Rezension

Kosmos und Kabbala

Foto: Crotona

Rezension

Kosmos und Kabbala

Der amerikanische Forscher Daniel Chanan Matt vergleicht das Weltbild von Mystikern und Physikern

von Yizhak Ahren  02.05.2016 16:41 Uhr

Erstaunlich viele Studien über die Kabbala, die jüdische Mystik, sind in den letzten Jahren in deutscher Sprache veröffentlicht worden. Diese Literatur ist jetzt um ein schmales, aber doch gewichtiges Buch bereichert worden. Astrid Ogbeiwi hat God and the Big Bang aus der Feder des renommierten amerikanischen Kabbala-Forschers Daniel Chanan Matt ins Deutsche übersetzt. Zwar ist der deutsche Titel Der Urknall etwas irreführend – Kosmologie macht nur einen Teil des Inhalts aus –, aber man kann Ogbeiwis Übersetzung als gut lesbar bezeichnen; leider ist sie nicht ganz fehlerfrei.

In besagtem Band verweist Matt mehrfach auf seine Anthologie Das Herz der Kabbala, die bereits vor 20 Jahren erschienen ist. In der Tat ergänzen sich beide Bücher. Hatte Matt im früheren Werk eine Reihe von Themen und Grundbegriffen nacheinander besprochen, so arbeitet er in der Neuerscheinung das Weltbild und die Gottesvorstellung jüdischer Mystiker systematisch heraus.

parallelen
Dass der Autor die von Physikern betriebene moderne Kosmologie zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, dürfte manche Leser überraschen. Matt betont, es sei nicht seine Absicht, zu beweisen, dass die Kabbalisten im 13. Jahrhundert bereits wussten, was Kosmologen erst in unseren Tagen entdecken. Wohl aber zeigt er etliche faszinierende Parallelen zwischen kabbalistischen Ansichten und Auffassungen der heutigen Kosmologie. So haben Kosmologie und Kabbala eine platonische Sicht der Dinge gemein: »Was wir beobachten, ist nur ein unvollkommenes Spiegelbild einer tieferen Realität, die Symmetrie oder Einheit aufweist.«

Der Verfasser versucht nicht, eine Synthese zwischen Physik und Mystik herzustellen; vielmehr will er die unterschiedlichen Ansätze in Dialog miteinander bringen. Er führt aus, dass sowohl die Wissenschaft als auch die mystische Tradition uns das Staunen lehrt. Seine Definition lautet: »Religiös zu sein, bedeutet, Wertschätzung für die Einheit zu kultivieren und offen zu sein für die Möglichkeit der Liebe.« Auf die Fragen, wie Gott zu begreifen und wo Gott zu finden sei, geht Matt ausführlich ein. Er erklärt: »Der Gott der jüdischen Mystiker ist sowohl persönlich als auch unpersönlich. In seiner persönlichen Form wird Gott sogar noch anthropomorpher als in der Bibel.«

Dass man sich die Kabbalisten nicht als weltfremde Menschen vorstellen darf, macht der Autor an mehreren Stellen deutlich. Menschen könnten nicht ständig Einheit verspüren: »Sonst kämen wir zu gar nichts mehr. Schlimmer noch, wir würden uns selbst umbringen. Beim Autofahren wollen wir sicher nicht eins mit allem werden, was uns entgegenkommt.«

spiritualität Ständig haben wir eine Herausforderung zu bestehen: »In der Spiritualität kommt es unter anderem darauf an, ein Gleichgewicht zwischen dem Ich und Gott zu finden, zwischen mir und der Einheit. Dieses Gleichgewicht ist bestenfalls vorübergehend: Habe ich es gefunden, so kann ich es nicht lange halten. Doch auch das Gleichgewicht zu verlieren, gehört zum Gleichgewicht: Ich bin eins mit dem Kosmos – und zugleich bin ich eine individuelle Inkarnation des Kosmos.«

Mystische Überlegungen sind vor allem für Menschen interessant, die auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens sind. Der Verlag des vorliegenden Buches hatte gewiss eine nichtjüdische Leserschaft im Blick. Nur so kann man es verstehen, dass in der deutschen Ausgabe mehrere Kapitel über Tora und Halacha einfach weggelassen wurden. Ein kleiner Hinweis auf die gestrichenen Passagen hätte allerdings keinen gestört und vielleicht einige Leser zu weiteren Studien angeregt. Wer mehr über das Verhältnis zwischen Kabbala und der jüdisch-religiösen Praxis wissen will, muss also zur amerikanischen Originalausgabe greifen.

Daniel C. Matt: »Der Urknall. Der Geist hinter der Schöpfung«. Crotona, Amerang 2015, 142 S., 13,95 €

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025