Debatte

Papst-Berater: »Vatikan schweigt sich über eine theologische Reflexion zu Land und Staat Israel aus«

»Die Zeit ist gekommen, theologisch vertieft über den Staat Israel nachzudenken«, so der Papst-Berater. Foto: imago images/ZUMA Wire

Der Papst-Berater und Judaist Christian Rutishauser ist der Ansicht, dass die katholische Theologie sich mehr mit dem Heiligen Land und dem Staat Israel auseinandersetzen sollte. »Römisch-katholische Theologen äußern sich relativ selten zu Land und Staat Israel, selbst jene, die intensiv im jüdisch-christlichen Dialog beteiligt sind«, sagte der Schweizer Jesuit nun an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.

Die christliche Theologie müsse sich mit der biblischen »Landverheißung« an das Volk Israel mehr auseinandersetzen, weil diese die »Existenz des jüdischen Volkes« betreffe, sagte Rutishauser. »Ich glaube, die Zeit ist gekommen, theologisch vertieft über das Land und den Staat Israel nachzudenken.«

Es gehe darum zu fragen, wie das jüdische Volk als Glaubensgemeinschaft zu verstehen sei, welche konstitutiven Elemente zu ihm gehörten. »So wie in der Ekklesiologie ein differenziertes theologisches Verständnis der Kirche im Verlauf der Geschichte gewachsen ist, gilt es, eine christliche Israel-Theologie zu entwickeln«, betonte der 56-jährige Jesuit. Seit 2014 gehört Rutishauser zu den ständigen Beratern des Papstes für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum.

Er wies darauf hin, dass der »Heilige Stuhl« erst 1993 diplomatische Beziehungen mit dem Staat Israel aufgenommen habe, die sich auf politischer und völkerrechtlicher Ebene abspielten. Auch wenn in der Präambel des Grundlagenvertrages vom »einmaligen Charakter« und der »universalen Bedeutung des Landes« gesprochen werde, »schweigt sich der Vatikan über eine theologische Reflexion zu Land und Staat Israel bis heute aus«, sagte Rutishauser.

Papst Johannes Paul II. habe 1984 in seinem Apostolischen Schreiben »Redemptionis anno« das Land zwar als »sakramentales Bild des Heils« bezeichnet, aber hinzugefügt, dass muslimische, christliche und jüdische Interpretationen des Landes berücksichtigt werden müssten, damit Frieden und Gerechtigkeit für alle Einzug hielten.

»In offiziellen Dokumenten der Katholischen Kirche fehlt nach 1985 jede theologische Einschätzung zu Land und Staat Israel«, sagte Rutishauser. Dass der Vatikan »im Augenblick« keine Position beziehe, sei allerdings aus verschiedenen Gründen verständlich, so Rutishauser.

Der »Heilige Stuhl« hatte im Jahr 2000 offiziell Kontakt mit der palästinensischen Autonomiebehörde aufgenommen und spricht sich bis heute für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Seit Papst Johannes Paul II. hat zudem jeder Papst sowohl Israel als auch die palästinensischen Gebiete besucht.

Suche man nach einer »theologischen Reflexion über Land und Staat Israel«, so Rutishauser weiter, dann stächen weit zurückliegende Erklärungen der Französischen Bischofskonferenz von 1973 und der Brasilianischen Bischofskonferenz von 1984 ins Auge. »Sie nennen die Rückkehr der Juden ins Land einen Segen«, so der Jesuit. Etwas distanzierter schrieben die US-Bischöfe 1975 von einer »besonderen Bindung« der Juden an ihr Land, die es zu respektieren gelte.

Rutishauser sprach in Sankt Georgen im Rahmen der Ringvorlesung »Judentum und Christentum - ein Wechselspiel von Licht und Schatten«. Er ist Delegationsmitglied der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Von 2012 bis April 2021 war Rutishauser Provinzial der Schweizer Jesuitenprovinz.

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025