, dass Menschen verdient haben, dafür getötet zu werden. Aber gleichzeitig meinen die Rabbiner, dass die Todesstrafe nie, oder nur ganz selten, verhängt werden sollte.«

In der hebräischen Bibel werden verschiedene Vergehen aufgeführt, für die die Todesstrafe gilt. Doch weist Rabbiner Hirschfield darauf hin, dass in der Tora nur ein einziger Fall erwähnt wird, bei dem ein Mensch wirklich nach dem Gerichtsurteil hingerichtet wurde. »Und ich denke, das hat seinen Grund. Denn die irren, die Gerechtigkeit verlangen und denken, dass sie selbst keinen Schaden davontragen. Auch wenn wir dazu bestimmt sind, verschiedene Dinge zu tun, und sie auch richtig zu tun, zahlen wir dafür einen Preis. Und daher bin ich generell gegen die Todesstrafe.«

Gerechtigkeit sei das eine, doch jedes Rechtssystem lasse Ausnahmen zu. »Und manchmal sollten eben diese Ausnahmen gemacht werden. Denn uns sollte ganz klar sein, dass nicht nur der Verurteilte den Preis zahlen wird, sondern wir alle, wenn wir ein Leben nehmen.«

Rache Zur Frage von Rache und Revanche sagt Hirschfield: »Revanche ist ausdrücklich von der Tora untersagt. Es ist verboten, Rache zu nehmen.« Auch das Prinzip »Auge um Auge« werde immer wieder missverstanden. In biblischen Zeiten sei dies ein revolutionäres Rechtskonzept gewesen. Denn dem biblischen Gebot entsprechend, müssen alle Reaktionen proportional sein, entsprechend des entstandenen Schadens und nicht des moralischen Wertes, dem man ihm beimisst. »Und das sagt uns, dass alle Augen gleich sind.«

Das sei insofern eine radikale Idee gewesen, als damals das Augenlicht eines Reichen mehr galt als das eines Mittellosen oder sogar eines Sklaven. Die Tora setze das Prinzip der Gleichheit dagegen: Auge um Auge. »Und diese Idee der Gerechtigkeit bedeutet auch, dass man bei der Strafe einen so geringen Schaden wie möglich verursacht, auch wenn der Täter es anders verdient hätte.«

Rabbiner Hirschfield betont, er sei aus humanitärer und spiritueller Sicht gegen die Todesstrafe. Und diejenigen, die sich für die Hinrichtung zum Beispiel des Arizona-Todesschützen aussprechen, sollten sich zwei Fragen stellen: Wird das Töten von Jared Loughner die wieder ins Leben zurückbringen, die er erschossen hat? Wird es die USA sicherer machen? »Die Befürworter der Todesstrafe muss man nach dem Warum fragen. Und wenn man dies tut, eröffnet man ihnen zumeist die Möglichkeit, ihr Ziel auf anderem Wege zu erreichen, als das Leben eines anderen Menschen zu nehmen.«

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