Interview

»Keine Panik vor der Apokalypse«

Rabbiner Walter Rothschild Foto: Mike Minehan

Interview

»Keine Panik vor der Apokalypse«

Rabbiner Walter Rothschild über den Maya-Kalender, Weltuntergangsfantasien und die Steuererklärung 2012

von Tobias Kühn  19.12.2012 10:07 Uhr

Herr Rabbiner, nach dem Maya-Kalender soll diesen Freitag die Welt untergehen. Viele Menschen sind ernsthaft in Sorge. Was raten Sie ihnen?
Sie sollen ja nicht die biblische Geschichte von der Sintflut lesen!

Wieso nicht?
Das würde sie noch mehr in Panik versetzen.

Warum? Die Sintflutgeschichte geht doch gut aus …
Ja – aber nur für Noah und seine Familie. Wer genau liest, wird feststellen: Gott sagt lediglich, dass es eine solche Flut nicht noch einmal geben wird. Er sagt nicht, dass das Ausmaß der Zerstörung einmalig war. Lesen Sie im 1. Buch Moses Kapitel 9, Vers 11: »Nie wieder werde alles Fleisch vertilgt von den Wassern der Flut.« Mehr steht da nicht!

Das heißt, aus jüdischer Sicht wäre ein Weltuntergang durchaus möglich?
Natürlich! Die Welt hat einen Anfang, also kann sie auch ein Ende haben. Gott ist ewig, aber die Welt nicht! Wenn Gott alles erschaffen kann, dann kann Er auch alles wieder zerstören.

Nach jüdischer Vorstellung bricht die Endzeit an, wenn der Messias kommt. Wäre das Ende der Welt demnach eher etwas Positives?
Nun ja, das hängt ganz davon ab, was man getan hat und was einen erwartet. Ich glaube nicht an ein Ende am 21. Dezember. Aber wenn die Welt doch diesen Freitag untergeht, dann muss ich zumindest nicht so viel Zeit für meine Steuererklärung 2012 verschwenden. Und im Gegensatz zu den Christen hätten wir Juden Glück: Chanukka war vor dem Weltuntergang, Weihnachten ist erst danach.

Zurück zum Messias. Wenn er eines Tages kommt, wird es dann das Ende sein oder ein Neuanfang?
Es gibt das Konzept vom Judentum als GmbH, einem Glauben mit beschränkter Hoffnung. Man braucht diese Hoffnung, es soll weitergehen. Das Messiaskonzept in den meisten unserer Bücher sieht vor, dass wir unsere Feinde besiegen und es Frieden auf Erden gibt. Ein totales Ende jedoch wird es nicht geben.

Es geht also immer weiter.
Ja. Ob man will oder nicht. Es gibt in der rabbinischen Tradition so viele Vorstellungen vom Messias: Mal ist er ein König, mal ein Priester, ein General, ein armer Sklave oder ein Bettler. Fest steht jedoch, dass er kommt, damit es weitergeht, und nicht, um alles zu beenden.

Das heißt, der Glaube an ein Weltende ist dem Judentum also doch fremd?
Nein, nicht ganz. Es gibt auch apokalyptische Literatur. Aber das Judentum konzentriert sich auf diese Welt, wir haben kein kompliziertes Konzept eines Jenseits. Wir sollen die Welt verbessern und nicht in Panik verfallen und aufgeben. Wenn wir anders veranlagt wären, hätten wir im Laufe unserer Geschichte schon 20.000-mal das Handtuch werfen müssen.

Mit dem Landesrabbiner von Schleswig-Holstein sprach Tobias Kühn.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025