Talmudisches

Jedutun – Mann oder Instrument?

Sowohl als auch: Wo zwei rabbinische Meinungen einander widersprechen, haben beide recht, betont die kabbalistische und chassidische Tradition. Foto: Getty Images/iStockphoto

Im Talmudtraktat Bawa Batra 14b lesen wir: »David schrieb das Buch der Psalmen auf der Grundlage (der Gebetstexte) von zehn Ältesten: des ersten Menschen, Malkizedek, Awraham, Mosche, Heman, Jedutun, Assaf und der drei Korachsöhne.«

Obwohl Tehillim, das biblische Buch der Psalmen, nur für etwa die Hälfte seiner Texte König David als Verfasser angibt, sah die spätere jüdische Tradition gern den Herrscher als alleinigen Autor aller 150 Psalmen an.

Die Gemara versucht, diese Überliefe­rung mit der Tatsache zusammenzubringen, dass das Psalmenbuch selbst andere Autoren für einige seiner Kapitel anführt. Die Lösung der talmudischen Weisen ist es, dass David zwar das Gesamtwerk schuf, doch auch auf die Beiträge anderer inspirierter Poeten zurückgegriffen habe.

UMSTRITTEN Aus dieser recht bunten Reihe von Psalmisten fällt unter anderem Jedutun heraus. Laut dem mittelalterlichen Kommentator Raschi (1040–1105) ist es umstritten, ob es sich bei Jedutun, der in der Überschrift dreier Psalmen erscheint (39, 62 und 77), überhaupt um eine Person handelt: »In Bezug auf Jedutun gibt es eine Meinungsverschiedenheit: Es gibt Ausleger, die sagen, Jedutun sei ein Mensch gewesen … (Andere sagen:) Jedutun sei ein Instrument« (zu Psalm 1,1 und 62,1).

Viele mittelalterliche Grammatiker, wie Rabbi David Kimchi (1160–1235) und Ibn Esra (1089–1167), folgen der ersten Meinung. Diese Annahme, dass Jedutun ein Mensch sei, wird dadurch gestützt, dass das biblische Buch der Chroniken (Diwrej HaJamim) Jedutun als levitischen Tempelsänger nennt: »Und (für die Tempelzeremonien setzte David) neben (den Kohanim auch die folgenden Leviten ein): Heman und Jedutun. Mit Trompeten und Zimbeln ließen sie Töne erklingen und mit den Instrumenten Gottes. Die Söhne Jedutuns (verrichteten Wachdienst) auch am Tor« (1. Buch der Chroniken 16,42).

GEGENSATZ Für die gegensätzliche Annahme jedoch, dass Jedutun ein Instrument war, spricht, dass er in den Überschriften der Psalmen nie als alleiniger Autor genannt wird. So heißt es etwa in Psalm 77,1: »Ein Psalm von Assaf, für den Vorsänger, auf Jedutun.«

Assaf, ein weiterer levitischer Tempelsänger aus der Zeit Davids, scheint hier als Verfasser impliziert zu sein, während »auf Jedutun« an ähnliche Formulierungen im Psalter anklingt wie »mit Neginot auf der Achten« (6,1) oder »auf der Gittit« (8,1). All dies scheint Instrumente, Melodien oder Tonarten zu bezeichnen.

War Jedutun nun also ein Mensch oder ein Instrument? Die kabbalistische und chassidische Tradition betont (etwa Shlah, Toldot Adam, Bet Chochma 3, 14ff.), dass, wo zwei rabbinische Meinungen einander widersprechen, beide recht haben.

Es ist dann nach einer Harmonisierung des Widerspruchs zu suchen. Ein erster Hinweis auf eine mögliche Auflösung dieses Rätsels liefert ein weiterer levitischer Tempelpriester namens Etan. Er wird in Diwrej HaJamim mehrmals neben Assaf und Heman als einer der drei Hauptsänger des Tempels aufgeführt. In anderen Versen im selben Buch, wie in 2. Chroniken 29, 13–14, fehlt dagegen der Name Etan, und an seiner Stelle erscheint Jedutun.

Daher wird in der Forschung zuweilen vorgeschlagen, Etan und Jedutun seien ein und dieselbe Person: Etan wäre der eigentliche Name des Sängers, Jedutun dagegen eine Kontraktion aus »Jad Etan«, der »Hand« oder »musikalischen Spielweise Etans«.

Demnach wäre das Wort Jedutun ursprünglich eine Bezeichnung für ein von Etan und den Seinen genutztes Instrument oder eine bestimmte musikalische Spielart.

Später wurde das Wort auch auf ihn selbst angewandt. Somit bezeichnet Jedutun also beides: einen Menschen und ein Instrument.

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Pinchas

Der Apfel fällt ganz weit vom Stamm

Wie es passieren konnte, dass ausgerechnet ein Enkel Mosches dem Götzendienst verfiel

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  26.07.2024

Talmudisches

Das Leben im Schloss

Was unsere Weisen über die Kraft des Gebetes lehren

von Vyacheslav Dobrovych  26.07.2024

Armeedienst

Beten oder schießen?

Neuerdings werden in Israel auch Jeschiwa-Studenten rekrutiert. Unser Autor ist orthodoxer Rabbiner und sortiert die Argumente der jahrzehntelangen Debatte

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Ethik

Auf das Leben!

Was ist die Quintessenz des Judentums? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hatte da eine Idee

von Daniel Neumann  19.07.2024

Balak

Verfluchter Fluch

Warum der Einsatz übernatürlicher Kräfte nicht immer eine gute Idee ist

von Rabbinerin Yael Deusel  19.07.2024

Talmudisches

Chana und Eli

Über ein folgenreiches Gespräch im Heiligtum

von Rabbiner Avraham Radbil  19.07.2024