Gebet

»Lauter reden als die Vögel«

Rabbinerin Gesa Ederberg Foto: Uwe Steinert

Gebet

»Lauter reden als die Vögel«

Rabbinerin Gesa Ederberg über Outdoor-Minjanim im Hof ihrer Synagoge in Berlin

von Ayala Goldmann  02.07.2020 11:01 Uhr

Frau Rabbinerin, in den USA und in Israel veranstalten viele jüdische Gemeinden derzeit Outdoor-Minjanim – Gebete im Freien. Was hören Sie von Ihren Rabbinerkollegen, wie sind die Erfahrungen?
Die meisten, soweit ich es höre, sind noch gar nicht so weit, dass sie Outdoor-Minjanim organisieren, weil es vielen in der aktuellen Situation noch zu riskant erscheint. Die große Zahl der Gottesdienste findet weiterhin über Zoom statt. Aber diejenigen Rabbinerinnen und Rabbiner, die Outdoor-Minjanim veranstalten, berichten von guten Erlebnissen. Natürlich muss das alles im Vorfeld organisiert werden, und die Teilnehmer müssen sich anmelden, damit man im schlimmsten Fall eine Infektion zurückverfolgen kann.

In Ihrer Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin gibt es auch einen Outdoor-Minjan. Auf dem Hof?
Ja, genau. Man muss sich anmelden, und wir entscheiden dann morgens je nach Wetterlage, ob wir in der dritten Etage im großen Saal beten, wo alles für die Teilnehmer mit zwei Metern Abstand aufgebaut ist, oder ob wir die Tische und Stühle nach draußen tragen und im Freien beten. Wir bitten die Teilnehmer darum, aus Hygienegründen ihre eigenen Siddurim mitzubringen. Aber es gibt auch Gebetbücher vor Ort – wenn man sie bis zum nächsten Schabbat nicht mehr anfasst, dann ist das auch in Ordnung. Der- oder diejenige, der aus der Tora liest, holt die Rolle auch selbst aus der Synagoge.

Und wenn der Wetterbericht nicht eindeutig ist?
Einmal hatten wir die Situation, dass das Wetter unbeständig war, da haben wir die Tora erst einmal oben gelassen. Aber das Wetter wurde besser, und während der Wiederholung des Amida-Gebets sind zwei Leute nach oben gegangen, um die Torarolle zu holen. Wir haben draußen natürlich keinen Toraschrein, sondern die Tora liegt auf dem Tisch, und die Bima ist improvisiert.

Ist das alles sehr umständlich und lästig, oder stärkt es auch das Gemeinschaftsgefühl?
Bei uns packt sowieso jeder mit an. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt: Wir beten jetzt draußen auf der Freifläche, wo früher die eigentliche Synagoge war. Wir haben zwei Biertische aneinandergestellt – an der Stelle, wo vor der Schoa die Bima der Synagoge stand. Dieses Gefühl, genau an diesem Platz aus der Tora zu lesen, war für mich etwas ganz Besonderes, und wir haben das auch entsprechend gewürdigt.

Was macht ein Gebet draußen noch besonders?
Wenn ich lauter reden muss, weil die Vögel so laut singen, finde ich das eine sehr schöne Erfahrung. Und der Hof grenzt an ein Krankenhaus, da haben wir auch manchmal Zaungäste, die sich unser Gebet anhören. Auch das ist natürlich nicht alltäglich.

Im Sommer funktioniert ein Outdoor-Minjan natürlich besser als im Winter. Was machen Sie, falls es zu einer »zweiten Welle« von Corona kommen sollte?
Wir werden uns natürlich an die staatlichen Regelungen halten. Damit sind wir bisher gut gefahren. Wenn im Winter die halbe Gemeinde erkältet ist, ist ein Gebet draußen natürlich nicht sinnvoll.

Im Sommer ist es in der Synagoge drinnen oft sehr stickig. Wäre es eine Option, das Outdoor-Gebet in den wärmeren Monaten generell beizubehalten?
Das haben einige Leute vorgeschlagen. Ich finde es eine spannende Idee – und es wäre eine Situation, wo aus der Krise etwas Kreatives entsteht.

Mit der Berliner Gemeinderabbinerin sprach Ayala Goldmann.

Chanukka

Das jüdische Licht

Die Tempelgeschichte verweist auf eine grundlegende Erkenntnis, ohne die unser Volk nicht überlebt hätte – ohne Wunder kein Judentum

von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky  12.12.2025

Wajeschew

Ein weiter Weg

Das Leben Josefs verlief nicht geradlinig. Aber im Rückblick erkennt er den Plan des Ewigen

von Rabbinerin Yael Deusel  12.12.2025

Talmudisches

Nach der Sieben kommt die Acht

Was unsere Weisen über die Grenze zwischen Natur und Wunder lehren

von Vyacheslav Dobrovych  12.12.2025

Chanukka

Nach dem Wunder

Die Makkabäer befreiten zwar den Tempel, doch konnten sie ihre Herrschaft nicht dauerhaft bewahren. Aus ihren Fehlern können auch wir heute lernen

von Rabbiner Julian-Chaim Soussan  12.12.2025

Quellen

Es ist kompliziert

Chanukka wird im Talmud nur selten erwähnt. Warum klammerten die Weisen diese Geschichte aus?

von Rabbiner Avraham Radbil  11.12.2025

Religion

Israels Oberrabbiner erstmals auf Deutschlandbesuch

Kalman Ber startet seine Reise in Hamburg und informiert sich dort über jüdisches Leben. Ein Schwerpunkt: der geplante Neubau einer Synagoge

 10.12.2025

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Wajischlach

Zwischen Angst und Umarmung

Die Geschichte von Jakow und Esaw zeigt, wie zwei Brüder und zwei Welten wieder zueinanderfinden

von Rabbiner Joel Berger  05.12.2025

19. Kislew

Himmlischer Freispruch

Auch wenn Rosch Haschana schon lange vorbei ist, feiern Chassidim dieser Tage ihr »Neujahr«. Für das Datum ist ausgerechnet der russische Zar verantwortlich

von Chajm Guski  05.12.2025