Talmudisches

Noah, unser Vorbild

»Noah in der Arche«: Gemälde von Charles Henry Granger (1812–1893) Foto: ullstein bild - Granger, NYC

Wir lesen im Talmud (Sanhedrin 108b) von einem Gespräch zwischen Awrahams Diener Elieser und Schem, dem Sohn Noahs. Elieser fragte: »Was hast du getan, um die vielen Tiere zu versorgen, während sie in der Arche waren?«

Schem antwortete: »Die Tiere, die man am Tage füttert, fütterten wir tagsüber, und diejenigen, die man nachts füttert, fütterten wir nachts. Doch bei einem Chamäleon wusste mein Vater nicht, was es frisst. Aber als er eines Tages dasaß und einen Granatapfel schälte, fiel ein Wurm heraus, und das Chamäleon fraß ihn. Von diesem Augenblick an knetete mein Vater Kleie mit Wasser, und wenn sich Würmer darüber hermachten, konnte das Chamäleon sie alle fressen.«

gerechter Die Tora schreibt, dass die Menschen zu Noahs Zeit alle verdorben waren. Nur Noah galt als Gerechter und sollte deshalb mit seiner Frau, den Söhnen und deren Frauen gerettet werden. Noah war der einzige Mensch seiner Zeit, der die Verantwortung übernahm, sich besonders um Ältere und Schwächere zu kümmern. Das schließt auch Tiere mit ein. Denn wie der Mensch mit Schwächeren umgeht, ist immer auch ein Zeichen seiner Kultur und Zivilisation.

Schwächere sind die, die nicht für sich selbst sprechen können, deren Schreie wir nicht vernehmen. Tiere, sowohl Nutztiere als auch das allgemeine Vieh, gehören in diese Kategorie. Sie dienen uns in vielerlei Hinsicht – so erhalten wir durch sie Fleisch, Milch und ihr Fell.

Die Tora ermahnt uns in Bezug auf unsere Verantwortung gegenüber Tieren: »Ein Rind oder Schaf, schlachtet niemals das Vieh und sein Junges an einem Tag« (3. Buch Mose 22,28).
Dieses Verbot trifft nicht nur auf die Opfertiere, sondern auch auf die profane Schlachtung von Tieren zu. Der Rambam, Maimonides (1135–1204), verknüpft diese Anweisung mit der Aufforderung, die Vogelmutter wegzuschicken, bevor man sich ihre Jungen nimmt (5. Buch Mose 22,6).

grundnahrung Maimonides meint damit, dass das Fleisch zwar zur menschlichen Grundnahrung gehört, aber das Leiden der Tiere sich durch die quasi humanere Tötungsart verringern lässt. Denn das Leid einer Mutter, egal ob bei Mensch oder Tier, ist bei einem gewaltsamen Tod ihrer Kinder gleich.

Anders sieht es Nachmanides, der Ramban (1194–1270). Er meint, die Anweisung in der Tora habe grundsätzlich nichts mit dem Erbarmen gegenüber Jungtieren und ihren Eltern zu tun, denn sonst wäre jegliches Schlachten verboten. Vielmehr gehe es bei dieser Anweisung darum, Menschen von blinder Gewalttätigkeit abzuhalten, denn wer regelmäßig Tiere schlachtet, der neigt zur Brutalität.

Diese Einschränkungen der Tora haben also nichts mit Tierschutz zu tun, sondern es verbirgt sich dahinter, die Menschen zur Menschlichkeit zu erziehen, besonders im Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen.

schöpfung Die Rabbinen sind sich darin einig, dass diese Einschränkungen den Menschen vor Überheblichkeit bewahren sollen. Er möge nicht glauben, er existiere gesondert vom Rest der Schöpfung, sondern er ist Teil von ihr und muss sich seiner Macht gegenüber Schwächeren bewusst sein. Er soll den Respekt vor der Schöpfung behalten, zumal es ihm erst nach der Sintflut erlaubt wurde, Tiere zu essen.

Die Rabbinen verbinden damit auch das Gebot des Schabbatjahres. Sie verweisen auf die Umwelt, die Natur, die der Mensch als Teil der Schöpfung mit im Bewusstsein haben soll.
Wir sehen hier also, wie die Tora durch das Schonen der Tiere an den menschlichen Gewalttrieb appelliert. Die Anweisungen sind als pädagogische Maßnahme gegen die Überheblichkeit zu verstehen.

Es ist das göttliche Erbarmen, das sowohl für den Menschen als auch für das Tier im Vordergrund steht. Dem sollen wir nacheifern, und das sollen wir beherzigen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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