Man könnte die Corona-Pandemie mit einem Krieg vergleichen. Das Covid-19-Virus nimmt keine Rücksicht und legt auch keine Pausen ein. Es wird erst besiegt werden, wenn die angekündigten Impfstoffe einen Großteil der Bevölkerung erreicht haben. Bis dahin gilt es, sich selbst und andere bestmöglich zu schützen, insbesondere, indem man keine unnötigen Risiken eingeht.
Während die Politik hierzulande bemüht ist, die richtigen Vorschriften für die Weihnachtsfeiertage zu finden, feiern wir Juden – wenn auch unter Einschränkungen – ein Fest, das knapp 200 Jahre älter ist als Weihnachten. Wie sollte es auch möglich sein, das Feiern eines Festes zu verhindern, das so sehr zum Jahreszyklus vieler Juden gehört – auch der nicht allzu gläubigen? Aber genau das wäre in der jüdischen Geschichte fast schon einmal passiert, und übrigens nicht wegen äußerer Einflüsse.
makkabäer Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 164 v.d.Z. Der militärische Sieg der Makkabäer über die hellenistischen Seleukiden und das Ölwunder wurden seither gefeiert. Damals wurde laut Talmud nur noch ein versiegelter Krug für die Menora im Tempel gefunden, mit ausreichend Öl für einen Tag.
Chanukka erinnert an die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 164 v.d.Z.
Durch ein g’ttliches Wunder brannte das Öl aber acht Tage. Doch als ebendieser Tempel im Jahre 70 n.d.Z. von den Römern zerstört wurde, gab es einige Rabbiner, so berichtet es der Talmud, die Chanukka abschaffen wollten. Sie fanden: Ohne Tempel mache eine Feier, die an dessen Wiederinbetriebnahme erinnert, keinen Sinn mehr.
Andere Rabbiner hielten dagegen: Ja, der Tempel ist zerstört, aber nicht unsere Hoffnung! Rabbiner Jonathan Sacks sel. A. merkte in einem seiner Essays dazu an, dass diese Hoffnung bis heute wirkt, nicht zuletzt in der israelischen Nationalhymne »Hatikwa«. Und das vielleicht größte Wunder besteht darin, dass überall auf der Welt Juden fast 2200 Jahre nach der Tempelweihe noch Chanukka feiern.
held Laut Rabbi Sacks kann man den Unterschied zwischen hellenistischer und jüdischer Kultur besonders an einer von zahlreichen Errungenschaften der Griechen festmachen: der Tragödie. Ein Konzept, bei dem der Held keine Wahl hat: Egal was er tut, die Geschichte geht tragisch aus. Dieses Konzept kennt das Judentum nicht. Selbst das Wort existiert auf Iwrit nur als Import: »Tragedia«. Das Judentum hat überlebt, weil wir der Tragödie stets die Hoffnung entgegengesetzt haben.
Das Judentum hat überlebt, weil wir der Tragödie die Hoffnung entgegensetzen.
Das heißt nicht, dass das jüdische Volk im Laufe seiner Geschichte nicht genügend Tragödien erlebt hätte, aber am Ende bleibt immer ein »Ölkrug« übrig, ein Rest, mit dem neues Licht geschaffen wurde. Wir wissen das seit dem Feuer, das Mosche in der Tora gesehen hat – dem Feuer, das den Dornbusch in Feuer taucht, aber nie ganz verbrennt. Es ist das Licht, das jede Dunkelheit übersteht.
Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels entstand der Talmud. Während im Europa des Mittelalters die Pogrome wüteten, entstanden zahlreiche Kommentare, Responsen und Dichtungen. Und selbst nach der Schoa entstand der jüdische Staat.
pandemie Uns hat es nie gereicht, »einfach nur zu überleben«, sondern wir waren jedes Mal motiviert, noch besser, noch sinnvoller zu leben, noch heller zu leuchten. Und wenn wir uns von den Schrecken der Pandemie erholt haben werden, den menschlichen Verlusten, den finanziellen Einbußen, den sozialen Versäumnissen, dann wird es wichtig sein, unser Leben und all seine Aspekte noch mehr wertzuschätzen.
Auch daher haben wir jetzt die Pflicht, acht Tage lang Lichter in jedem jüdischen Haus zu entzünden, als Zeichen für das Wunder, der Hoffnung und der Emuna – der Zuversicht auf G’tt. Diese soll bekannt gemacht werden durch die Mizwa von »Pirsumej Nissa«, der »Bekanntmachung des Wunders«. Wir sollen dieses Licht und sein Konzept der Hoffnung nach außen tragen. Einmal im Jahr an acht Tagen wird die Erwartung des Propheten, wir mögen ein Licht für die Völker sein, wortwörtlich umgesetzt
Wir haben jetzt die Pflicht, acht Tage lang Lichter in jedem jüdischen Haus zu entzünden, als Zeichen für das Wunder, der Hoffnung und der Emuna – der Zuversicht auf G’tt.
Laut eines Midrasch im Talmud (Awoda Sara 8a) geht das erste Lichterfest übrigens auf Adam und Eva zurück. Demnach wurden sie zu Rosch Haschana geboren und gleich zu Beginn des Herbstes wieder aus dem Paradies vertrieben.
dank Sie stellten bald fest, dass der Tag immer kürzer wurde, und nahmen an, dass G’tt als Folge ihrer Sünde die Welt verließ und mit ihm das Licht verschwand. So beteten sie, Er möge bleiben und die Welt wieder mit Licht erfüllen. Als dann die Tage wieder länger wurden, bedankten sie sich mit einem Lichterfest.
Nach fast einem Jahr der Corona-Pandemie ist es in dieser dunklen Zeit doppelt wichtig, uns darauf zu besinnen, dass es zu allen Zeiten Mut und Kraft brauchte, um Herausforderungen mit unerschütterlicher Hoffnung und Zuversicht zu trotzen. Wir wissen heute, G’tt sei Dank, dass die Impfstoffe bald für alle bereitstehen werden. Es gibt also ein Licht am Ende des Tunnels. Schöpfen wir Kraft aus der Hoffnung der Chanukkalichter! Wir alle müssen noch ein bisschen durchhalten, aushalten, innehalten – und Haltung bewahren. In diesem Sinn: Chanukka Sameach!
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).