Haarwuchs

Männliche Zierde

Schöner Brauch, aber kein religiöses Muss: der Bart im Judentum Foto: Flash 90

Haarwuchs

Männliche Zierde

Der Bart hat im Judentum Tradition. Aber ist er auch ein halachisches Gebot?

von Rabbiner Avraham Radbil  24.11.2014 23:33 Uhr

Zum klassischen Klischee eines orthodoxen Juden gehören der Bart und die Schläfenlocken. Doch viele religiöse Juden und sogar Rabbiner tragen weder das eine noch das andere. Ist es also ein Gebot, Bart und/oder Schläfenlocken zu tragen? Oder handelt es sich nur um einen Brauch?

In Wajikra, dem 3. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 27, heißt es im Wochenabschnitt Kedoschim: »Ihr sollt nicht rund abnehmen die Seitenenden eures Haupthaares, und nicht zerstören die Enden eures Bartes.« Der Sefer HaChinuch, der die 613 Gebote erklärt, verfasst im Spanien des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Autor, interpretiert diese Stelle in der Tora als zwei getrennte Verbote.

pejes Der erste Teil des erwähnten Verses verbietet dem jüdischen Mann (Frauen sind von diesen beiden Verboten befreit, da sie in der Regel keine Bärte haben) das Abschneiden der Haare unterhalb der Schläfen auf Höhe der Mitte des Ohrs. Das Haar, das ungeschnitten bleibt, wird als »Pejot« oder jiddisch »Pejes« bezeichnet. Dieses Wort leitet sich ab vom hebräischen »pejah« (Ecke). Viele religiöse Männer lassen sich die Haare an den Wangenknochen so schneiden, dass sie dort etwas länger als die anderen Haare bleiben. Andere, insbesondere Chassidim, schneiden diese Haare überhaupt nicht und drehen sie zu Schläfenlocken, die sie dann hinter den Ohren verstecken oder einfach hängen lassen.

Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) sieht den Grund für das Verbot, die Haare unterhalb der Schläfen abzuschneiden, darin, dass dieser Bereich die Trennung zwischen der Vorderseite und der Rückseite des Kopfes markiert. Hebt man die Trennung zwischen dem hinteren und dem vorderen Kopf auf, wird der Kopf von einer scheinbar ungebrochenen Linie umringt. Damit aber entfernt man das Symbol des Unterschiedes zwischen dem Menschen, der eine höhere Würde, Moral, und Intellektualität besitzt, und dem Tier, dem diese Eigenschaften fremd sind.

schönheit
Viele religiöse Männer tragen einen Bart, denn im 2. Buch Mose 19,32 steht geschrieben: »Und ehre den Greis und fürchte dich vor deinem G’tt.« Das Wort »Greis« (Pnej Saken) kann auch als »Bart« (Sakan) gelesen werden. So gelesen, gibt uns der Vers auf, den Gesichtsbart zu ehren. Der Talmud führt im Traktat Schabbat 152a aus, dass die Schönheit eines Mannes ihren Ausdruck im Bart findet. Im Talmud heißt es auch, dass Rabbi Jochanan zwar mit unbeschreiblicher Schönheit beschenkt wurde, er aber nicht zu den schönsten Männern der Geschichte gezählt wurde, da ihm ein Bart fehlte.

Aus dem Wortlaut des Verses leiten die Rabbiner ab, dass es einen halachischen Unterschied zwischen dem Abschneiden der Pejot und des Bartes gebe. Im 3. Buch Mose 19,27 heißt es in Bezug auf die Pejot: Ihr sollt nicht »rund abnehmen« die Haare unter den Schläfen.

Zum Bart sagt die Tora: Du sollst nicht »zerstören« die Ecken deines Bartes. Die Rabbiner folgern daraus, dass es absolut verboten ist, die Haare an den Wangenkochen komplett abzuschneiden. Beim Bart hingegen wird nur die Verwendung eines Messers oder einer Rasierklinge, die die Basis der Haare zerstört, ausdrücklich verboten. Die Verwendung einer Schere für das Abschneiden des Barts ist nicht verboten. Deshalb dürfen religiöse Juden elektrische Rasierer benutzen, die nach dem Prinzip einer Schere funktionieren. Rabbiner untersuchen Rasierer darauf, ob sie in diesem Sinne »koscher« sind oder nicht. Im Internet kann man die Klassifizierung nachschauen.

auslegungen Den Rabbinern nach hat der Bart des Mannes fünf »Ecken«: an den beiden oberen Wangenknochen, den beiden Kieferknochen und auf dem Kinn. So verstößt ein Mann, der seinen Bart mit einem Rasiermesser rasiert, gegen fünf separate Verbote.

Maimonides, Rabbiner Abraham Ibn Esra (1098–1164) und das Sefer HaChinuch erklären übereinstimmend, dass das Verbot, sich mit einem Messer zu rasieren, aus der Tatsache resultiert, dass diese Art der Rasur ein heidnischer Brauch war, der von Götzendienern praktiziert wurde. Dagegen sagen Rabbejnu Bachja ben Ascher (1263–1340) und der Abarbanel (1437–1508), der Grund für das Verbot sei, dass Gesichtsbehaarung bei Männern natürlich ist, und dass jemand, der sich rasiert, damit gegen das biblische Verbot, Frauenkleider zu tragen, verstößt (5. Buch Mose 22,5).

Die Frage nach dem Bart im Judentum lässt sich also klar beantworten: Er ist ein schöner Brauch, aber kein religiöses Muss – vorausgesetzt, der Mann rasiert sich halachisch richtig.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025