Tezawe

Kleider machen Leute

Warum der Ewige befiehlt, für die Priester glänzende Gewänder anzufertigen

von Rabbiner Yehuda Teichtal  02.03.2023 11:40 Uhr

Der Hohepriester und Leviten aus der Zeit des Jerusalemer Tempels: Illustration aus einem Kostümatlas des 19. Jahrhunderts Foto: ullstein bild - Lombard

Warum der Ewige befiehlt, für die Priester glänzende Gewänder anzufertigen

von Rabbiner Yehuda Teichtal  02.03.2023 11:40 Uhr

»Du sollst heilige Kleider machen (…) zur Ehre und zur Schönheit.« Mit diesen Worten tritt ein neues Phänomen im jüdischen Leben in Erscheinung. Nie zuvor gab es Amtsgewänder, formale Insignien, die ihre Träger als heilige Menschen mit einer besonderen Funktion im jüdischen Leben auszeichneten.

Das Hauptthema unseres Wochenabschnitts ist das Weben schöner, schillernder und glänzender Gewänder als offizielle tägliche Uniform von Aharon und seinen Kindern, die als Priester im Heiligtum dienen: ein Turban, eine Schürze, eine Stirnplatte, ein Brustpanzer, ein Mantel, ein Gürtel, eine Tunika und Hosen. Die Tora gibt detaillierte Anweisungen, wie jedes Kleidungsstück anzufertigen ist, seine genauen Stoffe, sein Design und seine Farbe, bis ins kleinste Detail.

schafhirten Der frühere Oberrabbiner von Großbritannien, Rabbiner Jonathan Sacks (1948–2020), legt in einem Kommentar zu unserem Wochenabschnitt dar, dass Awraham, Jizchak und Jakow Männer G’ttes waren, aber keine besondere Kleidung trugen. Sie waren Schafhirten und einfach gekleidet.

Das Judentum ist eine Religion der Innerlichkeit, nicht der Äußerlichkeiten; der Ethik, nicht der Macht; des Charakters, nicht der formalen Amtskleidung. Josef und Mordechai trugen königliche Gewänder. Aber wer gab sie ihnen? Pharao und Achaschwerosch!

In der Tat wird im 1. Buch Mose der falsche Aspekt von Gewändern hervorgehoben. Sie sind trügerisch. Sie geben einem den Anschein, eine andere, irgendwie bessere Person zu sein. Sie sind Instrumente, um einen Ersatz für die Wahrheit zu schaffen. Jakow trägt Esaws Kleider, um seinen Vater Jizchak zu täuschen, als er seine Hand ausstreckt, um ihn zu betasten. Die Brüder beflecken Josefs Mantel mit Ziegenblut, um ihrem Vater Jakow vorzugaukeln, er sei von einem wilden Tier getötet worden.

Kleidungsstücke sind Instrumente der Täuschung und des Verrats. Die Kleidung trennt die innere Realität von der äußeren. Sie verkörpert die Kluft zwischen Schein und Sein. Ich sage eine Sache, meine aber etwas anderes.

CHARAKTER Wie viele Menschen tragen heilige Gewänder, doch hinter verschlossenen Türen verhalten sie sich alles andere als heilig. Der Schwerpunkt sollte ausschließlich auf dem Charakter liegen, nicht auf dem Aussehen. Und dennoch wies G’tt an, die Priester mit wunderschön gestalteten Kleidern zu bekleiden. Warum?

Kleider können zwar betrügen und einen falschen Anschein erwecken, sie können aber auch zu Instrumenten der Erlösung und Heilung werden. Der Schlüsselsatz in unserem Abschnitt lautet: »Du sollst deinem Bruder Aharon heilige Kleider machen, zur Ehre und zur Schönheit.«

Im Talmud sagt Rava: »Jeder Gelehrte, dessen Inneres nicht mit seinem Äußeren übereinstimmt, ist kein Tora­gelehrter« (Joma 72b). Was heißt das? Die Dissonanz zwischen meinem Inneren und meinem Äußeren ist unbestreitbar und unklug, man kann kein Toragelehrter sein und ein falsches Leben führen. Es wird dich einholen.

gefühl Was ist die richtige Art zu leben? Lasse ich zu, dass jedes tiefe Gefühl mein Verhalten diktiert, damit ich ein vollkommen ehrliches Leben führe? Was ist, wenn ich heute eine schöne Frau sehe und in meiner Ehe gerade Probleme habe? Lasse ich mich dann scheiden? Bleibe ich in meiner Ehe und »belüge« mich weiterhin selbst, indem ich ein falsches Leben führe? Was ist, wenn ich meinen Ehepartner und meine Kinder anschreien möchte? Tue ich das, weil es das ist, was ich innerlich fühle? Warum sollte ich meine natürlichen Gefühle unterdrücken?

Der Wortlaut des Talmudtextes ist bemerkenswert. Anders als man erwarten würde, sagt Rava nicht, dass das »Äußere« eines Gelehrten mit seinem »Inneren« übereinstimmen sollte – dass wir zwangsläufig ein Leben führen sollten, das unsere innere »Identität« widerspiegelt –, sondern er sagt das Gegenteil: Das Innere muss mit dem Äußeren übereinstimmen. Und dann muss er, vielleicht ein ganzes Leben lang, daran arbeiten, sein »Inneres« in Einklang mit diesem äußeren, Tora-zentrierten, G’tt-zentrierten Leben zu bringen.

G’tt sagt zu Mosche, dass nicht jeder immer ein Engel sein kann. Manchmal fühle ich mich wie ein Dämon oder wie ein Verlierer. Manchmal möchte ich aufgeben, wegrennen.

engel Was muss ich dann tun? Ich muss mich wie ein Engel kleiden, ich muss mich äußerlich wie ein Engel verhalten, auch wenn meine Gefühle etwas anderes sagen. Solche äußeren »heiligen Gewänder« werden mich nicht verraten; sie werden mich offenbaren – sie werden mein verborgenes reines und heiliges Wesen enthüllen.

Wäre mein Kern verdorben, dann wären »heilige Gewänder« tatsächlich trügerisch. Aber da mein innerer Kern g’ttlich, gesund, zuversichtlich, glücklich, moralisch, fürsorglich und voller Liebe und Licht ist, sind meine äußeren heiligen Gewänder kein Verrat an meiner inneren Wahrheit.

Das Judentum sagt: Wenn man sich ein »heiliges Gewand« anzieht, täuscht man nicht wirklich etwas vor. Tief im Innern ist man rein und gesund, und man lässt zu, dass die äußeren Gefühle die Oberhand gewinnen.

Wenn ich in eine egoistische, schlechte, süchtige, depressive Stimmung gerate, dann bin das nicht ich. Es ist mein Verstand, der mir Streiche spielt. Meine »heiligen Gewänder« helfen mir dann, mein äußeres Leben mit meinem wahren inneren Leben in Einklang zu bringen und nicht meinen Emotionen, die meine Seele austricksen, zum Opfer zu fallen.

VERDRÄNGUNG Hier geht es nicht um Verdrängung. Ich sollte niemals verleugnen, was ich fühle, selbst wenn es schrecklich und widerwärtig ist. Aber ich muss es nicht anbeten und glauben, dass das alles ist, was ich bin. Kleidungsstücke können manchmal falsch und trügerisch sein; aber manchmal können sie auch heilig sein – wenn sie einer wesentlichen Heiligkeit, die in mir ist, Tribut zollen, auch wenn sie schlummert.

Wenn ein Mensch sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält, erzeugt das eine Energie, die ihn beeinflusst. Wenn ich mich arm mache, werde ich arm. Wenn ich mich lahm mache, werde ich lahm. Und wenn ich mich wie ein geistig reicher Mensch verhalte, wirkt sich das auch auf mich aus.
Wenn ich mit viel Absicht bete und mich fromm verhalte, auch wenn es nur äußerlich ist, dann wird sich das auf mich auswirken.

Natürlich besteht ein grundlegender Ansatz zur Selbstverbesserung darin, unseren inneren Charakter und unsere Persönlichkeit zu verbessern. Aber es ist einfacher, einen schönen Anzug zu kaufen, als eine Diät zu machen. Außerdem, wer weiß – der Anblick Ihrer Seele in einem schönen Anzug könnte genau das Richtige sein, um Sie zu motivieren, Ihren Körper in Form zu bringen.

Heuchelei? Sicherlich. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der sich jeder besser, heiliger und mitfühlender verhält, als er sich in Wirklichkeit fühlt. Vielleicht braucht unsere Welt mehr »heilige Gewänder«.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

inhalt
Der Wochenabschnitt Tezawe berichtet davon, wie den Kindern Israels aufgetragen wird, ausschließlich reines Olivenöl für das ewige Licht, das Ner Tamid, zu verwenden. Auf Geheiß des Ewigen soll Mosche seinen Bruder Aharon und dessen Söhne Nadav, Avihu, Eleazar und Itamar zu
Priestern machen. Für sie übermittelt die Parascha Bekleidungsvorschriften. In einer siebentägigen Zeremonie werden Aharon und seine Söhne in das Priesteramt eingeführt. Dazu wird Aharon angewie­sen, Weihrauch auf einem Altar aus Akazienholz zu verbrennen.
2. Buch Mose 27,20 – 30,10

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