Talmudisches

Mann und Frau: zwei Hälften

Ein vollständiger Mensch sind also nur beide zusammen. Foto: Thinkstock

Als der Ewige den Menschen erschuf, da erschuf Er ihn männlich und weiblich, nach Seinem Bild (1. Buch Mose 1,27). Später wird beschrieben, wie dies vor sich ging, nämlich indem der Ewige aus einer Zela (Rippe) des Adam dessen weibliches Gegenstück machte, damit der Mensch nicht einsam sei und eine ihm angemessene Gefährtin zur Seite habe (2,21).

Zweierlei erkennen wir daraus: Zum einen, dass sowohl der Mann als auch die Frau nach dem Bild des Ewigen geschaffen sind, und zum anderen, dass beide zusammen ein Ganzes ergeben, wie es heißt: »dass sie werden zu einem Fleisch« (2,24). Ein vollständiger Mensch sind also nur beide zusammen.

Gehilfin Diese beiden »Hälften« haben die Menschheit von jeher beschäftigt, und so manch einer betrachtete die Gehilfin des Mannes eher als lästig denn als gleichberechtigte Gefährtin. War es nicht auch die Frau, Chawa, die den armen, unschuldigen Adam zum Essen der verbotenen Frucht verleitete?

Und doch gilt das Wort des Ewigen: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Gehilfin machen, ihm angemessen, eine Hilfe ihm gegenüber (hebräisch: eser kenegdo). Der Midrasch sagt zu dieser Stelle, wenn der Mann Glück hat, ist ihm die Frau eine Hilfe (eser) – wenn nicht, stellt sie sich gegen ihn (kenegdo).

Die Frage nach dem Unterschied von Mann und Frau beschäftigte natürlich auch die Schüler der talmudischen Lehrer. Und so berichtet uns Bereschit Rabba im Kapitel 17 von einigen Diskussionen über den »kleinen Unterschied«.

Rabbi Jehoschua wurde von seinen Schülern gefragt, warum der Mann beim Ausgehen den Blick nach unten richte, die Frau aber nach oben. Rabbi Jehoschua erklärt ihnen, dass der Mann den Boden anschaue, also die Erde, aus der er gemacht sei. Die Frau aber schaue das an, aus dem sie gemacht sei, nämlich aus der Seite des Mannes. Eigentlich tun sie damit beide das Gleiche, und doch kommt nicht dasselbe dabei heraus.

Die Schüler fragten weiter: Warum ist ein Mann leicht zu erweichen, eine Frau aber nicht? Nun, sagt Rabbi Jehoschua, das liegt in ihrer jeweiligen Natur: Der Mann ist aus Erde geschaffen, und wenn du einen Klumpen Erde mit Wasser zusammenbringst, nimmt er es gleich auf und wird geschmeidig. Aber die Frau wurde aus einer Rippe geschaffen; und einen Knochen kannst du einweichen, so lange du willst, er wird nicht weich.

Und schließlich: Warum sucht der Mann die Frau und nicht umgekehrt? Da antwortet Rabbi Jehoschua das sei wie mit einem, der etwas verloren hat; er geht es suchen. Umgekehrt sucht das Verlorene aber nicht den, der es verloren hat.

Dabei ist Rabbi Jehoschua sicher bewusst, was der Midrasch im gleichen Kapitel über einen Mann ohne Frau sagt, nämlich dass dieser ohne Glück, ohne Hilfe, ohne Freude, ohne Segen und auch ohne Sühne sei, zudem ohne Frieden und sogar ohne Leben.

Fruchtbar Rav Chija ben Gamdi fügt hinzu, ein solcher Mann sei noch nicht einmal ein vollständiger Mensch. Denn es stehe geschrieben: Im Bilde des Ewigen schuf Er den Menschen – männlich und weiblich –, und Er gab ihm den Auftrag: Seid fruchtbar und mehret euch.

Der Midrasch zeigt sehr nachdrücklich die Ambivalenz im Verhältnis von Mann und Frau, in negativen und in positiven Aspekten.

Und wenn der Abschnitt mit den Aussagen zu Nidda, Challa und Hadlakat Nerot schließt, den weiblichsten aller Mizwot, begründet er dies zwar mit den Verfehlungen von Chawa, macht aber gleichzeitig deutlich, dass die Frau diese Vorschriften nicht zum Fluch, sondern zum Segen befolgt.

Rabbi Jose sagt gar, als man ihn fragt, weshalb die Frau durch einen Diebstahl (der Rippe des Adam) entstanden sei: Wenn dir einer heimlich eine Unze Silber leiht, und du gibst ihm zwölf Unzen öffentlich zurück, nennst du so etwas Diebstahl?

Unsere Weisen sagen dazu an anderer Stelle, die Frau sei nicht aus dem Kopf des Mannes erschaffen, damit sie nicht über ihn herrsche, auch nicht aus seinen Füßen, dass sie ihm untertan sei, sondern aus seiner Seite, auf dass sie ihm eine gleichberechtigte Partnerin sei, seinem Herzen nahe.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Talmudisches

Eifersucht: Das bittere Wasser

Unsere Weisen und ein altes Ritual

von Chajm Guski  10.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025