Exodus

Listige Hebammen und mutige Mütter

Ohne die Frauen wäre Israel wohl nie der ägyptischen Sklaverei entkommen

von Michelle Berger  19.03.2013 06:53 Uhr

Nicht unter Apfelbäumen, sondern im Krankenhaus zur Welt gekommen: Ein neugeborenes Kind wird von einer Hebamme gewogen. Foto: dpa

Ohne die Frauen wäre Israel wohl nie der ägyptischen Sklaverei entkommen

von Michelle Berger  19.03.2013 06:53 Uhr

Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Im Fall von Mosche ist es sogar ein ganzes Kontingent. Zwar werden die Protagonisten (unter ihnen viele Frauen), die uns in der Exodus-Geschichte begleiten, in der Pessach-Haggada überhaupt nicht erwähnt. Doch ohne die Frauen wäre das Volk Israel wohl nie der Sklaverei entkommen, und unsere Geschichte hätte womöglich einen ganz anderen Weg genommen.

Laut Rabbi Akiva ist es ganz allein das Verdienst der Frauen, dass die Israeliten Ägypten verlassen durften. Denn trotz schwierigster Umstände ließen sich die Frauen nicht davon abhalten, weiter Kinder mit ihren Männern zu haben (Sota 11b; Schemot Rabba 1,12.) Und das, obwohl Pharao alles unternahm, um den Nachwuchs der Hebräer einzudämmen. Das biblische Buch Exodus berichtet, wie Pharao, dem die Hebräer aus demografischen Gründen allmählich unheimlich wurden, ihren Männern deshalb schwerste Sklavenarbeit auferlegte (2. Buch Mose 1,14).

Als diese Strategie nicht aufging, erteilte er den beiden Haupthebammen für die Israeliten, Schifra und Pua, den Befehl, alle männlichen Babys sofort nach ihrer Geburt zu töten. Nach einer Meinung unserer Weisen handelt es sich bei den beiden Hebammen wahrscheinlich um Miriam (Mosches Schwester, mit Pua identisch) und ihre Mutter Jocheved (das Pendant zu Schifra; Sota 11b).

HEbammen Doch die beiden erfahrenen Geburtshelferinnen, so erzählt es die Tora, ließen sich nicht von dem mächtigen Pharao einschüchtern; ihre Ehrfurcht vor G’tt war größer. Sie ließen ihn diplomatisch, aber bestimmt wissen, dass es nicht möglich sei, die Kinder zu töten, da die Israelitinnen sehr kräftig seien und ihre Babys schon zur Welt gebracht hätten, bevor die Hebammen bei ihnen zu Hause angelangt seien (2. Buch Mose 1,17). Die Rabbinen wissen sogar zu berichten, dass G’tt die Frauen während dieser Zeit, um sie für ihren Mut zu belohnen, schmerzfrei entbinden ließ – versteckt unter Apfelbäumen, um die Aufmerksamkeit der Ägypter nicht zu erregen (Talmud, Sota 12a und Pesachim, 10. Kapitel). Da die »Operation Hebamme« also in einer Sackgasse endete, nahm Pharao Zuflucht zu einer drastischeren Methode und befahl den Ägyptern, sämtliche männlichen Babys der Hebräer zu töten.

Und wieder war es eine Frau, deren Mut womöglich den Lauf der Geschichte änderte: Aus einem Midrasch erfahren wir, dass Amram (Mosches Vater aus dem Hause Levi und Kopf des Sanhedrin) die Situation seines Volkes für ausweglos hielt. Er ließ sich von seiner Frau Jocheved, die im dritten Monat schwanger war, scheiden, weil er meinte, unter diesen Umständen habe es keinen Sinn mehr, weitere Kinder zu bekommen. Geleitet von Amrams Handeln ließen sich die anderen israelitischen Männer ebenfalls von ihren Frauen scheiden.

Da nahm Amrams Tochter Miriam trotz ihres großen Respekts vor ihrem Vater allen Mut zusammen und wagte es, ihn zur Rede zu stellen und seine Entscheidung anzuzweifeln. Miriam argumentierte, ihr Vater sei schlimmer als der Pharao, denn er verhindere nicht nur das Leben der männlichen Nachkommen, sondern auch der weiblichen. Amram sah nach den weisen Worten Miriams seinen Fehler ein und ging in einem großen Festakt erneut die Ehe mit Jocheved ein, von der er sich zuvor getrennt hatte. Alle anderen Männer folgten wieder seinem Beispiel (Sota 12a; Schemot Rabba 1,19).

Wie die Geschichte weiterging, wissen wir aus dem Buch Exodus: Mosche kam zur Welt und wurde von seiner Mutter Jocheved versteckt – bis sie ihn drei Monate später nicht mehr vor den Augen der Welt verbergen konnte. Da fällte sie den schweren Entschluss, ihn in einem aus Schilf geflochtenen Körbchen auf dem Nil auszusetzen. Eine positive Rolle in der Geschichte spielte übrigens auch Pharaos Tochter Bithia (Batia).

Mutterinstinkt Als Bithia Klein-Mosches Weinen hörte, überwogen ihre Mutterinstinkte, und sie setzte sich – nicht ohne Risiko – über den Befehl ihres Vaters hinweg. Sie gab dem Kind auch seinen Namen, »Moses«, der aus dem Ägyptischen stammt und für »Munius« steht – was so viel bedeutet wie »der, der aus dem Wasser gezogen worden ist«. Als »Mosche« wurde der Name hebraisiert (2. Buch Mose).

Miriam, die alles heimlich mitbekommen hatte (2. Buch Mose 2,4), fasste daraufhin den Mut, bei der Prinzessin vorzusprechen und ihre Mutter als Amme für Mosche zu empfehlen. Jocheved konnte somit als »Kindermädchen« im königlichen Palast bleiben – weiterhin in Nähe Mosches (2. Buch Mose 2,7 – 10). Und Mosche kam in den Genuss einer »weltlichen« Erziehung und angenehmer Lebensumstände.

Und so hatte Mosche das Glück, von seiner leiblichen Mutter großgezogen zu werden, die ihm seine eigene Tradition und Sprache vermittelte. Dank seiner Mutter und Schwester war Mosche also bestens für seine zukünftige Mission gerüstet. Er fing gleich damit an, in seinem Sinne für Gerechtigkeit zu sorgen, indem er einen Sklavenaufseher erschlug, der einen Israeliten drangsaliert hatte. Dass Mosches Gerechtigkeitssinn aber nicht nur anderen Hebräern, sondern allen Menschen galt, sehen wir spätestens, als er der Umstände halber in Midian weilen musste. Dort verjagte er die Hirten, die den Töchtern des ehemaligen Hohepriesters Jitro den Brunnenplatz für deren Herde streitig machten. Er tränkte sogar deren Tiere (2. Buch Mose 2,18 – 20). Die Verteidigung dieser Gruppe fremder Frauen zeigt laut verschiedener Kommentare, dass Mosche bestens dafür geeignet war, ein gerechter Anführer eines großen Volkes zu werden.

Lebensretterin Die Brunnen-Episode bescherte Mosche übrigens Zippora als Frau, die ihm, gemäß dem Buch Exodus, ein paar Jahre später das Leben retten sollte. Denn auch Mosche war nur ein Mensch. Weit weg von seinem eigenen Volk hatte er es tatsächlich unterlassen, seinen Sohn zu beschneiden und das vorgeschriebene Bündnis mit dem Allmächtigen zu bestätigen! Auf dem Weg zurück nach Ägypten, zusammen mit der Familie, wurde Zippora klar, dass G’tt ihrem Mann Mosche deswegen das Leben nehmen wollte. In einer dramatischen Szene beschnitt Zippora den Sohn in letzter Sekunde selbst (2. Buch Mose 4,24 – 27). Mosche war dank des beherzten Eingreifens seiner Frau noch einmal davongekommen und konnte seinen g’ttlichen Auftrag nun in Ruhe fortsetzen.

Dass Mosche seine Mission überhaupt antreten konnte, verdankte er einer weiteren starken Frau: Serach, der Adoptivtochter Aschers – eines Sohnes Jakows. Serach wird mehrere Male in der Tora erwähnt, spielt aber vor allem in den Midraschim eine wichtige Rolle. Zum Beispiel zieht sie mit Jakow und dem Rest der Familie nach Ägypten und verlässt das Land, fast 200 Jahre später, zusammen mit Mosche und allen anderen Israeliten (4. Buch Mose 26,46). Die rabbinischen Auslegungen sagen, dass Serach dank eines Segensspruches Jakows sehr lange lebte. Sie war eine gute Diplomatin und wurde von Josefs Brüdern gebeten, Jakow auf sehr behutsame Art und Weise die gute Nachricht zu übermitteln, dass sein Sohn Josef noch am Leben war (Midrasch haGadol, 1. Buch Mose 46,25). Ein Midrasch besagt, dass Serach als einzige Frau unter einer ganzen Anzahl an Männern direkt ins Paradies aufgenommen wurde, ohne vorher zu sterben.

Die als sehr klug und weise angesehene Serach galt, weil sie so lange lebte, als das Gedächtnis des Volkes Israel schlechthin. Als Mosche sich als ein von G’tt ausgesuchter Anführer dem hebräischen Volk offenbarte, war die allgemeine Reaktion erst einmal große Skepsis. Wer war denn dieser Mann überhaupt? Aber Serach wusste etwas: Es existierte eine uralte Prophezeiung, die von Generation zu Generation, von Awraham über Jakow und über Serachs Vater Ascher, an sie überliefert wurde. Serach wusste also, an welchen Worten der wahre Anführer, der das Volk aus Ägypten herausführen sollte, zu erkennen sei (Jalkut Schimoni, 1. Buch Mose 12,64 und 5. Buch Mose 34,10). Das Volk vertraute Serach und erkannte Mosche als seinen Anführer an (2. Buch Mose 4,31).

Auch Mosche wandte sich hilfesuchend an Serach. Als der Pharao endlich nachgegeben hatte und die Israeliten sich daranmachten, aus Ägypten aufzubrechen, wollte Mosche das Land nicht ohne die Gebeine Josefs verlassen (2. Buch Mose 13,19). Schließlich hatten die Israeliten Josef einst schwören müssen, seine sterblichen Überreste nicht zurückzulassen (1. Buch Mose 50, 22 – 26). Doch Josefs Gebeine waren in einem schweren Sarg im Nil versenkt worden. Niemand konnte sich mehr so recht erinnern, wo genau – außer Serach, die Mosche den Ort zeigte (Midrasch Jalkut Schimoni, 5. Buch Mose 34, 965).

TAMBURIN Nachdem G’tt unter der Führung von Mosche die Kinder Israels erfolgreich vor den verfolgenden Ägyptern gerettet und sich das Schilfmeer hinter ihnen geschlossen hatte, regte Miriam alle Frauen zu einem euphorischen Lobgesang G’ttes an (2. Buch Mose 15,20–21), begleitet von Tamburin-Musik und Tanz. Noch heute wird dieses Lied täglich als Teil des Morgengebets rezitiert. Zweimal im Jahr wird es öffentlich vorgelesen: einmal am siebten Pessachtag (Jahrestag dieses Ereignisses) und am Schabbat für die Vorlesung der Parascha Beschalach (Schabbat Schira), die genau diese Passage enthält.

Miriam ist übrigens die erste Frau in der Tora, die an dieser Stelle ausdrücklich als Prophetin erwähnt wird (2. Buch Mose 15,20). Schließlich sah sie voraus, dass es gut sein würde, auf dem strapaziösen Weg aus Ägypten für diese Gelegenheit Musikinstrumente mitzuschleppen. Die Rabbinen betonen, dass Miriam in diesem Zusammenhang als Arons und nicht als Mosches Schwester erwähnt wird. Dies wäre ein klarer Hinweis darauf, dass sie schon vor dessen Geburt über prophetische Fähigkeiten verfügte (Talmud, Megilla 14a und Sota 12b). In der Tat erzählen die Quellen, Miriam habe ihren Eltern Mosche als zukünftigen Anführer Israels vorhergesagt (Megilla 14a; Sota 11b, 12b – 13a).

Die rabbinischen Kommentatoren weisen, wie bereits erwähnt, darauf hin, dass der Exodus aus Ägypten ganz dem Verdienst der Frauen dieser Generation zugeschrieben werden kann (Sota 11b). Miriam steht stellvertretend für viele andere Frauen jener Zeit. Keinen Augenblick lang zweifelte sie an der Hilfe G’ttes und behielt stets ihre Zuversicht auf eine bessere Zukunft (2. Buch Mose 15,18 und Pesikta Zutarta).

Obwohl, wie schon am Anfang geschildert, nichts davon in der Pessach-Haggada vorkommt, sind die Taten dieser bewundernswerten Frauen bis heute nicht vergessen. Denn laut Rav Levi symbolisiert das Charosset auf dem Sedertisch den Mut der Frauen während jener Zeiten (Talmud, Pesachim, Kapitel 10). Vergessen Sie also nicht, Ihrer Familie vom Mut und der Kraft der Frauen zu erzählen, wenn Sie dieses Jahr wieder vor einem köstlichen Sederteller sitzen!

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024