Kaschrut

Kann denn Schinken Sünde sein?

»Impossible Pork« – pflanzlich, aber treif? Foto: impossible food

Für manche ist offenbar nichts unmöglich. Zwar hatten Juden schon jahrtausendelang die Möglichkeit, unkoscheres und sogar treifes Fleisch zu essen, also Fleisch von verbotenen Tierarten oder unbekannten Schlachtereien. Es gab nur ein Problem: Man konnte das nicht ohne schlechtes Gewissen tun, man musste solches Fleisch insgeheim essen – und dazu eine Riesenportion Schuldgefühle mit Ketchup.

Natürlich gab es immer auch säkulare Juden, die ganz offen verzehrten, was eigentlich nicht erlaubt war – als Zeichen, dass man nicht mehr daran interessiert war, an »altmodischen Ritualen« festzuhalten, als säkulare Polemik gegen die Mizwot. Die Zahl der Witze über dieses Thema (»Ich habe nicht gefragt, wie dieser Fisch heißt!« et cetera) sind ein Ausdruck dieser Haltung. Für praktizierende Juden war es allerdings bisher völlig unmöglich, den Verzehr von Schweinefleisch auch nur in Betracht zu ziehen.

haken Aber nun gibt es einen angeblich koscheren Weg, um Schweinefleisch zu essen, das eigentlich kein Schweinefleisch ist. Die US-Firma »Impossible Foods« (»Unmögliches Essen) hat es auf den Markt gebracht. Der Haken an der Sache: Das »Impossible Pork« (»Unmögliches Schweinefleisch«) aus künstlich erzeugtem Fleisch, das zwar nach Schwein schmeckt, aber nicht aus Schwein hergestellt wurde – und zwar ausdrücklich auch für den jüdischen und muslimischen Markt – hat kein Koschersiegel von der Orthodox Union (OU) bekommen, einem der größten Kaschrut-Zertifizierer weltweit.

»Wir haben kein ›OU‹-Siegel erteilt. Nicht, weil es per se nicht koscher wäre«, sagt Rabbiner Menachem Genack, der Geschäftsführer der Orthodox Union. Das Produkt könne durchaus den Kaschrut-Regeln entsprechen, was die Inhalte angehe: Falls sie ausschließlich pflanzlicher Herkunft seien, sei das Ergebnis koscher. Allerdings habe das Siegel »wegen der Sensibilität hinsichtlich der Kunden« nicht erteilt werden können.

Einige Rabbiner hatten in diesem Zusammenhang angeregt, das Wort »pork« zu streichen, womit die Firma »Impossible Foods« laut einem Bericht der »Jewish Telegraphic Agency« aber nicht einverstanden war. Das Produkt sei extra für den Halal- und Koscher-Markt entworfen worden, hieß es in der Begründung.

IMPOSSIBLE BURGER Das ließ der Orthodox Union keinen Spielraum – wobei ihre Entscheidung im Gegensatz zu dem als koscher zertifizierten »Impossible Burger« steht, einem Cheeseburger aus künstlich erzeugtem Fleisch, der sich bei Konsumenten großer Beliebtheit erfreut – und den Rabbiner Gedack als »exzellentes Produkt in jeder Hinsicht« bezeichnet. Zusammen mit diesen Burgern ist sogar der Genuss von Milchshakes erlaubt.

Was das »koschere Schwein« angeht, verstehe ich die ganze Aufregung nicht. Natürlich basiert das gesamte Marketing von »Impossible Pork« auf dem Gedanken: »Endlich darfst du etwas Verbotenes essen!«

Wenn es nicht verboten ist, warum sollte es dann Spaß machen? Das wäre doch langweilig. Als Kind kannte ich »Fake Zigaretten« – man konnte paffen, und es kam eine Art Staub heraus, die wie Rauch aussah. Eine perfekte Methode, um die Erwachsenen zu ärgern. Allerdings steht der Erfolg des »Impossible Burger« im Widerspruch zu der Theorie, dass Menschen gerade Verbotenes anzieht.

MARIT AJIN Es gibt übrigens auch Rabbiner, die sich als Fans von »Impossible Pork« outen – wie Reformrabbiner Justin Held aus Minnesota. Allerdings wendet er ein, das Produkt könne dennoch ein Problem darstellen, weil es das Prinzip von »Marit Ajn« verletze – eine Täuschung mit unerwünschten Konsequenzen. Andere Juden könnten nämlich denken, dass der Konsument treife Lebensmittel konsumiere, obwohl das gar nicht der Fall sei. Dennoch möchte der Rabbi das »koschere Schwein« probieren. Guten Appetit!

Was mich angeht, brauche ich weder »Basar Lawan« noch »Impossible Pork«, sondern esse lieber »recycled gras«, ein jahrtausendealtes pflanzliches Produkt, das (mit Gottes Hilfe) schließlich zu Rindsteak mit Senf und Knoblauch wird ...

Der Autor ist Rabbiner und lebt in Berlin.

Bereschit

Die Freiheit der Schöpfung

G’tt hat für uns die Welt erschaffen. Wir haben dadurch die Möglichkeit, sie zu verbessern

von Rabbiner Avichai Apel  17.10.2025

Talmudisches

Von Schuppen und Flossen

Was unsere Weisen über koschere Fische lehren

von Detlef David Kauschke  17.10.2025

Bracha

Ein Spruch für den König

Als der niederländische Monarch kürzlich die Amsterdamer Synagoge besuchte, musste sich unser Autor entscheiden: Sollte er als Rabbiner den uralten Segen auf einen Herrscher sprechen – oder nicht?

von Rabbiner Raphael Evers  17.10.2025

Mussar-Bewegung

Selbstdisziplin aus Litauen

Ein neues Buch veranschaulicht, wie die Lehren von Rabbiner Israel Salanter die Schoa überlebten

von Yizhak Ahren  17.10.2025

Michael Fichmann

Essay

Halt in einer haltlosen Zeit

Wenn die Welt wankt und alte Sicherheiten zerbrechen, sind es unsere Geschichte, unsere Gebete und unsere Gemeinschaft, die uns Halt geben

von Michael Fichmann  16.10.2025

Sukka

Gleich gʼttlich, gleich würdig

Warum nach dem Talmud Frauen in der Laubhütte sitzen und Segen sprechen dürfen, es aber nicht müssen

von Yizhak Ahren  06.10.2025

Chol Hamo’ed Sukkot

Dankbarkeit ohne Illusionen

Wir wissen, dass nichts von Dauer ist. Genau darin liegt die Kraft, alles zu feiern

von Rabbiner Joel Berger  06.10.2025

Tradition

Geborgen unter den Sternen

Mit dem Bau einer Sukka machen wir uns als Juden sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Nachbarn erklären können, was uns die Laubhütte bedeutet

von Chajm Guski  06.10.2025

Sukkot

Fest des Vertrauens

Die Geschichte des Laubhüttenfestes zeigt, dass wir auf unserem ungewissen Weg Zuversicht brauchen

von Rabbinerin Yael Deusel  06.10.2025